Flüchtlinge am Oranienplatz: Einig nur im Streit
Viele Flüchtlinge wollen den erst tags zuvor erzielten Kompromiss zur Räumung des Oranienplatzes und der Gerhart-Hauptmann-Schule nicht mittragen. Caritas und Diakonie fordern weitere Gespräche, "damit die Situation nicht eskaliert".
Am ersten Tag nach der vom Senat verkündeten Lösung der Flüchtlingsfrage steigen die Spannungen unter den Flüchtlingsgruppen massiv an. Auf einer Pressekonferenz des „Runden Tisches Flüchtling“ lieferten sich Anhänger und Gegner des Kompromisspapiers heftige Wortgefechte. Die Pressekonferenz musste mehrfach unterbrochen werden. Diakonie und Caritas, die den runden Tisch moderieren, riefen den Senat auf, „schon morgen“ das Gespräch mit den Flüchtlingsgruppen wiederaufzunehmen, die nicht vom Kompromisspapier profitieren. Auch die Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg Monika Herrmann (Grüne) erklärte, weitere Gespräche seien nötig. „Das Paket ist nicht fertig. Jetzt fangen Menschen an, sich massiv zu streiten. Man darf nicht einfach zugucken, wie Flüchtlingsgruppen aufeinander gehetzt werden.“
"Da ist dieser Typ namens Henkel"
Innenstaatssekretär Bernd Krömer und Integrationsbeauftragte Monika Lüke, die ebenfalls am runden Tisch teilnahmen, stellten sich anschließend nicht der Presse. Lüke habe bei dem Treffen von einem „Zwischenergebnis“ gesprochen, erklärte die Direktorin der Caritas, Ulrike Kostka. „Die Situation ist sehr zugespitzt.“ Es sei unklar, wie groß die Gruppe der Flüchtlinge ist, die von dem Kompromiss nicht profitieren oder ihn nicht mittragen wollen. Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD) hatte von einer kleinen Minderheit von 27 Personen gesprochen. Diese Zahl wurde von einigen Flüchtlingen als „Lüge“ zurückgewiesen. „Kolat erzählt Mist“, sagte Hakim, der zu den Lampedusa-Flüchtlingen gehört.
Hakim ist einer der Wortführer am Oranienplatz. Er sagt, das Einigungspapier helfe nur einer von vier Gruppen der Lampedusa-Flüchtlinge. Einige Flüchtlinge seien von Abschiebung betroffen. „Wir werden das Camp nicht räumen.“ Hakim hatte auch eine Botschaft für Innensenator Frank Henkel: „Da ist dieser Typ namens Henkel, der das Camp räumen will. Sagt ihm: Wir warten auf dich!“
Auch der Flüchtlingsrat fordert, die Gespräche wiederaufzunehmen. Es sei nur zu einer „Scheineinigung“ gekommen. Eine Mehrheit der Oranienplatz-Flüchtlinge lehne die Lösung ab. Kolat wies das zurück. „Eine große Gruppe der Flüchtlinge steht hinter dem Angebot des Senats.“ Sie werde den Dialog weiterführen, auch mit denen, die nicht zugestimmt haben. Nach Auskunft ihres Sprechers hat Kolat insgesamt 50 Stunden mit einer Delegation von Flüchtlingen verhandelt. Sie werde sich auch um die Umsetzung des gefundenen Kompromisses kümmern.
Beraterpool für die Flüchtlinge
Diakonie und Caritas wollen sofort mit dem Aufbau eines „Beraterpools“ für alle 476 Flüchtlinge beginnen, finanziert aus Mitteln des Senats. Etwa 15 Berater sollen am Oranienplatz, in der besetzten Schule und in zwei Flüchtlingsheimen mit den Flüchtlingen ausloten, wie sie ihre Chancen auf Asyl oder einen anderen Aufenthaltsstatus erhöhen können.
Parallel sollen Unterkünfte für die Flüchtlinge gefunden werden, die jetzt noch in der Schule oder auf dem Oranienplatz leben. Das Caritas-Heim in Reinickendorf, in dem 80 frühere Besetzer des Oranienplatzes unterkamen, soll zwei Monate länger als bisher geplant zur Verfügung stehen. Die 40 Plätze im ehemaligen Aufnahmelager Marienfelde sollen um weitere 80 aufgestockt werden. Erst wenn für alle obdachlosen Flüchtlinge Unterkünfte gefunden seien, könne die freiwillige Räumung beginnen, hieß es.
Zu den Profiteuren des Kompromisses zählen vor allem Asylbewerber, deren Verfahren in anderen Bundesländern noch nicht abgeschlossen sind. Sie können in Berlin bleiben und mit einer „umfassenden“ Prüfung ihres Antrages rechnen. Für abgelehnte Asylbewerber biete das Papier keine Lösung, erklärte Kolats Sprecher Mathias Gille.
Auf dem Oranienplatz gibt man sich kämpferisch
Auf dem Oranienplatz überwiegt am Mittwoch der Frust. „Das Problem ist, dass nicht die unterschrieben haben, die die letzten Monate verhandelten“, sagt ein Mann, der seinen Namen nicht mehr in der Zeitung lesen möchte. Er zieht an seiner Zigarette. „Wir haben die Demonstration zusammen begonnen und zusammen werden wir bis zum Ende kämpfen.“ Wieder ein Zigarettenzug. Die meisten auf dem Oranienplatz seien gegen diese Vereinbarung. „Wir bleiben hier. Mir ist es egal, ob die Polizei kommt.“
Abdul aus dem Tschad ist ebenfalls gegen die Vereinbarung. „Die unterschrieben haben, das sind die Flüchtlinge aus Wedding.“ Also die aus dem Caritas-Heim. Die Flüchtlinge vom Oranienplatz hätten nichts mit der Vereinbarung zu tun. „Wir wussten noch nicht einmal, was da passierte.“
In der besetzten Gerhart-Hauptmann- Schule sind die Stimmen gemäßigter. Viele hören zum ersten Mal von einer getroffenen Vereinbarung. Wenn ihnen ein besserer Ort zum Leben geboten werde, wären sie bereit, die Schule zu verlassen, erklären Ali und Malik. Die beiden Flüchtlinge sind über Italien nach Deutschland gekommen. Für sie klingt plausibel, was beschlossen wurde. Dass die Einzelfälle betrachtet werden, finden sie gut.