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Die Polizei sichert das Gelände der Gerhart-Hauptmann-Schule, wo am Freitagmittag ein Mann erstochen wurde.
© dpa
Update

Nach tödlicher Messerstecherei in Berlin-Kreuzberg: Erneut Gewalt in besetzter Gerhart-Hauptmann-Schule

Nach der tödlichen Messerstecherei in der Gerhart-Hauptmann-Schule hat es erneut einen Gewaltvorfall gegeben. Am späten Freitagabend prügelten sich dort zwei Bewohner. Und wie reagiert die Politik?

Die Lage in der von Flüchtlingen besetzten Gerhart-Hauptmann-Schule bleibt angespannt. Am späten Freitagabend musste erneut die Polizei anrücken: Zwei Bewohner waren etwa 23.30 Uhr in Streit geraten und prügelten aufeinander ein. "Die Nerven der Menschen in der Schule liegen blank", sagte ein Beobachter. Die Stimmung in der Schule sei nach dem Tod eines Flüchtlings sehr angespannt.

Wie berichtet, ist am Freitagmittag ein 29-jähriger Marokkaner in der Gerhart-Hauptmann-Schule getötet worden. Nach derzeitigem Informationsstand waren zwei Bewohner der besetzten Schule in der Reichenberger Straße miteinander in Streit geraten, einer der beiden zog ein Messer und stach seinen Kontrahenten nieder. Das Opfer wurde - anders als zunächst berichtet - von einem Notarzt reanimiert, verblutete aber auf dem Weg in die Klinik. Beim Täter soll es sich um einen 40-Jährigen aus Gambia handeln.

Die Tat ereignete sich gegen 12.15 Uhr in einem Nebengebäude auf dem Schulgelände. "Dort befindet sich die einzige funktionierende Dusche auf dem Gelände", sagte die Bezirkspolitikerin Canan Bayram (Grüne), die gleich nach der Tat in die Ohlauer Straße gefahren war. Auch der Linken-Politiker Hakan Tas eilte zum Tatort. Beide Politiker hatten sich in der Vergangenheit für die Flüchtlinge in der Schule eingesetzt. Polizeisprecher Stefan Redlich bestätigte, dass sich die Tat in einem Duschraum ereignete. Neben dem Duschraum befinden sich noch vier Klassenzimmer in dem Gebäude. Nach Aussage einiger Flüchtlinge soll einer der beiden Männer dem anderen den Zugang zur Dusche verweigert haben.

Mutmaßlicher Täter am Heinrichplatz festgenommen

Der mutmaßliche Täter flüchtete zunächst, wurde aber von einem Sicherheitsmann verfolgt. Er wurde wenig später am Heinrichplatz festgenommen - nicht, wie zunächst berichtet, in der Nähe der Schule. Die Tatwaffe - ein Messer - soll er noch bei sich getragen haben.

Der Notruf aus der Schule erreichte Polizei und Feuerwehr gegen 12.20 Uhr. Die Polizei sperrte die Ohlauer Straße zwischen Reichenberger Straße und Wiener Straße komplett ab. Auch der Eingang zum Hauptgebäude der Schule wurde gesperrt, damit die 6. Mordkommission und die Kriminaltechniker ungestört ermitteln konnten. In der Wiener Straße bezog die 13. Einsatzhundertschaft der Berliner Polizei Stellung - für den Fall, dass es im Rahmen der Ermittlungen auf dem Schulgelände zu Auseinandersetzungen kommt. "Wir haben die Erfahrung gemacht, dass die Unterstützer die Polizeiarbeit behindern", sagte Polizeisprecher Stefan Redlich. Für die Sicherheit in den Gebäuden sei aber der Bezirk zuständig. Das Bezirksamt hatte nach mehreren Gewalttaten auf dem Schulgelände eigens ein privates Unternehmen engagiert, um für die Sicherheit in der Schule zu sorgen.

Bewohnerin der Schule steht unter Schock

Nach der Tat versammelten sich einige Unterstützer vor dem Eingang zur Schule. Eine Bewohnerin der Gerhart-Hauptmann-Schule erlitt durch die Nachricht vom Tod eines Mitbewohners offenbar einen Schock. "Wir bringen uns hier um, und ihr seid Schuld daran!", soll die Frau die ganze Zeit auf dem Schulhof gerufen haben. Immer und immer wieder.

Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) sagte, das Gewaltverbrechen an der Schule mache ihn „betroffen“. An diesem Vorfall werde auf tragische Weise deutlich, „dass die Zustände in der Schule und ihrem Umfeld verändert werden müssen“, sagte Wowereit dem Tagesspiegel. Die Bewohner der Schule sollten das Angebot des Senats für eine anderweitige Unterbringung annehmen.

Monika Herrmann: Türen der Schule sollen künftig geschlossen bleiben

Die Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, Monika Herrmann (Grüne), forderte in einer ersten Reaktion auf die Geschehnisse, dass künftig "die Türen der Gerhart-Hauptmann-Schule geschlossen bleiben". Ihr Vorschlag: Wer das von Flüchtlingen besetzte Gebäude betreten will, muss sich per Hausausweis identifizieren. "Ich gehe davon aus, dass jetzt alle den Ernst der Lage verstanden haben", sagte die Grünen-Politikerin. Ein Sicherheitsdienst vor Ort könne die Ausweise kontrollieren. Eine Räumung der Schule zieht Herrmann hingegen auch nach den Geschehnissen des heutigen Tages nicht in Betracht. Am Nachmittag teilte auch die Polizei über den Kurznachrichtendienst "Twitter" mit, dass eine Räumung der Schule nicht vorgesehen sei.

CDU-Kreischef Wansner fordert sofortige Räumung der Schule

Herrmann übte heftige Kritik an einigen selbst ernannten Unterstützern der Flüchtlinge. "Es ist fahrlässig, wenn man die Flüchtlinge falsch berät." So sollen Aktivisten Flüchtlinge davor gewarnt haben, die Schule zu verlassen und in ein anderes Gebäude zu ziehen. Die Sozialverwaltung von Senator Mario Czaja (CDU) ist in "finalen Verhandlungen" über ein größeres Gebäude, in dem die Flüchtlinge untergebracht werden könnten, wie dem Tagesspiegel bestätigt wurde. Was noch fehlt, ist eine Registrierungsliste von allen Flüchtlingen, die derzeit in der Schule leben. 

Am Abend kamen Herrmann und andere Politiker zum Krisengespräch in die Schule. Nach Auskunft von Bezirksamtssprecher Sascha Langenbach wurde vereinbart, zunächst die Roma-Familien aus der Schule anderweitig unterzubringen, danach sukzessive die anderen Flüchtlinge. „Die Bereitschaft, die Schule zu verlassen, wächst“, sagte Langenbach, der von einer „wahnsinnig großen Betroffenheit“ unter den Bewohnern sprach. Für Sonntagabend sei eine Sondersitzung des Bezirksamts geplant. Eine Gruppe junger Araber wolle die Überführung des Leichnams nach Marokko organisieren. Bei Bedarf habe Herrmann Hilfe durch den Bezirk zugesagt.

Wansner fordert Rücktritt von Monika Herrmann

Der CDU-Kreischef von Friedrichshain-Kreuzberg, Kurt Wansner, reagierte auf die Geschehnisse empört. "Langsam wird mir übel. Mir fehlen die Worte." Das sei eine "Tragödie in einem rechtsfreien Raum". Wansner hatte schon vor Monaten davor gewarnt, dass es erst einen Toten geben müsse, bevor sich an der Situation etwas ändern werde. Er forderte nun die sofortige Räumung der Schule und die Unterbringung der Flüchtlinge in einer anderen Unterkunft. "Oder sollen wir auf den zweiten Toten warten?", fragte Wansner.

Den Rücktritt von Monika Herrmann forderte der CDU-Abgeordnete nicht explizit: "Wenn Frau Herrmann Anstand hätte, sollte sie selbst zurücktreten und sich fragen, ob sie dem Amt gewachsen ist." Herrmann sagte dem Tagesspiegel, sie denke nicht an Rücktritt. "Ich wüsste nicht, warum."

Auch Innensenator Henkel hat bereits eine Stellungnahme zu den Ereignissen abgegeben. Er sagte, der brutale Gewaltvorfall schockiere ihn sehr. "Das ist eine traurige und tragische Entwicklung." Henkel sagte weiter: "Diese Situation ist mit dem Vorfall noch einmal eskaliert. Die eklatanten Lebensbedingungen vor Ort bleiben für alle Beteiligten unhaltbar." Er appellierte "mit großem Nachdruck" an seine Senatskollegin Dilek Kolat (SPD), die zuletzt die Verhandlungen mit den Flüchtlingen vom Oranienplatz geführt hatte, gemeinsam mit dem Bezirk eine Lösung auch für die besetzte Schule voranzutreiben. Henkel sagte: "Die Sicherheitsbehörden stehen bereit, falls ihre Unterstützung von den zuständigen Stellen benötigt wird."

Dilek Kolat reagiert betroffen

Integrationssenatorin Kolat reagierte ihrerseits betroffen auf die Geschehnisse. "Die Zustände sind ausgesprochen schwierig und kaum tragbar für die Menschen", sagte sie dem Tagesspiegel. Die Gespräche mit den Flüchtlingen werde man weiterführen. Eine Räumung der Schule kommt für Kolat nicht in Betracht. Denn Kolat benötigt eine Liste, auf der alle Flüchtlinge der Schule registriert sind.

Solange die Liste aber nicht vorhanden ist, weiß Sozialsenator Mario Czaja (CDU) nicht, welche Flüchtlinge dem Einigungspapier mit dem Senat zugestimmt haben, das damals auch die friedliche Räumung des Oranienplatzes beinhaltete. Es sollen rund 150 sein. Czaja bedauerte das Tötungsdelikt. „Es ist Ausdruck des desolaten Zustandes, der seit längerem in der Schule herrscht und der schnellstens beendet werden muss.“ Umso wichtiger sei es jetzt, dass Kolat die Verhandlungen mit den Flüchtlingen „mit Nachdruck“ führe. Czajas Verwaltung hat bereits eine Unterkunft für die Flüchtlinge gefunden. Die finalen Verhandlungen werden dem Vernehmen nach derzeit geführt. Von den 467 vom Senat bei der Einigung registrierten Flüchtlingen sind bisher 287 in Flüchtlingsunterkünften untergebracht.

Seit der Besetzung der Gerhart-Hauptmann-Schule im Dezember 2012 ist es im Umfeld der Schule immer wieder zu Messerstechereien und Schlägereien gekommen. Mehrfach gab es Schwerverletzte, einen Toten aber noch nie. Nach Polizeiangaben gab es in den vergangenen 17 Monaten insgesamt 69 Einsätze an der Gerhart-Hauptmann-Schule, unter anderem wurde die Schule im letzten Jahr zweimal von einem Spezialeinsatzkommando (SEK) gestürmt.

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