Der Fernmeldeturm in Wannsee: Ein Turm für Spezialaufgaben
Er wurde im Kalten Krieg erbaut - und noch heute dient der Fernmeldeturm in Wannsee als Senderstandort für Dutzende TV-Programme. Unser Autor hat sich mit der bemerkenswerten Geschichte des Bauwerks beschäftigt.
Wagen wir zunächst den groben Vergleich des 212 Meter hohen Fernmeldeturms auf dem Schäferberg in Wannsee mit dem 368 Meter hohen Fernsehturm am Alexanderplatz: Beide entstanden als Betontürme in den 1960er-Jahren, während des Kalten Krieges. Und beide werden auch heute als Senderstandorte für die terrestrische Ausstrahlung von derzeit 40 Fernsehprogrammen genutzt. Bauherr des Fernmeldeturms war die Deutsche Bundespost, heute Deutsche Telekom. Bauherr des Fernsehturms die Deutsche Post der DDR, heute ebenfalls Deutsche Telekom. Vermarktet werden beide Türme durch die Deutsche Funkturm GmbH. Der öffentlich nicht zugängliche Fernmeldeturm Schäferberg (Baujahr 1964) behauptet seinen Standort am südwestlichen Stadtrand des alten West-Berlin bis heute unauffällig und zurückhaltend. Die DDR-Staatsführung hingegen hatte den Fernsehturm (Baujahr 1969) als städtebauliche Dominante in der Sichtachse mehrerer Hauptverkehrsstraßen, insbesondere der damaligen DDR-Protollstrecke Karl-Marx-Allee, im Zentrum der Hauptstadt der DDR mit Aussichtsetage und Drehrestaurant eher auffällig positioniert. Damals wie heute gilt der Fernsehturm als Berliner Wahrzeichen.
Die Vorgeschichte
Die Lebensfähigkeit West-Berlins war nicht zuletzt von einer leistungsfähigen Fernmeldeinfrastruktur abhängig. Dazu zählten die Nachrichtenverbindungen für die Telefonie und das Fernsehen ins Bundesgebiet. Mit der erfreulichen Entwicklung der West-Berliner Wirtschaft in einem schwierigen politischen Umfeld stieg der Bedarf an nachrichtentechnischen Übertragungswegen. Die technischen Voraussetzungen waren ausgehend von dem im Jahr 1948 sehr bescheidenen Bestand von nur 14 Sprechkanälen (!) rechtzeitig anzupassen. Besondere Eile war geboten, als mit der im Juni 1948 durch die Sowjets verhängten Berlin-Blockade auch die fernmeldetechnische Isolierung West-Berlins erkennbar wurde.
Die Nachrichtenverbindungen in das Bundesgebiet bestanden zu 95 Prozent aus speziell entwickelten Sonder-Richtfunksystemen für überlange Funkfelder, mit denen das DDR-Gebiet ohne Stützpunkte (Relaisstellen) zu überbrücken war. Auf der Suche nach einem geeigneten Baugrundstück für den Fernmeldeturm (FMT) entschied sich die Deutsche Bundespost (DBP) für den am höchsten gelegenen natürlichen Geländepunkt West-Berlins, den 103 Meter hohen Schäferberg im Düppeler Forst in Wannsee. Zur Entlastung der Richtfunkstelle Nikolassee (1950-1974) betrieb dort die DBP bereits seit 1959 die erste schmalbandige Scatter-Richtfunkverbindung nach Torfhaus/Harz, über die der Selbstwählferndienst mit dem Zentralamtsbereich Düsseldorf – und Bonn als Regierungssitz – am 1. April 1959 eröffnet wurde. Trotz massiver Proteste, zum Beispiel in der BILD vom 1. November 1957, war für dieses neue Übertragungsverfahren im Frühjahr 1958 der Bau eines 45 Meter hohen Stahlgitterturms als Antennenträger für zwei 10-Meter-Parabolspiegel durchgesetzt worden. Dabei kam ein mit amerikanischem „Know-how“ von Siemens und Telefunken gemeinsam entwickeltes Richtfunksystem für 120 Fernsprechkanäle je Radiofrequenzpaar zum Einsatz.
Es standen vier Frequenzpaare zur Verfügung. Das vierte als redundanter Schutzkanal für insgesamt 360 Fernsprechkanäle. Diese Parabolspiegel wie auch alle später errichteten Richtfunkantennen, die dem Fernmeldeturm sein unverwechselbares Aussehen gaben, waren nach dem Fall der Berliner Mauer entbehrlich. Sie konnten seit 1992 Zug um Zug außer Betrieb genommen und verschrottet werden. Der 45-Meter-Turm jedoch hat sich seine Existenzberechtigung bewahrt. Er dient heute mehreren Mobilfunk-Providern als Funkfeststation.
Der Bau des Fernmeldeturms
Wegen der Erdkrümmung bestand für den vorgesehenen UKW-Bereich keine übertragungstechnisch notwendige optische Sicht in die alten Bundesländer. Es war daher die maximal zulässige Turmhöhe zu nutzen. Erst mit der Erschließung neuer Frequenzbereiche oberhalb von 6 GHz für größere Übertragungskapazitäten von 1860 Fernsprechkanälen waren für die Ausbreitung hindernisfreie Sichtverbindungen bereitzustellen. Für diese Technik ließ die DBP in den Jahren 1976 bis 1978 Antennenträger von 344 Meter Höhe mit quasi-optischer Sicht in Berlin-Frohnau und Gartow in Niedersachsen errichten. Der Schäferberg lag im Anflugbereich der drei von den West-Alliierten betriebenen Flughäfen Tempelhof (USA), Tegel (Frankreich) und Gatow (Großbritannien). Aus Gründen der Flugsicherheit begrenzten die zuständigen US-Behörden die Bauhöhe des Turms auf 1000 Fuß über NN (305 Meter). Sie tolerierten jedoch im Nachhinein die aus konstruktiven Gründen tatsächlich erreichte Bauhöhe von 315 Meter. Der Entwurf für den Turm stammt von Hans Gerds (Landespostdirektion Berlin).
Allein die beiden luftgekühlten 20/4 Kilowatt Fernsehsender (Bild/Ton, zunächst noch schwarz/weiß, Fabrikat Siemens) einschließlich Kühlanlagen beanspruchten die komplette 31. Etage der 6-geschossigen Turmkanzel. Mit der Einführung der Transistoren in den Vor- und Leistungsstufen seit den 1990er-Jahren und neuer Technologien (Digitalisierung) sowie effizienterer Verstärkertechnik haben sich heute der Platz- und Energiebedarf für einen TV-Kanal auf weniger als 20 Prozent des damaligen verringert. Gegenwärtig werden vom FMT Schäferberg 40 Fernsehprogramme in DVB-T-Qualität (Digital-Video-Broadcasting Terrestrial) abgestrahlt. Gemeinsam mit den Sendern am Alexanderplatz und am Scholzplatz bieten die drei Standorte in einem Gleichwellennetz einen flächendeckenden „Luftempfang“ für Berlin und sein Umland.
Die Maße des Turms
Der Bau des FMT erfolgte durch die Firma Hochtief von 1959 bis 1962. Das Fundament besteht aus zwei nach innen und außen geneigten Kegelschalen mit einem Durchmesser von 38 Metern und einer Tiefe von 11,25 Metern. Die hohe Windbelastung des Turms durch weit auskragende Antennenfelder für die Einseitenband-Anlagen und den amplitudenmodulierten Fernseh-Richtfunk im oberen Turmbereich sowie die beiden 18-Meter-Parabolspiegel in 30 und 55 Meter Höhe war nur durch besonders große Wandstärken und starke Bewehrungen der Betonkonstruktion zu bewältigen. Zwischen Fundament und unterer Antennenplattform erhebt sich der konische Schaft bis zu einer Höhe von 102 Meter mit 12 Meter unterem und 6,7 Meter oberem Durchmesser.
Die Wandstärke des Schaftes beträgt am Fuß 0,75 Meter, verringert sich bis zu einer Höhe von 7,6 Meter Höhe auf 0,55 Meter und behält dieses Maß bis zur Betriebskanzel bei. Der Betonschaft endet in 187 Meter Höhe mit einer Wandstärke von 0,2 Meter.
Die offizielle Einweihung des FMT fand am 17. Juli 1964 in Anwesenheit der drei Stadtkommandanten und anderer „very important persons“ statt. Im Namen des Berliner Senats beglückwünschte der Bürgermeister von Berlin (West) und spätere Pfarrer in Schlachtensee Heinrich Albertz (1915-1993) die DBP zu dem vollendeten Werk und gab seiner Freude Ausdruck, dass damit die Bindungen und Verbindungen West-Berlins zum Bundesgebiet noch fester würden. Bei aller Freude über diese Leistung dürfe jedoch nicht vergessen werden, dass es praktisch (noch) keine Fernsprechverbindung in den anderen Teil der Stadt gäbe. Der Festakt endete mit der Auffahrt der 150 Ehrengäste in die Turmkanzel. Der Aufzug bietet sieben Personen Platz und bewältigt die Fahrt bis in die Kanzel in rund zwei Minuten. Neben der Besichtigung der sechs Betriebsgeschosse fanden die Rundsicht auf die Havel und das damals für West-Berliner unerreichbare Potsdam mit seinem märkischen Umland das besondere Interesse. Einem Vertreter der drei Schutzmächte muss diese Aussicht so nachhaltig beeindruckt haben, dass er ein Jahr später das 32. Obergeschoss als „Mieter für besondere Aufgaben“ bezog.
Hinterm Horizont ging’s weiter
Zeitgleich mit der schrittweisen Inbetriebnahme der EM-Anlagen vollzog sich für das 196 Kilometer lange zweite Funkfeld Schäferberg – Torfhaus/Harz der Aufbau der ersten breitbandigen Gerätefamilie FM 960-TV/1900-1kW-RD der Firma Telefunken. Die Einschaltung fand in zwei Schritten statt, wobei der 2. Schritt den ersten farbtauglichen TV-Kanal betraf, der auf der Funkausstellung 1967 in Berlin der Einführung des Farb-TVs nach dem PAL-Verfahren dienen sollte. Besondere Kennzeichen dieser Sondertechnik waren die Wasserkühlung für die Kollektoren der 1kW-Wanderfeldröhren-Verstärker aus dem Berliner Telefunkenwerk in der Sickingenstraße.
Inzwischen war der Vorplatz am Turm mit Bohlen zur Lastverteilung für zwei parallel geführte Feldbahngleise befestigt worden. Geplant war, den Parabolspiegel in Opferschalenstellung auf seinem Kardanrahmen aufzubauen und mit einem Schwerpunktausgleich zunächst an den Turm und sodann in seine endgültige Position in 55 Meter Höhe zu ziehen. Nach dem Zusammenbau aller Einzelteile fand vor der Montage der zwei Tonnen schweren Antenne eine erneute Prüfung auf Einhaltung aller Toleranzen mit weiterhin positivem Ergebnis statt. Am 22. August 1966 konnte der erste Spiegel hochgezogen und in 55 Meter Höhe am Turm befestigt werden. Ihm folgte am 28. September die zweite Antenne in 35 Meter Höhe.
Der erfolgreiche Praxistest
Zur Erleichterung aller Beteiligten zeigte sich nach der Feinausrichtung der Antennen und der Streckenmessung über das Funkfeld, dass sich der Aufwand gelohnt hatte! Daran waren nicht zuletzt die mit höchster Präzision gefertigten Parabolantennen verantwortlich. Die für das Fernsprechen vorgesehenen Frequenzbänder ließen sich nun schrittweise mit jeweils 960 Kanälen voll beschalten.
Und Bundesaußenminister Willy Brandt konnte öffentlichkeitswirksam am 25. August 1967 auf der Großen Berliner Funkausstellung unbesorgt einen roten Taster für die bundesweite Einführung des Farbfernsehens drücken. Zur Erheiterung der anwesenden Fachwelt hatte jedoch die Studiotechnik etwas voreilig die Rot-Grün-Blau-Anteile des Y-Signals aktiviert, noch bevor der Daumen des Außenministers den Taster erreicht hatte.
Zur Rolle der DDR
Die DDR duldete die im Berlin-Verkehr verwendeten Frequenzbänder zunächst stillschweigend und auch ohne feste Vertragsvereinbarungen. Aus berechtigtem Misstrauen gegenüber der „anderen Seite“ ließ die DBP jedoch die geplanten Frequenzen mit Hilfe durchstimmbarer oder bequarzter Richtfunkanlagen belegen, um frühzeitig der DDR einen Richtfunkbetrieb vortäuschen zu können. Dieses Hase-und-Igel-Spiel der Frequenzbelegungen funktionierte problemlos, bis durch das Viermächte-Abkommen von 1971 und den darauf basierenden innerdeutschen Berlin-Verträgen von 1973 unter dem Spiegelstrich „Die Frequenznutzung wird koordiniert“ alle weiteren Frequenznutzungen mit der DDR auch vertraglich fixiert werden konnten.
Die Koordinierungsabsprachen und Verträge mit der DDR zu allen zukünftig geplanten Frequenzen „für Telefon-, Telegrafen- und andere Verbindungen von Berlin (West) nach außen“ fanden nun vor dem internationalen Gremium der Fernmeldeunion in Genf statt. Sie hielten ohne befürchtete Zwischenfälle bis zum Fall der Berliner Mauer. Mit einer bekannten Ausnahme: Der Rangierfunk für den Güter-Bahnverkehr auf dem Postpaketbahnhof am Gleisdreieck wurde wiederholt durch ein von der Stasi verwendetes Frequenzpaar gestört. Zur Vermeidung langwieriger Verhandlungen mit ungewissem Ausgang ließ die DBP die Funkgeräte der Rangierloks kurzerhand neu bequartzen und erreichte damit eine insbesondere im hektischen Weihnachtsverkehr störungsfreie Paketverteilung an die Berliner.
DDR-Spione hörten mit
Dass die Richtfunkverbindungen von der Hauptabteilung (HA) III des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) abgehört wurden steht dagegen auf einem anderen Blatt. Die Akten der Stasi-Unterlagenbehörde belegen umfänglich die personellen Strukturen und physikalischen Methoden, mit denen das MfS die West-Berliner Funkbrücken rechnergestützt abgehört, die Ergebnisse nachrichtendienstlich bearbeitet und ausgewertet hatte. Einen Tag später landeten sie in komprimierter des Zentralkomitees der SED.
Nur so viel sei noch angemerkt: In einem höchstrichterlichen Urteil zur „Westarbeit des MfS“ vom 15. Mai 1995 stellte das Bundesverfassungsgericht fest, dass die Strafverfolgung von MfS-Angehörigen der HA III, die lediglich vom Territorium der DDR aus gehandelt hätten, verfassungswidrig sei. Das Gericht spricht von „staatenüblicher geheimdienstlicher Tätigkeit“. Alle Staaten sähen Spionage zur Erlangung von Erkenntnissen für sich als legitimes Mittel an.
Der Autor lebt in Nikolassee. Als Projektleiter bei der Deutschen Bundespost verantwortete er Aufbau und Abnahme der Richtfunk-Verbindungen zwischen Berlin (West) und dem Bundesgebiet. Er ist Mitglied im Berufsverband IfKom (Ingenieure für Kommunikation). Der Originaltext ist erschienen im Zehlendorf-Jahrbuch 2016.
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Günter Herrnleben