Zehlendorf: Norbert Schmidt, CDU-Urgestein, geht in Rente: "Ich missioniere nicht!"
Von der schwierigen Kindheit über den Taxi fahrenden Referendar zum Stadtrat - das Leben von Norbert Schmidt war ereignisreich. Nun geht der CDU-Politiker in Rente. Dem Tagesspiegel-Zehlendorf erzählt er, wie Willy Brandt und Richard von Weizsäcker ihn beeinflussten.
Frische Luft. Bewegung. Oft kommt er mit dem Fahrrad ins Büro. „Wenngleich man es auf den ersten Blick nicht vermutet, aber ich fahre sehr gern Rad“, verrät Norbert Schmidt (CDU) mit einem Schmunzeln. Dabei pendelt der Bezirksstadtrat zwischen zwei Büros, einem im Rathaus Lankwitz in der Abteilung Soziales und einem im Rathaus Zehlendorf in der Abteilung Stadtentwicklung. Ab Sommer wird sein Fahrrad jedoch nicht mehr vor den Rathäusern stehen. Im Juni feiert er seinen 65. Geburtstag und geht dann zum Ende des Monates in den Ruhestand. Leichten Herzens. „Denn ich sehe mich als Glückskind“, resümiert er im Interview mit dem Tagesspiegel Zehlendorf. Zwar habe er auch schwierige Zeiten erlebt – eine nicht ganz einfache Kindheit, eine Scheidung, politische Tiefschläge - alles in allem habe sich aber viel Gutes ergeben, vieles gefügt.
„Denn ich habe ganz wenig im Leben angestrebt“, sagt er. Und so wirkt der scheidende Bezirksstadtrat von Steglitz-Zehlendorf in der Tat entspannt und mit sich im Reinen, nimmt sich Zeit für das Gespräch, trinkt Kaffee. Gelegentlich schiebt er den Papierkorb neben sich ein Stück beiseite, als wolle er etwas in eine andere Position rücken, die Gedanken ordnen. Viele seiner Sätze beginnen mit: „Jetzt, wo Sie das ansprechen, fällt mir Folgendes ein…“
Und dann fängt er an, zu erzählen: Episoden aus seinem Leben, von der ersten Liebe, dass er in der Schule nicht versetzt wurde, von einer besonderen Begegnung mit dem kürzlich verstorbenen, ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker (CDU) und, wie er Bezirksstadtrat von Steglitz-Zehlendorf wurde.
Schmidt kam in die Bezirkspolitik des Berliner Südwestens quasi als „Zugereister“. Zwar lebt der gebürtige Berliner schon seit etwa 20 Jahren mit seiner Familie hier, politisch verwurzelt ist er jedoch in Tiergarten; heute Bezirk Mitte. Dort hat er seine ersten politischen Gehversuche gemacht, war Bürgerdeputierter, Bezirksverordneter, Vorsteher der Bezirksverordnetenversammlung, Fraktionsvorsitzender und später mit erst 36 Jahren Bezirksstadtrat für Volksbildung, wie es damals hieß.
In Steglitz-Zehlendorf hingegen war er politisch zunächst nicht aktiv; zumindest nicht bis zu dem Zeitpunkt, als ihn Karl-Georg Wellmann, Mitglied des Deutschen Bundestages und der CDU Steglitz-Zehlendorf, anrief und fragte, ob er sich vorstellen könne, als Bezirksstadtrat zu kandidieren. Es sei durchaus nicht unüblich, für so einen Posten jemanden „von außen“ vorzuschlagen
"Mir ist aufgefallen, dass die Uhren hier anders ticken"
„Ich sagte sofort ja“, erinnert sich Schmidt. Denn damit sollte sich für ihn ein beruflicher Kreis schließen. Nachdem er bis dahin 15 Jahre in verschiedenen Funktionen der Verwaltung des Berliner Senates gearbeitet hatte - er war unter anderem Pressesprecher der CDU-Innensenatoren Dieter Heckelmann und Eckart Werthebach und Referatsleiter der Senatsverwaltung für Inneres - wollte er wieder politische Verantwortung übernehmen. Dass es kein Heimspiel werden würde, habe ihn nicht verschreckt. „Ich brauche nicht diese Nestwärme“, gibt er offen zu. „Meine Familie, insbesondere meine Frau und die Kinder geben sie mir.“ 2006 wurde Norbert Schmidt dann zum Bezirksstadtrat für Soziales und Stadtentwicklung in Steglitz-Zehlendorf gewählt und 2011 in diesem Amt bestätigt.
„Mir ist schnell aufgefallen, dass die Uhren hier anders ticken, nicht zwingend langsamer, aber anders“, beschreibt er und geht noch einen Schritt weiter, indem er sagt, dass in Steglitz-Zehlendorf ein anderes Koordinatensystem gelte. Er habe viele hilfsbereite Menschen getroffen. Hier sei das bürgerschaftliche Engagement, das Verantwortungsgefühl gegenüber der Gesellschaft, ausgeprägter als woanders.
„Die Bürger verstehen sich nicht nur als solche, die nehmen, sondern auch als solche, die etwas zu geben haben“, sagt Schmidt. Demgegenüber beschäftigten sie sich manchmal aber auch nur mit vermeintlichen Problemen. Wenn zum Beispiel ein neues Haus mit 20 Wohneinheiten gebaut werde, gehe bei den Anwohnern sofort die Angst um, dass die Parkplätze knapp würden. „Ein Blick nach Neukölln oder Mitte genügt jedoch, um zu sehen, dass das Luxusprobleme sind.“
Norbert Schmidt wuchs im Hansaviertel in Tiergarten auf. Sein Vater starb, als er neun Jahre alt war. Fortan lebte er mit der Mutter allein. Sie arbeitete als Sekretärin in einer Schule, sechs Tage in der Woche, samstags bis 12 Uhr. Er bezeichnet sich als sogenanntes Schlüsselkind: ein Kind, dem der Wohnungstürschlüssel um den Hals gehängt wird, damit es nach der Schule allein nach Hause gehen kann. „Es war nicht einfach, anstrengend würde ich sagen, aber auch nicht unschön“, schaut Schmidt zurück. Er sei schnell erwachsen geworden, schon mit 17 Jahren in eine eigene Wohnung gezogen.
"Ich war ein Heißsporn"
„In der Schule war ich wahrlich nicht fleißig und gefiel mir als Klassenclown“, erinnert er sich. Ein Lehrer habe einmal gesagt, dass er könnte, wenn er wollte. Stattdessen blieb Norbert Schmidt sitzen, weil er sich in seine hübsche Banknachbarin verliebte. „Anstatt dem Unterricht zu folgen, habe ich immer nur sie angeschaut.“ Jetzt schmunzelt er wieder, greift nach dem Papierkorb und zieht ihn ein Stück zu sich heran. Der Kaffee ist inzwischen kalt. Er schenkt neuen nach, aus einer Thermoskanne.
„Meine Mutter glaubte aber fest an mich“, fährt er fort. „Sie schickte mich für das Abitur auf eine Privatschule, dort platzte sprichwörtlich der Knoten.“ 1971 begann Norbert Schmidt an der Technischen Universität Berlin Geschichte, Literaturwissenschaften und Philosophie auf Lehramt zu studieren. Zur selben Zeit trat er in die CDU ein. Im Grunde sei die Ostpolitik von Willy Brandt (SPD), der 1969 bis 1974 Bundeskanzler war, Schuld gewesen. Deutschland hat nach dem Zweiten Weltkrieg viel hergeben müssen, zum Beispiel die sogenannten Ostgebiete, allerdings nichts dafür zurückbekommen, erklärt er seine damalige Intention. „Ich war gerade 21 Jahre alt, ein Heißsporn. Heute denke ich natürlich anders, denn vor der Geschichte hat Willy Brandt Recht behalten.“
Er fuhr 12 Stunden am Tag Taxi
Um die Zeit zwischen seinem abgeschlossenen Studium und dem Referendariat zu überbrücken, fuhr Schmidt Taxi, zwölf Stunden am Tag, manchmal auch nachts. Da war er bereits zum ersten Mal verheiratet, das erste Kind kam. Insgesamt hat er zwei Söhne. Die Familie wohnte in Moabit, in einer Zweizimmerwohnung. Er musste Geld verdienen.
Parallel engagierte sich Schmidt in dieser Zeit auch schon politisch; in Tiergarten. Die Wahlen 1981 in West-Berlin brachten schließlich einen Regierungswechsel. Richard von Weizsäcker wurde Regierender Bürgermeister, die CDU stellte alle Senatoren. Personal wurde gebraucht. „Unser Parteivorsitzender in Tiergarten fragte mich, ob ich nicht Lust hätte, im Senat zu arbeiten“, erzählt Schmidt. „Klar hatte ich Lust!“ Fortan war er Pressereferent des damaligen Senators für Gesundheit und Soziales, Ulf Fink.
Herr von Weizsäcker, wie sind Sie immer pünktlich?
Während seiner Zeit in der Senatsverwaltung hatte er später verschiedene Aufgaben. Unvergessen ist für Norbert Schmidt, als er in der Innenverwaltung Referatsleiter für Zivil- und Katastrophenschutz war; auch am 11. September 2001, als in New York die Twin Towers einstürzten. „In der Folge haben wir für unsere Stadt ein Vorsorge-, Hilfs- und Rettungssystem entwickelt, das sehr ordentlich ist“, sagt er. Die Herausforderungen dieser Jahre seien für ihn die anspruchsvollsten in seinem Berufsleben gewesen.
Und dann fällt ihm noch eine Begegnung mit Richard von Weizsäcker im Rathaus Schöneberg ein - viele Jahre zuvor - die ihn jedoch beeindruckt und geprägt hat, wie er betont. Der damalige Regierende Bürgermeister sei grundsätzlich pünktlich gewesen; keine Minute zu früh oder zu spät. Wie machen Sie das, habe ihn Schmidt gefragt. Richard von Weizsäcker sagte: „Das ist meine Referenz an meinen Gesprächspartner. Damit zeige ich ihm, dass ich ihn achte.“
Dem Gegenüber mit Wertschätzung zu begegnen, ist auch Norbert Schmidt wichtig. „Zwar vertrete ich jeweils meinen Standpunkt und biete meine Position an, aber ich missioniere nicht“, beschreibt der CDU-Politiker sich selbst. Wenn er bald in den Ruhestand geht, wird es sicher ruhiger um ihn werden. Einige Anfragen, an anderer Stelle tätig zu sein, liegen schon auf seinem Tisch. Wofür auch immer sich Norbert Schmidt entscheidet: „Keine Opportunitäten mehr, meine zwei Enkel auf dem Weg in das Leben begleiten und natürlich viel mehr Zeit für das Radfahren!“
Die Autorin Anett Kirchner ist freie Journalistin, wohnt in Steglitz-Zehlendorf, und schreibt als lokale Reporterin regelmäßig für den Tagesspiegel Zehlendorf. Folgen Sie Anett Kirchner auch auf Twitter.