Bereuende Mütter - ein Debattenbeitrag: "Ein Albtraum, aus dem ich nie wieder aufwache"
Auch in Berlin-Zehlendorf gibt es einige von ihnen: "Regretting motherhood" - Frauen, die laut einer Studie ihre Mutterschaft bereuen: Ein Tabubruch. Und seit Tagen eine große Debatte. Die Autorin Nicki Pawlow hat für den Tagesspiegel Zehlendorf ihre Beobachtungen aufgeschrieben.
Vor kurzem las ich einen Zeitungsartikel über das Phänomen „Regretting motherhood“. Zu deutsch bedeutet dies so viel wie: Die Mutterschaft bereuen. Eine israelische Wissenschaftlerin hat für eine Studie Frauen interviewt, die Kinder bekommen haben, mit der Mutterrolle allerdings nichts anfangen können, ja es sogar bereuen, Mutter geworden zu sein. Dabei handelt es sich nicht um sogenannte „Karrierefrauen“, sondern um ganz „normale“ Frauen, die dem Mutter-Sein nicht etwa Glücksgefühle und Sinnhaftigkeit abgewinnen, sondern im Gegenteil permanent und in gravierender Weise Sorgen, Druck und Unfreiheit empfinden.
Sofort musste ich an einige Frauen in meinem Bekanntenkreis denken, die auf mich auch nicht gerade wie glückliche Mütter wirken. Ich fragte mich, ob sie zu den bereuenden Müttern zählen könnten. Zum Beispiel A. (40), deren Sohn heute zwei Jahre alt ist und die mir hinter vorgehaltener Hand anvertraute, wie sehr sie ihrem alten Leben ohne Kind nachtrauern würde. „Ich dachte, das muss jetzt sein“, sagte sie, „leider ist es für mich ein Albtraum, aus dem ich nie wieder aufwachen werde.“ Sie meinte das Kinder-Haben und als Mutter-funktionieren-müssen.
Oder D. (32), die mit dem einen Mann zwei Kinder und mit dem anderen ein Kind hat. Mit letzterem lebt sie zusammen, das Kind wird aber in erster Linie von der Oma und vom Vater betreut. D. geht lieber arbeiten und bezeichnet sich selbstironisch als „Brutmaschine“. „Kinder austragen ist okay“, so ihr Credo, „aber mit allem, was danach kommt, lasst mich bitte in Ruhe.“
Und L. (54) fiel mir ein, die nach London ging, als ihre Söhne acht und elf waren, um dort zu leben und zu arbeiten. Die Söhne zog der Vater groß. Die Ehe hat diese Zerreißprobe nach einigen Wirren überstanden, die Familie auch. Heute leben sie alle wieder vereint in London.
"Wie kann eine Mutter nur so sein!"
Immer, wenn ich mit diesen Frauen sprach oder mitbekam, wie sie agierten, war ich insgeheim empört. Ja, ich verachtete sie. Wie kann eine Mutter nur so sein!, dachte ich. Eine gute Mutter tut so etwas nicht! Ich konnte mir überhaupt nicht vorstellen, dass eine Frau, in deren Bauch ein Kind herangewachsen ist, so empfinden kann. Doch nur weil ich es mir nicht vorstellen konnte, heißt das ja nicht, dass derlei Gefühlslagen nicht existieren. Mein beschränktes Vorstellungsvermögen war die Folge meiner Erziehung und meiner bisherigen Erfahrungen. Hinzu kommt, dass dieses Thema in unserer Gesellschaft ein Tabu ist. Die gesellschaftliche Norm verlangt, dass Kinder das größte Glück im Leben einer Frau zu sein haben und dass sich „natürlicherweise“ an erster Stelle die Mutter um den Nachwuchs zu kümmern hat.
Bereuende Mütter passen da nicht ins Bild. „Rabenmutter“ ist noch das harmloseste Etikett, das Frauen verpasst bekommen, die nicht gewillt sind, sich dieser gesellschaftlichen Norm zu beugen. (Der Begriff „Rabenmutter“ ist übrigens eine rein deutsche Erfindung, für die es in den meisten Sprachen keine Entsprechung gibt.) Wo steht eigentlich geschrieben, dass Kinder hauptsächlich von der Mutter umsorgt und aufgezogen werden müssen? Wenn die Mutter sich nicht in der Lage dazu fühlt oder nicht dafür geeignet ist, ist doch allen geholfen, wenn über andere Modelle nachgedacht werden darf. Väter können genauso gute Mütter sein. Man müsste sie nur lassen.
Direkt-Verbindung zur niedrigen Geburtenrate?
Ich behaupte mal: Jede Frau, die Mutter geworden ist, kennt diese quälenden Gedanken, die ihr miese Gefühle verursachen, die sie eigentlich nicht habe dürfte und ihr ein schlechtes Gewissen machen. Gedanken wie: Seit das Kind da ist, bin ich angekettet. / Niemals bin ich mehr allein. / Mit meinem Partner verbringe ich gar keine Zeit mehr zu zweit. / Immer bin ich müde. / Schon ewig keinen Sex mehr gehabt. / Mein Körper hat sich unvorteilhaft verändert. / Was bin ich diese immer wiederkehrenden täglichen Handgriffe im Haushalt leid! / Wie gerne würde ich wieder arbeiten gehen. - Und diese Reihe ließe sich mühelos fortsetzen…
Manchmal frage ich mich, ob es hier vielleicht eine unbewusste Direkt-Verbindung zu dem Fakt gibt, dass in Deutschland immer weniger Kinder geboren werden. Und das, obwohl die Politik rund 160 unterschiedliche Maßnahmen angestrengt hat, die jährlich ca. 200 Milliarden (!) Euro kosten, und die die Deutschen dazu animieren sollen, mehr Nachwuchs zu kriegen?
Natürlich empfindet jede Frau diese oben beschriebenen Belastungen anders und geht auf ihre ganz eigene Weise damit um. Und glücklicherweise geraten nicht sehr viele Frauen, die Kinder haben, in eine solch aussichtslose emotionale Sackgasse wie bereuende Mütter.
Nehmen wir mal mich: Mutter von drei Kindern. Jedes von ihnen liebe ich bedingungslos und unbändig, jedes war ein Wunschkind. Ich bin von ganzem Herzen dankbar, dass ich diese Kinder habe. Dankbar bin ich aber auch für jedes Jahr, das sie älter werden. Dankbar dafür, dass die Jahre des Wickelns, Zahnens, Kränkelns, der zermürbenden Schlaflosigkeit, des Rund-um-die-Uhr-Bemutterns vorbei sind. Dankbar, dass ich mit meinem Mann wieder zu zweit das Haus verlassen kann, ohne dass ein Babysitter auf dem Sofa Wache halten muss. Dankbar, dass ich den Kindern heute auch schon mal was abverlangen kann: Mach deiner Schwester bitte Abendbrot!, Sauge bitte im Wohnzimmer Staub!, Räume bitte die Spülmaschine aus! Geh bitte mit dem Hund Gassi!
Meine Mutter warnte mich früher ab und zu: „Du wirst noch den Jahren nachweinen, als die Kinder klein waren.“ Beim ersten Mal bekam ich wirklich Angst und war bemüht, die Anstrengungen des Kleinkinderbetreuungs-Hochleistungsalltags ohne Wenn und Aber schön zu finden. Doch mit der Zeit begriff ich: Nur weil es bei meiner Mutter so gewesen ist, muss es bei mir nicht auch so sein. Ich bin ja nicht sie.
Natürlich weht mich hin und wieder eine Wehmut an, wenn die Erinnerungen mich streifen und wir Fotos angucken. Hier: die ersten wackligen Schritte des Ältesten. So niedlich, weißt du noch? Und dort: der erste Versuch des Mittleren Fahrrad ohne Stützräder zu fahren. Und da: der Tochter zum ersten Mal Zöpfchen geflochten... Doch mit der Wehmut geht die Erleichterung einher, es bis hierher geschafft zu haben. Weil nun alles immer leichter wird. Und das ist, wie ich finde, legitim. Denn die Kunst des Lebens liegt auch darin, widersprüchliche Empfindungen anzunehmen. In meinem Fall: Es einerseits als das größte Glück zu empfinden, diese Kinder zu haben, andererseits aber auch all die Mühsal, Sorgen und Belastungen anzuerkennen, die das naturgemäß mit sich bringt.
Wobei meine Situation verglichen mit dem Leidensdruck, den bereuende Mütter haben, komfortabel und sehr gut auszuhalten ist. Meine Situation ist „normal“. Normal deshalb, weil sie der gesellschaftlichen Norm entspricht. Ich habe Glück, ich bin keine bereuende Mutter. Ich empfinde mein Leben mit den Kindern als erfüllend, sinnvoll und schön. Allerdings kann ich, seitdem ich Mutter bin, den Gedanken zulassen, dass auch ein Leben ohne Kinder erfüllend, sinnvoll und schön sein könnte.
Übrigens geht aus der israelischen Studie hervor, dass auch bereuende Mütter ihre Kinder lieben. „Ich bereue es, Mutter geworden zu sein“, kommt eine von ihnen zu Wort, „aber ich bereue nicht meine Kinder.“ Hier ist sie wieder die Ambivalenz, die so schwer auszuhalten ist. Fazit: Frauen, die ihr Mutter-Sein als irreversiblen Albtraum empfinden, haben sich das ganz bestimmt nicht ausgesucht. Was sie brauchen ist Verständnis, Offenheit und Unterstützung. Die Gesellschaft täte gut daran, diese Frauen nicht vorschnell zu verurteilen. Frei nach John Lennon: "Don't hate what you don't understand!"
Das Leben ist eben, wie es ist: unendlich vielfältig! Es gibt so viele Arten, in der Welt zu sein. Und das ist gut so!
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Nicki Pawlow ist Schriftstellerin und lebt mit ihrer Familie in Berlin-Zehlendorf. Sie hatte (und hat) das Glück, keine bereuende Mutter zu haben, sondern eine sehr zugewandte und ungemein liebevolle. Die Geschichte dieser Mutter und vor allem auch die ihres Vaters, eines bulgarischen Psychiaters, der in der DDR lebte und 1977 mit Frau und Kind in den Westen floh, beschreibt Nicki Pawlow in ihrem kürzlich erschienen Roman „Der bulgarische Arzt“ (Verlag Langen Müller, München). Dieser Text erscheint auf Tagesspiegel Zehlendorf, dem Online-Portal aus dem Südwesten.
Nicki Pawlow