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Die Bergmannstraße ist Ausgehviertel, Fahrradverbindung und beliebter Wohnkiez. Das schafft Konflikte.
© Kai-Uwe Heinrich

Verkehrsplanung in Berlin-Kreuzberg: Im Bergmannkiez gibt's Krach um die Begegnungszone

Die Bergmannstraße soll „Begegnungszone“ werden – die Onlinedebatte startet in die zweite Runde. Die Maaßenstraße in Schöneberg ist für viele ein eher abschreckendes Beispiel.

Das Pilotprojekt Begegnungszonen steuert – begleitet von massiver Kritik – in eine entscheidende Phase. Für die Bergmannstraße in Kreuzberg beginnt am heutigen Dienstag die zweite Runde der Bürgerbeteiligung. Jetzt werden online konkrete Gestaltungsentwürfe vorgestellt, die „von den Bürgern diskutiert, kommentiert und ergänzt werden können“, wie es in einer Mitteilung des Senats heißt. Am 4. März können Anwohner in einer großen "Bürgerwerkstatt" im Columbia-Theater Planungsideen beisteuern und Kommentare abgeben.

Dass es schon konkretes Anschauungsmaterial gibt – die Begegnungszone in der Schöneberger Maaßenstraße – macht die Arbeit der Senatsplaner nicht einfacher. An der Maaßenstraße entzündet sich seit Monaten massive Kritik. Nun wollte eine Initiative dazu rund 1000 Protestunterschriften an Bezirksbürgermeisterin Angelika Schöttler (SPD) übergeben. Sprecherin ist die Anwohnerin Ayo Gnädig. Sie lässt kein gutes Haar an der Zone.

Die Zone ist "völlig misslungen"

Auf den Metallbänken hielten sich vor allem Obdachlose auf, die mit Fußspuren markierten Straßenquerungen verleiteten Kinder zum Rennen, Blinde und Rollstuhlfahrer würden verwirrt statt geleitet und einige Läden müssten wegen ausbleibender Kundschaft bereits schließen. „Ein Desaster“, sagt Gnädig und verweist auf den Braunschweiger Stadtplaner Walter Ackers, dessen Familie ein Haus in der Nachbarschaft besitzt. Ackers hält das Pilotprojekt für „völlig misslungen“. Schon das Wort Begegnungszone sei falsch. Urbanität werde in Berlin durch seine breiten Bürgersteige geschaffen.

Wenn es Probleme mit Autofahrern gebe, die durch Tempo-30-Zonen rasten, solle man sie durch Kontrollen zur Räson bringen. Für Radfahrer hätten Streifen am Fahrbahnrand gereicht. Viele Cafébetreiber und Ladenbesitzer hatten die für 700.000 Euro eingerichtete Zone von Anfang an abgelehnt und fühlen sich jetzt bestätigt.

Die Bergmannstraße ist eine der letzten wirklich funktionierenden Geschäftsstraßen traditioneller Bauart in einer Umgebung kleinteiliger Wohnbebauung in der Innenstadt. Eine solche Straße mit "moderner" Straßenmöblierung zu verschandeln ist eine bauliche und ästhetische Zumutung.

schreibt NutzerIn urak

"Bitte! Bitte! Keine Maaßenstraße hier"

Im Onlineforum zur Bergmannstraße finden sich ähnliche Kommentare: „Bitte! Bitte! Keine Maaßenstraße hier, im Bergmannkiez. Man möchte in einem schönen Ort wohnen bleiben statt in einem toten und unattraktiven ohne jegliche Individualität und Menschlichkeit!“ – „Die in der Maaßenstraße realisierte sogenannte ,Begegnungszone’ ist eine von Fantasielosigkeit, grauenhafter Monotonie und geistiger Versteinerung der Planerhirne zeugende Zone.“

Baustadtrat Daniel Krüger (CDU) betont, dass es sich um ein Pilotprojekt handele, um „vielfältige Konflikte“ zwischen Fußgängern, Radfahrern, Autofahrern, Gastwirten und Anwohnern zu entschärfen. Das zumindest sei gelungen. „Es ist ruhiger geworden“. Dass jetzt weniger Besucher in die Straße kommen, glaubt er nicht. Ob es Umsatzeinbußen bei den Händlern auch am Winterfeldtplatz gebe, könne noch gar nicht beurteilt werden. „Da müssen wir erst mal die Schönwetterphase abwarten.“

Kaum noch Platz auf den Bürgersteigen

Probleme mit Rasern, die ihr getuntes Blech vorführen, gibt es auch in der Bergmannstraße. Radfahrer und Fußgänger fühlen sich den Autofahrern oft schutzlos ausgesetzt. Auf den Bürgersteigen gibt es zwischen Cafétischen, Kinderwagen und Fahrrädern kaum noch Platz zum Flanieren. Die Initiative „Leiser Bergmannkiez“ kämpft dafür, den Durchgangsverkehr zu reduzieren, vor allem in Nord-Süd-Richtung über Zossener und Friesenstraße. Einer Begegnungszone stehen sie eher neutral gegenüber.

Ich erlebe die Bergmannstrasse schon heute als eine Art "Begegnungszone" - allerdings eine der ungeplanten Art. Der Autoverkehr bremst sich durch Zweite-Reihe-Halten selbst aus. Fußgänger überqueren oder begehen die Straße teilweise mit beachtlicher Gelassenheit. Ampeln haben empfehlenden Charakter und über allem schwebt der (urbane?) Geist eines Latte-Macchiato Soziotops.

schreibt NutzerIn Lische

Bergmannkiez-Sprecher Hans-Peter Hubert findet die Maaßenstraße ästhetisch auch misslungen, „verkehrstechnisch aber gar nicht schlecht gelöst“. Dass weniger Parkplätze und Autoverkehr längerfristig zu Umsatzeinbußen führen, glaubt er nicht. Die Verwaltung habe aus der Maaßenstraße gelernt und biete den Gewerbetreibenden jetzt gesonderte Anhörungstermine. Wenn niemand eine Begegnungszone wolle, sagt Hubert, dann werde es auch keine geben, das habe das Bezirksamt zugesichert. Als dritte – und vorerst letzte – Begegnungszone haben die Verkehrsplaner den Checkpoint Charlie auserkoren. Hier gibt es schon jetzt ein regelloses Begegnen von Reisegruppen, Flyerverteilern, Bus-, Auto- und Radfahrern. Größere Unfälle wurden bislang nicht gemeldet. Walter Ackers plädiert dafür, lieber die Finger vom Checkpoint zu lassen, schon allein aus Respekt vor seiner Geschichte.

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