Flüchtlinge in Steglitz-Zehlendorf: Gespräche statt Ängste
Im Sommer, wenn die ersten Containerunterkünfte fertig sind, werden in Steglitz-Zehlendorf rund 1500 Flüchtlinge leben. Aber weitere Unterkünfte werden schon hergerichtet. Der Tagesspiegel-Zehlendorf hat sich umgesehen und fasst hier die aktuelle Lage zusammen.
Was kommt wirklich auf uns zu, wenn plötzlich Hunderte Flüchtlinge, die zusammen in einer Containerunterkunft auf engem Raum wohnen, unsere Nachbarn werden? Ist das Neue spannend und interessant oder überwiegt die Angst vor dem Unbekannten? Fragen, die sich derzeit vermutlich Viele in Steglitz-Zehlendorf stellen. Im August werden die ersten Flüchtlinge in die Gemeinschaftsunterkünfte am Ostpreußendamm in Lichterfelde und am Hohentwielsteig in Zehlendorf einziehen. Die Bauarbeiten an beiden Standorten laufen auf Hochtouren; die Container stehen bereits. Insgesamt bieten beide Unterkünfte künftig Platz für 640 Frauen, Kinder und Männer aus Krisenregionen.
Damit die Anwohner mit ihren Fragen nicht allein gelassen werden und um für die Flüchtlinge eine Willkommenstruktur zu entwickeln, begleiten das Stadteilzentrum Steglitz und die Villa Mittelhof im Auftrag der Senatsverwaltung diesen Prozess. Ende letzten Jahres, als kurzfristig in der Turnhalle an der Lippstädter Straße in Lichterfelde eine Notunterkunft eingerichtet werden musste, konnte das Stadtteilzentrum Steglitz bereits erste Erfahrungen sammeln. Geschäftsführer Thomas Mampel erinnert sich: Eine Anwohnerin und Mutter habe sich Sorgen um ihre beiden halbwüchsigen Töchter gemacht. Jugendliche Flüchtlinge, vor allem Männer, hätten die Mädchen beim Vorbeigehen an der Turnhalle unziemlich angesprochen. „Wie kann ich meine Kinder beschützen?“ Die Mutter sei sehr aufgebracht gewesen.
Sie versuchen, die Ängste der Leute im Kiez abzubauen
Daraufhin habe man ein Treffen der Mädchen mit den Jungen und einem Dolmetscher im „Kieztreff“ in Lichterfelde organisiert. Eine Begegnung, die offensichtlich Spuren hinterlassen hat. Denn danach engagierten sich die beiden Töchter der ängstlichen Mutter ehrenamtlich für die Flüchtlinge in der Notunterkunft. „Diese Geschichte klingt jetzt vielleicht kitschig, ist aber wirklich so passiert und beispielhaft“, schildert Mampel. Bevor solche Situationen eskalierten, seien Gespräche eine gute Lösung.
Und er berichtet weiter: Einige Ehrenamtliche seien in der Notunterkunft eines Tages frustriert gewesen. Denn jeder Flüchtling habe ein Handy und beschäftige sich nur damit. „Die brauchen uns ja gar nicht“, hätten die Helfer gesagt. Doch im Gespräch sei später deutlich geworden, dass das Handy oft das wichtigste und einzige Kontaktmittel zu den Familien in der Heimat der asylsuchenden Menschen ist. Gegenseitiges Verständnis löste hier offenbar den Knoten.
Um die Anwohner entsprechend in den Aufbauprozess der Flüchtlingsunterkünfte einzubeziehen, organisieren die Villa Mittelhof und das Stadtteilzentrum Steglitz mehrere Info-Veranstaltungen; wie kürzlich im Rathaus Zehlendorf. Dort tauchte unter anderem die Frage auf: Wird die Kriminalität steigen? Die Antwort der Berliner Polizei sei gewesen: „Es gibt bislang keine Hinweise auf ein signifikantes Ansteigen der Kriminalität im Umfeld von Flüchtlingsunterkünften.“
Wann genau wer kommt, weiß niemand
Doch neben den ängstlichen und besorgten Stimmen gibt es auch eine Vielzahl von Menschen in Steglitz-Zehlendorf, die helfen möchten. Für Patenschaften, zur Begleitung der Flüchtlinge bei Behördengängen oder Arztbesuchen und für das Sortieren von Sachspenden werden Ehrenamtliche unter anderem gebraucht. Etwa 40 Helfer haben sich schon bei den beiden sozialen Trägern jeweils gemeldet. Es dürfen gern mehr werden, motiviert Gerald Saathoff, der Leiter der Villa Mittelhof. Man will bestmöglich vorbereitet sein. Denn wie viele Menschen, wann genau, aus welchen Ländern und mit welchen Bedürfnissen kommen, wisse bislang niemand.
Bei der Unterkunft am Hohentwielsteig, die von der Villa Mittelhof begleitet wird, kommt erschwerend hinzu, dass der Betreiber der Einrichtung noch nicht feststeht. Eine Entscheidung des Landesamtes für Gesundheit und Soziales (Lageso), welches für die Unterbringung von Flüchtlingen in Berlin zuständig ist, lässt auf sich warten. „Trotzdem planen wir, soweit es geht, sammeln Ideen, schaffen Strukturen, schulen unsere Mitarbeiter, nehmen Kontakte zu Vereinen, Kirchengemeinden und Schulen auf“, schildert Saathoff.
Beispielsweise sei bereits der Fußballverein Hertha 03 Zehlendorf im Boot. Es soll Sportangebote für die Kinder, Jugendlichen und allein stehenden Männer der Unterkunft geben. Bei der Flüchtlingseinrichtung am Ostpreußendamm, die das Stadtteilzentrum Steglitz begleitet, steht indes der Betreiber längst fest. Es ist die Neue Treberhilfe (NTH) in Berlin, eine Tochtergesellschaft des Evangelischen Diakonievereines Berlin-Zehlendorf.
Weil diese Unterkunft speziell für traumatisierte und kranke Flüchtlinge konzipiert ist (wir berichteten), sind hier die Vorbereitungen differenzierter als am Hohentwielsteig. Allein die Aufteilung der Räume musste den Bedürfnissen kranker und traumatisierter Menschen angepasst werden. Ein Netzwerk von Ärzten und Therapeuten ist zudem nötig.
Das Willkommensbündnis koordiniert die Ehrenamtlichen
Sämtliche Planungen laufen jeweils im Zusammenspiel zwischen dem Lageso, dem Bezirksamt, den Betreibern und Stadtteilzentren. Hinzu kommt die Unterstützung durch das Willkommensbündnis für Flüchtlinge in Steglitz-Zehlendorf, das vor allem die Arbeit der Ehrenamtlichen koordiniert. Mit etwas mehr als 1000 Unterstützern gehört das Bündnis nach eigenen Angaben zu den größten Initiativen dieser Art in der Region. Die Arbeit wird durch eine Steuerungsgruppe organisiert, zu der unter anderem auch die Villa Mittelhof und das Stadtteilzentrum Steglitz gehören.
Zum einjährigen Bestehen des Willkommensbündnisses findet am kommenden Samstag, 11. Juli, ab 15 Uhr vor dem Gemeindehaus der Evangelischen Paulusgemeinde in Zehlendorf ein Fest statt. Informationen zum Programm gibt es hier in unserem Veranstaltungskalender auf dem Tagesspiegel-Zehlendorf.
Neben den bereits bestehenden festen Unterkünften für Flüchtlinge in der Goerzallee und der Klingsorstraße – dort wohnen derzeit etwa 200 und 110 Menschen – werden in absehbarer Zeit weitere Unterkünfte in Steglitz-Zehlendorf entstehen. Bezirksbürgermeister Norbert Kopp (CDU) teilt mit, dass das ehemalige Therapiezentrum am Großen Wannsee 71 kurzfristig ausgebaut werden soll. „Das wird eine sogenannte Ersteinrichtung für 54 Personen“, sagt er. Ferner sei das Bettenhaus des ehemaligen Krankenhauses Heckeshorn - ebenfalls in Wannsee - als Unterkunft für Flüchtlinge geplant. Dort könnten 300 Menschen leben, allerdings dauerten die Umbauarbeiten etwa zwei Jahre.
Darüber hinaus verhandle das Lageso derzeit mit dem Eigentümer des Gebäudes an der Königsberger Straße 36 in Lichterfelde, dem ehemaligen Königswarter Krankenhaus. Wenn es zu einer Einigung komme, könne das Gebäude für 200 Flüchtlinge hergerichtet werden. Die Umbauzeit wird auf ungefähr sechs Monate geschätzt.
Zusammengefasst heißt das: Wenn in diesem Sommer die beiden Containerunterkünfte am Ostpreußendamm und am Hohentwielsteig in Betrieb gehen sowie absehbar nach dem Umbau der genannten Gebäude dort Flüchtlinge einziehen, werden im Bezirk Steglitz-Zehlendorf etwa 1500 Menschen eine Zuflucht finden können.
Die Autorin Anett Kirchner ist freie Journalistin, wohnt in Steglitz-Zehlendorf, und schreibt als lokale Reporterin regelmäßig für den Tagesspiegel Zehlendorf. Folgen Sie Anett Kirchner auch auf Twitter.