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Kiffen unter freiem Himmel: In "drogenfreien Räumen" soll das bald bestraft werden.
© picture alliance/dpa

Drogenpolitik in Berlin: In Kreuzberg gibt's bald Kiffer-Slalom

Vor der Kita wird der Cannabisbesitz bestraft, ein paar Schritte weiter aber nicht mehr? Ab April soll es in Berlin "drogenfreie Räume" geben - mit weitreichenden Folgen.

Der Senat und die Regierungskoalition aus CDU und SPD haben in dieser Woche eine Verschärfung der "Gemeinsamen Allgemeinen Verfügung", kurz: GAV, zum Umgang mit Cannabis beschlossen. Ein Schritt mit weitreichenden Folgen, nicht nur für den Görlitzer Park. Ein Überblick.

DER BESCHLUSS

Bisher sah die Staatsanwaltschaft in der Regel davon ab, den Besitz einer geringen Menge von bis zu 15 Gramm Cannabis zu verfolgen. Obwohl der Besitz der Droge nach dem Betäubungsmittelgesetz eigentlich illegal ist, wird diese Menge von den Behörden als "Eigenbedarf" eingestuft. Bei einer Menge von bis zu zehn Gramm stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren automatisch ein – außer es besteht ein "öffentliches Interesse" an der Strafverfolgung. Dies ist laut Verfügung der Fall, wenn Cannabis "in einer Weise konsumiert wird, die verführerische Wirkung auf Kinder und Jugendliche hat" oder der Konsum "in der Öffentlichkeit in einer prahlerischen Weise zur Schau gestellt oder vor Kindern und Jugendlichen bzw. vor oder in von ihnen genutzten Einrichtungen stattfindet."

Setzt der Senat seinen Beschluss wie geplant schon im Frühjahr – ab April 2015 – um, wird der Besitz von Cannabis ab dem ersten Gramm ein Fall für den Staatsanwalt; allerdings nur, wenn der Besitzer in einem "drogenfreien Raum" erwischt wird. Darunter versteht der Senat Schulen und Kindergärten, aber auch öffentliche Plätze wie beispielsweise den Görlitzer Park. Weitere drogenfreie Zonen sollen für einen befristeten Zeitraum eingerichtet werden, falls schlüssige Gründe beispielsweise durch die Polizei vorgebracht werden. Unklar ist, wie groß diese drogenfreien Räume sein werden, ob sie beispielsweise im 50-Meter-Radius um eine Kita herum oder nur auf dem Bürgersteig davor gelten. Die Senatsjustizverwaltung ist mit der Ausarbeitung beschäftigt. Laut Sprecherin Claudia Engfeld werden sich die neuen Regelungen "voraussichtlich daran orientieren, was bereits jetzt in der GAV steht".

Die 15-Gramm-Grenze für eine geringe Menge bleibt in Kraft. Die Festlegung dieser Grenze ist Ländersache, Berlin hat dabei die großzügigste. Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen ziehen die Grenze bei zehn Gramm, die anderen Länder – auch das Nachbarland Brandenburg – bei sechs Gramm. So könnte Berlin ab April paradoxerweise gleichzeitig die liberalste als auch die restriktivste Regelung zum Umgang mit Cannabis haben – je nachdem, wo in der Straße man sich gerade aufhält.

DIE FOLGEN

Für die Berliner Polizei ändert sich erstmal wenig – der Papierkram ist jetzt schon zu erledigen. Werden Kleindealer und Konsumenten mit Cannabis erwischt, wird die Droge – auch unter 15 Gramm – beschlagnahmt. Der Besitzer erhält eine Strafanzeige - und später einen Brief von der Staatsanwaltschaft, dass das Verfahren eingestellt wurde. Das Cannabis muss aber abgeschrieben werden: es wird von der Polizei vernichtet.

Die neue Regelung könnte die Moral bei der Polizei aber verbessern, weil die Staatsanwaltschaft die Verfahren nun nicht mehr reihenweise einstellt. Dort könnte die Arbeitsbelastung wiederum erheblich steigen. Staatsanwaltssprecher Martin Steltner sagt: "Es ist eine politische Entscheidung, und die muss umgesetzt werden."

Für Kleindealer und Konsumenten könnte es also deutlich ungemütlicher werden – besonders für die im Görlitzer Park. Bislang konnten sich die Dealer unter Verweis auf den Eigenbedarf herausreden. Dies wird in den drogenfreien Räumen nicht mehr möglich sein.

Konsumenten, die ihre Drogen unbedingt mit sich herumtragen müssen, müssen nun vorausschauender planen: Zwischen Schlesischem und Kottbusser Tor, zwischen Bethaniendamm und Landwehrkanal gibt es allein in Kreuzberg mehr als 70 Schulen, Kitas, Parks, Spielplätze und andere Einrichtungen, die zu drogenfreien Räumen erklärt werden können. Wer also einen Joint in der Frühlingssonne im Park rauchen möchte, muss – in der Theorie – um viele Orte einen Bogen schlagen. Kiffer-Slalom.

DIE BEFÜRWORTER

Die Landesdrogenbeauftragte Christine Köhler-Azaria hält die neue Regelung für "durchaus sinnvoll" und bezeichnete sie als "Signal, dass Cannabisbesitz und -handel kein Bagatelldelikt ist." Sie plädierte dafür, die Entwicklung für sechs Monate zu beobachten und dann eine Zwischenbilanz zu ziehen.

Aus den Schulen rings um den Görlitzer Park hingegen kamen verhaltene Reaktionen. Ulrike Becker, Leiterin der Refik-Veseli-Sekundarschule an der Skalitzer Straße, hält die Null-Toleranz-Zonen vor Schulen und Spielplätzen für wichtig – schon um die Schüler vor "schlechten Vorbildern" zu schützen.

Allerdings befürchtet Becker wie auch ihre Kollegin Dorothea Mandera-Meyer von der Fichtelgebirge-Grundschule am Görlitzer Ufer, dass die Dealer aus dem Park in die angrenzenden Wohngebiete verdrängt werden könnte. Bisher habe es keine Probleme mit Dealern oder Konsumenten vor der Schule gegeben, sagt Madera-Meyer: "Aber wie es im Sommer hier aussieht, das weiß man noch nicht."

DIE GEGNER

Georg Wurth vom Hanfverband hat nach eigener Aussage "herzlich gelacht", als er von den Senatsplänen erfuhr. "Das ist völlig unrealistisch, die Leute werden weiter konsumieren. Die Polizei hat Besseres zu tun, als Kiffern hinterher zu rennen." Jonas Schemmel, Grünen-Fraktionsvorsitzender in der BVV Kreuzberg, sprach von "blindem Aktionismus" des Senats: "Natürlich besteht Handlungsbedarf, aber damit trifft man die Gelegenheitskonsumenten. Im schlimmsten Fall werden die Dealer verdrängt und handeln dann nicht mehr im Park, sondern in den Eingängen der Wohnhäuser."

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