Arger über Senat: Flüchtlinge in Steglitz-Zehlendorf: Bezirk fühlt sich übergangen
Auf knapp 1000 soll die Zahl der Asylsuchenden in Steglitz-Zehlendorf bis Anfang 2015 anwachsen. Obwohl dies schon länger bekannt ist, zeigt sich der Bezirk dennoch überrascht. Aus Mangel an Unterkünften sollen nun zwei Containerdörfer gebaut werden.
Die Zahl der Flüchtlinge in Steglitz-Zehlendorf wird sich bis Anfang nächsten Jahres mehr als verdreifachen. Dann leben knapp 1000 Asylsuchende im Berliner Südwesten. Zurzeit sind es etwa 300 Flüchtlinge in drei Unterkünften in der Goerzallee, Klingsorstraße und Wupperstraße. Weil es zu wenige landeseigene Immobilien für die Flüchtlinge gibt, hat die Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales jetzt erklärt, dass zwei Containerdörfer gebaut werden sollen – am Ostpreußendamm für circa 300 traumatisierte und kranke Menschen und am Osteweg für circa 340 Menschen. Im Vergleich zu anderen Berliner Bezirken sind das die meisten Plätze in Wohncontainern.
Bezirk kritisiert intransparentes Vorgehen
„Weil Steglitz-Zehlendorf der Bezirk ist, der bislang die wenigsten Flüchtlinge unterbringt“, erklärt Constance Frey von der Senatsverwaltung. Für den Bezirksbürgermeister von Steglitz-Zehlendorf, Norbert Kopp (CDU), kam die Nachricht mit den Wohncontainern überraschend. Erst kurz bevor der Gesundheitssenator Mario Czaja (CDU) damit an die Öffentlichkeit ging, habe man ihn informiert. Besonders das landeseigene Grundstück am Osteweg 53, ehemaliger Standort der Kopernikus-Schule, sei für ihn nicht absehbar gewesen. Hier sollten Wohnungen entstehen. Dafür gebe es bereits einen entsprechenden positiven Vorbescheid des Bezirkes. „Niemand hat mit uns gesprochen“, sagt Kopp.
Die „wochenlange Geheimhaltung“ der Orte durch den Gesundheitssenator ärgert auch die integrationspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion von Steglitz-Zehlendorf, Tonka Wojahn. „Wir kritisieren diese intransparente Vorgehensweise, da unsere Erfahrung bisher zeigt, dass gerade die rechtzeitige Information und Aufklärung zu einer sehr breiten und positiven Resonanz führen“, sagt sie.
Bei dem Standort Ostpreußendamm 108 ist die Situation anders. Das bezirkseigene Grundstück habe der Bezirk für die Unterbringung von Asylsuchenden angeboten. Weil es sich dort planungsrechtlich um einen Schulstandort handle, sei die neue Nutzung vorübergehend begrenzt auf zehn Jahre. Der Bezirk, so betont Kopp, kann lediglich bedingt Einfluss auf die Entscheidungen nehmen, wo künftig Flüchtlinge leben. Für die Unterbringung der Frauen, Männer und Kinder aus Krisenregionen ist das Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) zuständig.
Da die Zahl der Asylbewerber in Berlin weiter ansteigt und kurzfristig keine geeigneten Bestandsimmobilien verfügbar sind, hat der Liegenschaftsfonds dem Lageso landeseigene Grundstücke für die Wohncontainerdörfer übergeben. Die Kosten für den Bau der insgesamt sechs Dörfer in Berlin belaufen sich auf rund 43 Millionen Euro und wurden dem Lageso nach Beratungen im Senat zur Verfügung gestellt, heißt es. Bauherr ist das Lageso.
Auch das Willkommensbündnis macht sich Sorgen
Über die räumliche Verteilung der Flüchtlinge im Bezirk ist Norbert Kopp nicht glücklich: „Die Unterkünfte liegen zu dicht beieinander.“ Unweit von Ostpreußendamm und Osteweg befinde sich die bereits bestehende Unterkunft in der Goerzallee 307. Seit Sommer leben hier etwa 120 Asylbewerber. Überdies sei ein weiteres Flüchtlingsheim in der Goerzallee 311 angedacht. „Es gibt dann eine hohe Konzentration in Lichterfelde“, sagt der Bürgermeister.
Auch das Team des Willkommensbündnisses in Steglitz-Zehlendorf macht sich Sorgen. „Ich verstehe nicht, dass alle überrascht sind, dass die Flüchtlinge kommen“, sagt Nora Brezger. Die Flüchtlingsbeauftragte im Evangelischen Kirchenkreis Teltow-Zehlendorf erklärt, dass schon lange bekannt gewesen sei, dass die Zahlen steigen würden.
Günther Schulze, ebenfalls vom Willkommensbündnis, ergänzt: „Wichtig bei der Unterbringung ist die soziale Einbindung in das Umfeld.“ Eine Konzentration der Flüchtlinge an einem Ort führe zu einer Stigmatisierung. Das fördere nicht das Miteinander zwischen Nachbarn und Asylsuchenden. Skeptisch sehen die erfahrenen Sozialarbeiter außerdem die Unterbringung speziell in den Wohncontainern. Es könne zu sozialen Konflikten kommen, wenn Menschen mit unterschiedlichen Lebenserfahrungen und zum Teil traumatisiert so dicht beieinander leben.
Mehr als 400 Steglitz-Zehlendorfer heißen die Flüchtlinge willkommen
Dazu erklärt die Senatsverwaltung: „In den Ortsteilen, in denen die Container stehen werden, wird die Arbeit der Stadtteilzentren zusätzlich mit 30.000 Euro pro Quartal gefördert.“ Damit soll auch der Aufklärungsbedarf in der Nachbarschaft abgedeckt werden, ebenso wie das Koordinieren ehrenamtlichen Engagements. Als Betreiber der zwei Containerdörfer sind am Osteweg der Malteser Hilfsdienst und am Ostpreußendamm der Evangelische Diakonieverein Berlin-Zehlendorf vorgesehen.
Für das Koordinieren der ehrenamtlichen Helfer ist im Mai das Willkommensbündnis für Flüchtlinge in Steglitz-Zehlendorf gegründet worden. Hier bringen Vertreter vom Roten Kreuz Berlin Süd-West, Kirchenkreis Teltow-Zehlendorf, Mittelhof, Netzwerk Integration Südwest, Zephir und vom Beirat für Integration ihre Erfahrungen ein. Ziel ist, den Neuankömmlingen Schutz und Perspektiven zu bieten. Mehr als 400 Steglitz-Zehlendorfer haben bislang mit ihrer Unterschrift signalisiert, dass sie die Flüchtlinge im Bezirk willkommen heißen, etwa 100 wollen sich aktiv einbringen. Gebraucht werden beispielsweise Übersetzer, Mediziner, Anwälte, Kinderbetreuer und Pädagogen.
Die Autorin Anett Kirchner ist freie Journalistin, wohnt in Steglitz-Zehlendorf, und schreibt seit Januar 2014 als lokale Reporterin regelmäßig für den Zehlendorf-Blog des Tagesspiegels.
Wer beim Willkommensbündnis mitmachen möchte, kann sich direkt bei Günther Schulze per E-Mail melden unter: WillkommensbuendnisSteglitzZehlendorf@gmx.net