Gastkommentar zur Sexismus-Debatte: Herr Martenstein, Bikini-Werbung wird nicht verboten!
Friedrichshain-Kreuzberg will sexistische Werbung auf bezirkseigenen Werbeflächen nicht mehr zulassen. Harald Martenstein erinnert das an Nordkorea und die Taliban. Hier antwortet Susanne Hellmuth, Vorsitzende des Ausschusses für Frauen, Gleichstellung und Queer.
Lieber Harald Martenstein,
Sie fantasieren also von heimlich putzenden Heten in dunklen Kellern? Kein Problem, jede*r nach seiner Façon! Nichts anderes meinen wir, wenn wir da etwas steif vom "Ideal eines emanzipierten, bewussten und nachhaltigen Lebens" schreiben. Zugegeben: Klingt ein wenig nach Soziologie-Seminar, aber mussten Sie uns deswegen gleich zu kiffenden Talibankämpfer*innen machen? Nur weil wir nicht einer Meinung sind? Sie mokieren sich über ein "Verbot von sexistischer Werbung." Wir fragen uns, warum darf es sexistische Werbung auf der Straße überhaupt geben? Sie plädieren für Vielfalt? Wir sagen, Werbung ist leider nicht vielfältig, aber das Leben.
Denn auch wir Antragssteller*innen – allen voran die Bürgerinitiative – sind eigentlich nur genau die, die sie am Samstagnachmittag in Friedrichshainer oder Kreuzberger Straßen zum Wochenendeinkauf hetzen sehen: jung und alt, dick und dünn, mit sichtbarem, unsichtbarem oder gar keinem Migrationshintergrund. Na gut, ihre geliebte Hausfrau ist grad nicht dabei, aber die Vielfalt an Lebensentwürfen, die sie so preisen, ist abgedeckt. Sie wären begeistert! Beim Einkaufen kommen wir aber an ziemlich öder Werbung vorbei. Von der realen Vielfalt keine Spur. Schade, aber nicht zu ändern. Was wir aber ändern wollen: Werbung, die Menschen voll runtermacht. Und dass nur, weil sie ne Frau oder schwul oder ne Transe sind (Wir wollten ja weniger Soziologie-Seminar = weniger Missverständnisse).
Brauchen wir halbnackte Frauen bei Autoreifen-Werbung?
Auch wenn Bikini-Werbung nicht grade bekannt ist für Kreativität oder Vielfalt: Wir haben nichts dagegen. (Achtung: Kein Verbot!) Sexistisch ist Werbung erst dann, wenn "weibliche oder männliche (!) Körper ohne direkten inhaltlichen Zusammenhang zum beworbenen Produkt" dargestellt werden. Denn hier werden Menschen zu Deko und damit reduziert. Sexistisch sind Bilder, die Menschen abwerten. Also: Bikini-Werbung = voll ok. Aber mal Hand aufs Herz: Brauchen Sie bei der Entscheidung, welche Autoreifen es sein sollen, eine halbnackte Frau, die sich darauf räkelt?
Eine Hiobsbotschaft haben wir noch: Die Taliban sind jetzt auch schon in Österreich! Dem Antrag liegt nämlich die Definition von sexistischer Werbung des dortigen Werberats zugrunde. Und: Solange die diplomatischen Beziehungen nach Nordkorea (und unser Koreanisch!) noch so unterentwickelt sind, mussten wir woanders abschreiben: In totalitären, exotischen Städten wie Wuppertal, Marburg, Bremen und Ulm. Da ist nämlich die Idee mit den Vertragsklauseln für Werbeflächen in öffentlichem Eigentum längst Realität.
Aber wir werden alle Missverständnisse ausräumen. Schließlich hat noch kein Antrag aus unserer Bezirksverordnetenversammlung so ausführliche Textkritik erfahren. Wir nehmen die Chance an, einen klareren Antragstext zu beschließen, aber vor allem weiter Sexismus zu kritisieren – in der Werbung und in der Gesellschaft. Versprochen! Wenn sie Lust haben mit uns über den Weg in eine bessere Welt ohne Ungleichheiten zu fantasieren: Kommen Sie doch mal in eine unserer öffentlichen Ausschusssitzungen. Am 20. Februar sind auch der Deutsche Werberat und die Initiative PinkStinks zu Gast. Bis dahin!
Susanne Hellmuth (Bündnis 90/Die Grünen) ist Vorsitzende des Ausschusses für Frauen, Gleichstellung und Queer der BVV Friedrichshain-Kreuzberg.
Dieser Artikel ist ein Gastbeitrag für den Kreuzberg Blog, das hyperlokale Online-Magazin des Tagesspiegels, und bezieht sich auf den Kommentar von Harald Martenstein "Verbot von sexistischer Werbung - Wie bei den Taliban!".
Susanne Hellmuth