Flüchtlinge in Berliner Turnhallen: "Es ist der Wahnsinn, dass es so lange dauert"
Seit Sonntagabend protestieren Bewohner einer Erstunterkunft in Dahlem gegen die Unterbringung in einer Turnhalle. Sie wollen endlich eigene Zimmer.
Am Weihnachtsbaum in der Ecke glimmen die Glühbirnchen, erleuchten matt die bunten Kinderzeichnungen im Vorraum des Cole Sports Center. Das Frühstücksbüfett ist an diesem Vormittag noch aufgebaut: Salami, Käse in Scheiben, sehr viele Tomaten. Ein kleines Mädchen mit Pferdeschwanz kommt aus der Damentoilette, in der Hand eine Zahnbürste und Zahnpasta, geht durch die halb geöffnete Türe in die Turnhalle: Weiße, zwischendurch auch farbige Bettlaken schirmen lange Reihen Doppelbetten notdürftig voneinander ab.
Im Vorraum stehen etwa ein Dutzend junge Männer an einem Tisch, schreiben mit schwarzem Stift auf Deutsch und Englisch auf geviertelte Laken: „Seit einem Jahr leben wir hier. Wir glauben das reicht.“
Seit Oktober 2015 gibt es die Notunterkunft in der Turnhalle am Hüttenweg 43 in Dahlem, seit diesen 14 Monaten leben die meisten der 140 Geflüchteten hier. Seit Sonntagabend protestieren sie nun gegen die Dauer und die Umstände ihrer Unterbringung. Die Bewohner befänden sich nicht im Hungerstreik, sagt der Iraker Mufed Tapany in flüssigem Englisch, seit Sonntagabend essen aber einige Bewohner nicht mehr das Essen, das die Heimleitung ausgibt. Es gebe jeden Tag Reis, und das Fleisch… – ein junger Syrer stemmt dazu einen Fuß auf den Boden und zerrt mit beiden Händen an einem imaginären Stück Fleisch.
Dabei sei es die ersten sechs Monate nicht schlimm gewesen, sagt Mufed. „Aber wir sind nun schon so lange hier; man hat uns immer wieder versprochen, dass sich etwas ändert, dass wir ein eigenes Zimmer bekommen - aber nichts ist passiert. Wir wollen keine große Wohnung für uns allein, wir wollen als Familie einen Raum, das reicht uns.“ Mufed lebt hier seit Januar 2016 mit seiner Schwester, seinem Bruder, den Eltern, drei Cousins und der 87jährigen Großmutter, die schon viermal am Herzen operiert werden musste. Man könne hier nicht schlafen, nicht für die Deutschkurse lernen, es sei voll und laut, oft gebe es Streit. Manche Männer wollen mittlerweile zurück in den Krieg in Syrien, sagt er, sie hielten es hier nicht mehr aus.
Zum ersten Mal vor der Haustüre
„Die Bewohner haben vorher auch schon versucht, auf ihre Situation aufmerksam zu machen, sind auf Kundgebungen gegangen“, sagt Heimleiterin Veronica Grossmann zu den Protesten. „Aber nun protestieren sie zum ersten Mal vor der Haustüre.“
Weil die Gemeinschaftsunterkünfte nicht frei werden und die Verfahren so lange dauern, bis die Menschen aus der Notunterkunft in festen Unterkünften untergebracht würden: „Es ist der Wahnsinn, dass es so lange dauert“, sagt Grossmann. Diese Situation sei nicht schön. Sie könne ja nur vermitteln. „Es gab ja schon Ansagen, dass im Sommer hier Schluss sei. Diese Unsicherheit macht die Menschen mürbe.“ Und wie sieht es mit einer Lösung für Härtefälle aus, wie im Falle der 87jährigen herzkranken Großmutter von Mufed? Grossmann breitet nur die Arme weit auseinander, hebt die Schultern.
„Kein Unterschied zwischen Bilderbuchkino und denen da draußen“
Eine junge Frau mit blondem Pferdeschwanz, Laptop und Rucksack betritt Veronica Grossmanns Büro. „Bilderbuchkino“, sagt Grossmann knapp. Man dürfe aber nicht vergessen, dass es keinen Unterschied gebe zwischen Bilderbuchkino für die Kinder und denen da draußen, sie weist aus dem Fenster. Es sei dieselbe Situation. Den Menschen hier in der Turnhalle wäre ja schon geholfen, wenn von 140 auf 100 Bewohner reduziert werden könnte. Weniger Menschen bedeute ein niedrigerer Geräuschpegel.
Auf politischer Seite stelle sie einen Stillstand fest: „Im Wahlkampf tat sich nichts und jetzt ist Weihnachten, machen wir uns nichts vor. Mit dieser Situation tun wir den Geflüchteten nichts Gutes, und auch nicht der einheimischen Bevölkerung. Dabei wissen wir, dass etwa das ehemalige Bundesamt für Risikobewertung in der Thielallee leer steht.“
Auch Günther Schulze vom Willkommensbündnis in Steglitz-Zehlendorf verweist in einer Pressemitteilung auf die Gebäude an der Thielallee in Dahlem, die beispielhaft für die vielen leerstehenden Gebäude im Bezirk stünden, die schon lange als Wohnraum hätten umgebaut werden können: „Über deren Zukunft als Unterkünfte für Flüchtlinge hatte im vergangenen April der damalige Senator Mario Czaja in einer öffentlichen Anwohnerversammlung noch geschwärmt.“ Danach sei das Vorhaben leider sang- und klanglos in der Versenkung verschwunden, so Schulze. Es müsse endlich „Schluss sein mit den seit vielen Monaten andauernden Vertröstungen des Senats über die Schließung dieser Notunterkünfte. Die dort nicht vorhandene Privatsphäre verhindert die Integration der Menschen, die bei uns Schutz und Perspektive suchen."
In der Lissabonallee starten die bauvorbereitenden Maßnahmen
Sascha Langenbach vom Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten sagt dazu am Telefon: „Es tut mir sehr Leid, dass die Menschen gezwungen sind, in dieser Situation zu leben, die es ihnen nicht ermöglicht, ein selbstbestimmtes Leben zu führen.“ Er wolle sich die Situation vor Ort am Hüttenweg ansehen. In den letzten beiden Jahren seien insgesamt 140.000 Menschen nach Berlin gekommen, darunter die jeweils 40.000 Neuberliner, die jedes Jahr aus Deutschland und Europa nach Berlin ziehen. Um Massenobdachlosigkeit unter den Flüchtlingen zu verhindern, habe man Turnhallen akquiriert, aber nun gelte es zu bauen. Derzeit würden in der Lissabonallee die bauvorbereitenden Maßnahmen starten.
Laut der für den Bau verantwortlichen Berliner Immobilienmanagement GmbH (BIM) rechnet man mit der Fertigstellung des Tempohomes in der Lissabonallee „im späten Frühjahr 2017, eventuell auch Mai“, so eine Sprecherin der BIM gegenüber dem Tagesspiegel Steglitz-Zehlendorf.
Das dürfte Mufed und seinen etwa zwei Dutzend Mitstreitern zu lange dauern. Sie halten nun ihre Plakate wie schon gestern und vorgestern hoch: „Wir protestieren jeden Tag, bis das Problem gelöst ist.“
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