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Jochen Schwarz berät seit 10 Jahren Flüchtlinge in Pankow.
© Ulrike Scheffer

Wer macht was in Pankow?: "Jeder Einzelfall berührt"

Jochen Schwarz hilft Flüchtlingen, die richtigen Ansprechpartner für ihre Probleme zu finden. Doch das ist derzeit gar nicht so leicht, denn niemand weiß, wie viele Flüchtlinge überhaupt in Pankow leben.

Manchmal könnten die Pankower Flüchtlingslotsen inzwischen selbst einen Lotsen gebrauchen. Denn oft wissen Jochen Schwarz und seine Kollegin Fiwi Daliani nicht einmal, wo überall im Bezirk Flüchtlinge untergebracht sind. Das Landesamt für Soziales und Gesundheit (Lageso), das wegen der chaotischen Zustände auf seinem Gelände ohnehin in der Kritik steht, ist so überlastet, dass die Mitarbeiter dort Flüchtlingen oft einfach einen Hostel-Gutschein in die Hand drücken statt sie zu registrieren. "Sie müssen sich danach auf eigene Faust eine Unterkunft suchen, und niemand weiß, wo sie abgeblieben sind", erklärt Schwarz von der Oase, einer Beratungs- und Begegnungsstätte für Migranten.

Über ein Landesprogramm werden seit Juli auch die beiden Flüchtlingslotsen des Vereins finanziert. Sie sollen Flüchtlingen helfen, die richtigen Ansprechpartner für ihre Probleme und Fragen zum Asylrecht für die Job- oder Wohnungssuche oder zu Sozialleistungen zu finden. Derzeit versuchen sie allerdings nebenbei auch herauszufinden, wie viele Flüchtlinge sich im Bezirk aufhalten und wo sie untergekommen sind. "Auch in den Notunterkünften leben etwa 500 Flüchtlinge, die bisher nicht registriert wurden", sagt Schwarz.

Die Begeisterung bleibt

In der Oase tauchen immer wieder ratlose Flüchtlinge aus Hostels auf, die fragen, wann und wo sie ihren Asylantrag stellen können. "Wir klappern aber auch die Hostels des Bezirks ab und nehmen selbst Kontakt auf." Ganz wichtig sei zunächst, dass die Flüchtlinge eine offizielle Meldeadresse bekämen, damit ihre Post sie erreiche, sagt Schwarz. Der 43-jährige Jurist arbeitet seit zehn Jahren mit Flüchtlingen. Die aktuellen Flüchtlingszahlen stellen ihn und die anderen Berliner Lotsen - 20 sind es insgesamt - natürlich vor ungeahnte Herausforderungen. Doch Jochen Schwarz wirkt weder gehetzt noch überfordert. "Ja, es wird langsam schwierig", bestätigt er lapidar. Doch die Begeisterung für seinen Job kann das offensichtlich nicht schmälern. Es sei schon sehr interessant, täglich mit Menschen aus den verschiedensten Weltgegenden zu tun zu haben, ohne das eigene Büro verlassen zu müssen, sagt er. "Manchmal spricht man schließlich auch über Dinge jenseits von Flucht und Asyl." Mit einem Iraner habe er sich zum Beispiel lange über iranisches Kino unterhalten.

Überzeugung und alte Vorurteile

Inzwischen bleibt für solche Gespräche allerdings keine Zeit mehr. Vier bis fünf "Klienten", wie er die Flüchtlinge nennt, die zu ihm kommen, betreut Jochen Schwarz täglich in der Oase. Hinzu kommen Besuche in Flüchtlingsunterkünften und Hostels, wo er das Lotsenprogramm vorstellt. Und er erhält immer mehr Mails und Anrufe mit Fragen von Lotsen aus anderen Bezirken oder von Berlinern, die privat Flüchtlinge aufgenommen haben.

Denn Jochen Schwarz gilt unter den Berliner Lotsen als Spezialist für Asylrecht. Davon profitieren auch viele seiner Klienten. "Eigentlich soll ich sie als Lotse ja nur weitervermitteln, aber ich berate schon auch konkret dabei,  Rechtsbehelfe oder Klagen gegen die Ablehnung von Asylanträgen mitzuformulieren." Viele Anwälte arbeiteten schlecht und verlangten viel Geld, erklärt Schwarz. "Da berate ich lieber selbst." Als Jurist könnte Schwarz natürlich ebenfalls zu denen gehören, die gutes Geld mit Flüchtlingen verdienen.

Doch dieser Gedanke scheint ihm fern zu liegen. Anfang des Jahres hat er sogar mehrere Monate ehrenamtlich in der Oase gearbeitet, als seine damalige Stelle nicht mehr finanziert wurde. Im Juli ging es dann weiter mit dem Lotsen-Programm. "Ich mache diese Arbeit vor allem aus politischen Gründen", sagt er. Als Lotse habe er eine "gute Rolle". Im Dialog mit der Ausländerbehörde erlebe er schon auch mal, dass ein Mitarbeiter der Behörde seinen Ermessensspielraum großzügig zugunsten von Geflüchteten auslege, sagt Schwarz weiter. "Dort sitzen jetzt jüngere Leute, die offener sind und pragmatisch."

Petitionen für Roma

Von den Vorurteilen gegenüber einzelnen Flüchtlingsgruppen lässt sich Jochen Schwarz ohnehin nicht beeinflussen. "Für mich gibt es keine guten oder schlechten Flüchtlinge", sagt er mit Blick auf die öffentliche Debatte über Flüchtlinge mit und ohne Bleiberechtsperspektive. "Jeder Einzelfall berührt", fügt er hinzu und nennt als Beispiel den Fall einer Mutter aus Bosnien, die nach Deutschland kam, weil sie im vergangenen Winter ihr Kind kaum noch ernähren konnte. Ein Asylgrund ist das nicht. "Aber welche Mutter würde nicht so handeln?", fragt Schwarz. Vor allem Roma, die in vielen Balkanländern massiv diskriminiert würden, sieht er in einer schwierigen Lage. "Das sind Menschen in Not, auch wenn sie keinen Anspruch auf Asyl haben." Er würde sich wünschen, dass Deutschland Roma unabhängig vom Asylverfahren ermögliche, nach Deutschland zu kommen - über eine Kontingentlösung. Derzeit wäre das aber wohl kaum durchsetzbar. Und deshalb hilft Jochen Schwarz immer wieder Roma, die abgeschoben werden sollen, sich an den Petitionsausschuss des Berliner Senats zu wenden. Im Einzelfall gebe es immer wieder gute Gründe, Familie nicht abzuschieben - beispielsweise weil ein Familienmitglied schwer krank ist oder ein gut integrierter Jugendlicher gerade einen Ausbildungsplatz erhalten hat. "Ich habe bisher bei jeder Petition eines Klienten immer gute Gründe für ein Bleiberecht gesehen und habe persönlich noch keinen Fall erlebt, wo ich die Petitionsgründe nicht auch selbst vertreten könnte."

Professionelle Distanz

Viele Schicksale gehen Jochen Schwarz nahe. Doch meist, so sagt er, gelinge es ihm, professionelle Distanz zu halten. Aber nicht immer. So hat er auch schon seine private Telefonnummer herausgegeben - "aber nur in ein paar ganz wenigen Ausnahmefällen". Und zu manchem ehemaligen Klienten hat er noch Kontakt. Zu einem italienisch-japanischen Paar beispielsweise, das er vor Jahren beraten hat, wie man sich in Deutschland selbstständig machen kann. "Die beiden sind Tänzer und mit ihren Performances inzwischen richtig erfolgreich." Ein anderer ehemaliger Klient sei kürzlich mit der endlich erhaltenen Aufenthaltsgenehmigung vorbeigekommen und habe sich bedankt. "Das war richtig nett."

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