Zehlendorferin half Kindern in der Republik Moldau: „Ich habe meine Komfortzone verlassen“
Nach dem Abitur ein Jahr ins Ausland - davon träumen viele Schulabgänger. Unsere Autorin wagte den Schritt und ging für ein Freiwilliges Soziales Jahr in die Republik Moldau. Hier erzählt sie von ihren Erlebnissen.
Drei Monate lang durfte ich in dem kleinen Land Moldova – auch bekannt als Republik Moldau – im östlichen Europa leben und arbeiten. Mein Zuhause tauschte ich gegen die erste eigene Wohnung, die Schule gegen Arbeit, meine langjährigen Freundschaften gegen neue Bekanntschaften, Deutsch gegen Rumänisch, Zehlendorf gegen ein richtiges Dorf und den Alltag gegen Abenteuer. Von dem einen auf den anderen Tag war ich auf mich allein gestellt und sollte nicht nur für mich, sondern gemeinsam mit einem anderen Mädchen auch für 25 Kinder verantwortlich sein; in einem Kinderheim der Hilfsorganisation ADRA in der Nähe der Hauptstadt Kischinau.
Langweilig wurde es mir nie. Auch nach Wochen kehrte keine Routine ein, da alles zu aufregend war. Anfangs versuchte ich tagsüber so viel wie möglich aufzunehmen und zu verarbeiten, abends kämpfte ich mit dem Heimweh. Erst in den ruhigen Momenten wurde mir bewusst, was ich hier gerade eigentlich tat. Und auch wenn ich mich wirklich gut auf dieses Jahr vorbereitet hatte, wurde ich immer wieder überrascht.
Unsere Aufgabe bestand darin, das Personal zu unterstützen, die Kinder zu unterhalten, mit ihnen Hausaufgaben zu machen, zu spielen und ihnen ein Vorbild zu sein. Wir erledigten alle Arbeiten, die eben gerade so anfielen. Die ersten Wochen war die Sprachbarriere noch hoch und ich fühlte mich oft fehl am Platz und hilflos, aber schon bald bin ich richtig gerne zur Arbeit gegangen. Es tat gut, mit Umarmungen begrüßt zu werden und zu sehen, wie sich die Kinder entwickelten oder die Erzieher dankbar für unsere Hilfe waren. Endlich konnte ich etwas Konkretes machen, hatte Spaß und wurde gebraucht. Aber nach einem langen Tag waren wir auch froh, die Tür im Heim nachmittags hinter uns schließen zu können.
Und am Wochenende hatten wir die Möglichkeit, das Land und die Leute näher kennen zu lernen. Die Menschen in Moldova sind sehr freundlich und Touristen sind eine Sensation, da sich kaum einer in das Land verirrt. Das machte es anfangs schwierig, sich zurechtzufinden. Doch nach einem Monat hatte ich das alles richtig lieb gewonnen: Die kurzen Gespräche beim Einkaufen, die wunderschönen Weinberge, die leckeren Früchte, das sonnige Wetter, den Fluss vor der Haustür, den chaotischen Markt in der Hauptstadt und die abenteuerlichen Busfahrten. Das war einfach typisch Moldova.
"Die Armut ließ mich mehrmals schlucken"
Aber genauso typisch wurde für mich die Armut. Alte Leute, die am Straßenrand ihre eigene Ernte aus dem Garten verkaufen, herumliegender Müll, Hunde und Katzen, die darin Nahrung suchen. Die billigen Preise von ausschließlich importierten Produkten und die Proteste vor dem Regierungsgebäude, da ein Politiker dem Land Geld gestohlen hatte. Diese Armut überall auf der Straße und auch im Kinderheim zu sehen und zu spüren, ließ mich mehrmals schlucken und unseren westlichen Standard noch einmal überdenken. Als ich mein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) geplant hatte, dachte ich zuerst an Afrika, aber man muss nicht einmal den Kontinent verlassen, um auf ein Entwicklungsland zu treffen. Moldova liegt sowohl geografisch, als auch politisch gesehen zwischen der Ukraine und Rumänien. Als junges Land muss es sich noch entscheiden, wo es einmal stehen will.
Wir entschieden uns dafür, Rumänisch zu lernen. Russisch wird zwar auch viel gesprochen, allerdings hätten wir dafür ein neues Alphabet lernen müssen. Und es gibt nur Wenige, die Englisch sprechen können. Die Grundlagen der rumänischen Sprache lernten wir mit Handy und Wörterbuch und dort vor Ort mit einem Sprachkurs und natürlich mit den Kindern. Durch sie haben wir schnelle Fortschritte gemacht. Es war toll, das Gelernte gleich anzuwenden, immer mehr zu verstehen und die Grenzen der Zeichensprache auszutesten.
Mein FSJ fand dann jedoch ein schnelleres Ende als eigentlich geplant. Aufgrund einer Krankheit bin ich schon nach drei Monaten nach Hause zurückgekehrt. Als ich wieder in Zehlendorf war, habe ich hier mit einem Rumänischkurs angefangen, um nicht alles wieder zu vergessen. Aber es ist nun einmal etwas anderes, wenn man die Sprache jeden Tag hört, oder nur einmal in der Woche für zwei Stunden. Doch durch den Kurs lernte ich die Organisation Moldovahilfe e. V. kennen, durch die ich das Kinderheim nach ein paar Monaten noch einmal besuchen konnte. Und auch wenn es komisch klingt: Es war ein bisschen, wie nach Hause zu kommen. Die Freude der Kinder über meinen Besuch hat mich glücklich gemacht und mir gezeigt, dass ich das Richtige getan hatte. Vielleicht habe ich ihr Leben nicht grundlegend verändert, aber ich war für sie da und das hat ihnen gereicht.
Auch wenn ich das Jahr abbrechen musste, weiß ich, dass ich die Möglichkeiten genutzt habe. Nicht jeder bekommt die Chance, ein FSJ zu machen und ich bin froh, dass sie mir gegeben wurde. Diese Einstellung hat mir geholfen, die ganzen Hürden in Form von verspäteten Flügen, verloren gegangenen Handys, Heimweh, aggressiven Hunden, dickköpfigen Kindern und gesundheitlichen Problemen zu bewältigen.
Aber man kann auch nicht immer positiv bleiben. Ein Auslandsaufenthalt ist definitiv kein Spaziergang. Nicht selten habe ich meine Komfortzone verlassen müssen und meine Grenzen überschritten, wovor wir schon bei der Vorbereitung gewarnt wurden. Auf bestimmte Dinge kann man sich aber nicht vorbereiten. Den Respekt der Erzieher und Kinder mussten wir uns erst verdienen und an die anderen Erziehungsmethoden uns erst gewöhnen. Man muss die neue Kultur erst entdecken, sie dann erleben und am Schluss verstehen. Zum Beispiel habe ich auch häufig Dinge hingenommen, bei denen ich anderer Auffassung war.
In kritischen Momenten half es mir, zu wissen, dass ich nur für begrenzte Zeit da sein würde. Auch wenn Moldova für diese drei Monate mein Heim war, ist mein richtiges Zuhause in Zehlendorf. Hier bin ich aufgewachsen und auch wenn es vielleicht manchmal nicht so aufregend erscheint, ist es mir vertraut. So habe ich mein Zuhause noch mehr zu schätzen gelernt. Und ich habe auch noch etwas anderes für meine berufliche Zukunft gelernt: Ich will mit Kindern arbeiten und von ihnen lernen – als Kinderärztin. Schon vor dem FSJ wusste ich, dass ich Medizin studieren möchte. Und die Kinder im Kinderheim haben es oft geschafft, mich zum Lachen zu bringen und mich im Allgemeinen glücklicher zu fühlen. Ich habe sehr viel mehr von ihnen bekommen, als ich ihnen geben konnte und genau das ist es, was ich an Kindern so liebe. Ich bin unglaublich dankbar, dass ich diese drei Monate hatte.
Emily Kopera ist in Zehlendorf aufgewachsen und hat ihr Abitur am Schadow-Gymnasium gemacht. Bevor sie Medizin studieren und später Kinderärztin werden möchte, machte sie ein Freiwilliges Soziales Jahr in einem Kinderheim in der Republik Moldau; auch genannt Moldawien.
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Emily Kopera