Fortnite-Gamer HandofBlood im Interview: „E-Sport? Das ist purer Stress“
„HandofBlood“ ist Gamer, Influencer, Youtuber. Hier spricht Max Knabe über Wirtschaft, Witze, das Gamer-Mekka in Berlin-Spandau - und ungewohnten Druck
Klack, Klack, Tür auf – hereinspaziert. Das Büro von Max Knabe liegt in einem Industriebau auf der Insel Eiswerder in Berlin-Spandau. Draußen die Havel, vorm Fenster Bildschirme, dahinter Leute mit Kopfhörern. Das also ist die Zentrale von „HandofBlood“, kurz: Hänno.
Wer das ist? Das ist der Künstlername von Max Knabe. Er ist einer der Größten in Deutschland in einer noch viel größeren Wirtschaftsbranche, über die so viele so wenig wissen. Max Knabe ist Youtuber, Gamer, Influencer, Unternehmer und Arbeitgeber. Abonnenten bei Youtube: 1,8 Millionen. Instagram: 560.000. Twitter: 560.000 (und damit 200.000 Abonnenten mehr als der Tagesspiegel bei Twitter). Wenn er etwas sagt, hören es Millionen. Aber Interviews in klassischen Medien? Gefühlt null.
Max Knabe schrieb eine der Geschichten des Jahres 2019. Weil er bei einer Gamer-WM in New York 62.500 US-Dollar erspielte und das Geld mal eben weiterreichte ans Tierheim in Berlin-Lichtenberg.
Hat der so viel? Womit verdient der Geld? Und wer ist das eigentlich?
Monate später steht er im Türrahmen seines Büros. Knabe – 27 Jahre alt, Turnschuhe, überraschend groß, null Hektik – hat Zeit gefunden für den Spandau-Newsletter vom Tagesspiegel.
Grüße aus dem wilden Berliner Westen! Hier der Spandau-Newsletter
Lust auf einen Spaziergang? „Gern“, sagt er, „lassen Sie uns um die Insel laufen. Das ist wie an der Ostseepromenade.“ Knabe wirft eine Jacke über. Es ist kalt.
Herr Knabe, wie geht’s Falco?
Gut, danke, liegt im Büro.
Falco heißt Ihr Hund. Ihn haben Sie aus dem Tierheim am Berliner Stadtrand geholt. Jenem Tierheim, dem Sie im letzten Jahr mal eben 62.500 US-Dollar gespendet haben. Ist das Geld schon überwiesen?
Ach, es ist kompliziert. Geld aus den USA, eine Spende, die Steuern… hat das Finanzamt auch nicht alle Tage. Aber das Geld fließt jetzt endlich.
Wie kam es überhaupt zur Spende?
Sagt Ihnen Fortnite was?
Naja. Ein Computerspiel. Da machen 250 Millionen Leute mit, und die Besten traten in New York bei der WM an.
So ungefähr, ja. Die WM fand im Tennisstadion der US Open statt vor 20.000 Zuschauern, aber an den Bildschirmen waren Millionen weltweit dabei…
… es ging um ein Preisgeld von 30 Millionen Euro…
…korrekt, aber ich war ja kein Spieler, sondern gehörte zum Vorprogramm. Ich sollte das machen, was ich am besten kann: quatschen und andere auf den Arm nehmen. Wir bekamen 250.000 US-Dollar Gage, wir waren zu viert aus Berlin, also standen mir 62.500 US-Dollar zu.
Und das reichen Sie mal eben weiter?
Das ist unglaublich viel Geld, gar keine Frage, aber ich hatte mit der Gage nicht gerechnet. Und weil ich das nicht im Kopf verplant hatte, habe ich es für einen guten Zweck verwendet, fürs Tierheim. Wissen Sie, meine Mutter war Hundezüchterin, die hat mir die Hunde morgens ins Bett geworfen, ich kenne es nicht anders. Tiere liegen mir mein Leben lang am Herzen, denen will ich helfen. Ich wollte mir einen Bürohund holen und lieber ein Tier aus dem Heim retten, als einen Hund beim Züchter zu kaufen. Da kam mir die Idee, das Thema auf meinem Kanal zu thematisieren. Ich rief also im Tierheim an und erzählte, wer ich bin.
Ich ahne die Antwort.
Hat natürlich erst keiner verstanden, was ich wollte. Gamer? Tierheim? Was will der von uns? Irgendwann war denen klar, dass ich drei, vier Leute über meine Kanäle erreiche und sie davon profitieren können. Wir haben dann einen Film über das Tierheim gedreht, und ich habe dort Falco entdeckt. Die machen tolle Arbeit. Aber das Tierheim benötigt jedes Jahr neun Millionen Euro Spenden – neun Millionen! Müssen Sie sich mal vorstellen.
Knabe läuft über die Promenade, erzählt von preußischer Militärgeschichte, bleibt an einem Strand stehen. „Hier baden wir im Sommer, wenn’s im Büro zu heiß wird – da laufen ja rund um die Uhr Scheinwerfer und Bildschirme.“ Wir setzen uns auf eine Parkbank mit Blick auf die Zitadelle.
Herr Knabe, wie erklären Sie, was Sie eigentlich als Beruf machen?
Ich kommentiere Videospiele. Warum? Weil die Leute das mögen und zwar so, wie ich das mache. Es geht um ein Miteinander, das ich unterhaltsam und humorvoll begleite. Und sie mögen das, weil sie selbst spielen. Achten Sie mal im BVG-Bus oder in der Regionalbahn darauf, wie viele Erwachsene Candy Crush auf ihrem Handy spielen. Völlig normal, kein Nischending. Und dann gibt es noch die ganz Sportlichen: die E-Sportler.
Da geht’s um Millionen, Werbeverträge, Sponsoren. Und da sind Sie…
… nee, bin ich nicht. Für E-Sport ist keiner zu alt, aber ich bin kein E-Sportler. Ich bin auch kein Casual, also ein Gelegenheitsspieler – ganz im Gegenteil: Ich bin Gamer, der täglich zockt, mit einem Hang zum Wettkampf. Und ich bin Moderator, Influencer, auch Sprachrohr, weil wir gemerkt haben, das auch wir uns mehr öffnen und erklären müssen.
Herr Knabe, Sie sind 27 Jahre alt. Wann hat man als E-Sportler das beste Alter?
Mit 16. Da bist du fit, schnell, koordinativ, sowohl in der Bewegung, als auch im Kopf. Die besten E-Sportler reisen ja sogar mit eigenen Köchen durch die Welt…
… das ist jetzt ein Scherz!?
Nein, die Top-Leute müssen fit sein. Und es ist nun mal nicht hilfreich, wenn du nur Salami-Pizza futterst und dann träge vor dem Bildschirm sitzt. Wir sprechen von APM, Action per Minutes. Die Top-E-Sportler müssen 350 Entscheidungen pro Minute am Bildschirm treffen – 350! Das ist purer Stress. Da hilft ein voller Magen nicht. Es gibt sogar Trainingslager, um fit zu sein. Wie im konservativen Sport haben die Sportler auch Manager, Analytiker, Trainer. Wer bei E-Sportlern immer noch an Chipstüten denkt, hat die letzten 20 Jahre verpasst und zu viel Reportagen über Killerspiele gesehen. Das ist eine Wirtschaftsbranche.
Wo steht denn der E-Sport heute?
Korea gibt weltweit den Takt vor. Auch Frankreich, Schweden, Spanien sind weiter als wir in Deutschland, politisch und gesellschaftlich. Und Dänemark natürlich – da hat der Ministerpräsident sogar die größten Turniere eröffnet. Und wir? Wir hatten bis Dezember Visa-Probleme bei großen Weltturnieren und kämpfen darum, dass der E-Sport gemeinnützig wird, um so gefördert zu werden. Davon war im Koalitions-Vertrag die Rede, wurde dann aber nur mäßig angegangen. Dabei ist das ein Breitensport, erreicht Millionen im Land, und beim Schach schwitzt auch niemand. Wir könnten in Sportvereinen Medienkompetenz vermitteln und Kindern den Umgang erklären – und den Eltern gleich mit. Alle Instanzen, Vereine, Behörden haben Probleme, junge Leute zu finden – weil die jungen Leute woanders zu erreichen sind. Mit unserem alten Arbeitgeber, „Freaks 4U“…
...auch die sitzen in Spandau. „Freaks 4U Gaming“ wird in der Berliner Wirtschaft als „Hidden Champion“ geführt, also als weitgehend versteckte Branchengröße ...
... und mit denen haben wir als Agentur die E-Sport-Marke von Schalke 04 auf den Markt gebracht. Die wollen dort sein, wo die jungen Leute heute sind. Die wollen ihre Marke jung halten, vielseitig sein. Hertha BSC hat ja auch ein E-Sport Team – wie fast jeder Bundesligaverein.
Es heißt, es kostet 15.000 Euro am Tag, wenn ein Konzern Sie beispielsweise für einen Messe-Auftritt buchen will, damit die Halle voll wird.
Grob vereinfacht, ja. Am Ende muss es zu meiner Marke passen und mir Spaß machen. Aber die Leute sind ja nicht naiv, wir reden von Wirtschaft. Wie andere Sportler haben wir Werbeverträge. Wenn ich im Video meinen Senf zu den Computerspielen gebe, spiele ich mit einem bestimmten Headset, sitze auf einem bestimmten Stuhl. Merchandising haben wir auch. Ich arbeite neuerdings mit einem großen Anbieter zusammen, der sonst Fanartikel für Metallica, Sido, sonst wen entwirft. Ich bin deren erster Gamer. Der Designer ist übrigens auch Spandauer, super Typ.
Wir gehen ins warme Büro. An der Wand hängen Schwerter und Plastikpistolen, in der Ecke stehen Kostüme und Perücken, die Knabe in seinen Videos überzieht.
Hier vor dem Bildschirm prollt er rum, kreischt, blödelt. Hier im Büro siezt er durchgehend – die Kamera ist aus, das hier ist Business. 2019 hat er mit Kollegen eine Agentur gegründet: Instinct3.
Herr Knabe, Millionen kennen Sie. Aber es gibt fast keine Interviews in klassischen Medien mit Ihnen. Sie sagen, wenn’s falsch ist: Sie sollen Klarinette spielen können, aus Salzgitter kommen…
…korrekt, und in Braunschweig habe ich die Waldorfschule besucht. Salzgitter ist eine große Kleinstadt – da stand mein Bett im Haus meiner Eltern, aber weil die letzte Bahn um 21 Uhr fuhr, wollten wir Jugendlichen weg. Braunschweig war städtischer, da habe ich an der TU studiert. Mein Geld habe ich bei McDonalds verdient am McDrive-Schalter – da erlebst du nachts Geschichten, herrlich! Und Nachtzuschläge gab es noch dazu. Ich war kein Mann für die Küche, ich war fürs Quatschen zuständig. Ich habe auch früher schon Youtube-Videos gedreht – mit selbstgebautem Stativ aus Playmobil und Urlaubs-Camcorder auf dem Dachboden meiner Eltern. Tja, wollte nur leider keiner sehen. Wirtschaftswissenschaften waren aber auch nicht so mein Ding, also wollte ich schon zur Uni im Harz wechseln. Doch dann habe ich einen Kommilitonen kennengelernt.
Was hat er gemacht?
Mut. Er hat gesagt, ich soll’s noch mal probieren. Er hat sich für Youtube interessiert, später habe ich ihn mitgezogen. Wir sind damals also in die Fußgängerzone von Braunschweig, haben wildfremde Rentner angequatscht und mit denen über ein total angesagtes Computerspiel diskutiert, das die überhaupt nicht kannten: League of Legends. Das war so grotesk und lustig, die Alten haben super mitgemacht – und die Aufrufe des Videos waren irre hoch. So bekam ich ein Praktikumsplatz in Berlin, hier in Spandau, bei „Freaks 4U Gaming“. 180 Leute haben die heute. Als ich anfing, waren es 28, und das ist erst fünf Jahre her. Ich bin jede Woche mit dem Fernbus nach Berlin gefahren. Ätzend! Ich zog schließlich nach Spandau, nichts Aufregendes. Die letzten Jahre haben wir am Päwesiner Weg gewohnt. Mir geht es gut, ich spare, aber ich brauche kein Loft. Ich mag mein Hakenfelde, ich laufe jeden Tag zur Arbeit.
Aber Spandau hat doch so ein ödes Image.
Erste Party in Berlin, zack!, wo wohnst du? Ich wurde gleich auf den Arm genommen. Ich merkte schnell: Spandau war Vorstadt, bisschen zu stolz, ziemlich uncool. Ich dachte mir: Hey, ich bin doch eigentlich der, der Leute auf den Arm nimmt und die größte Schnauze hat. Also habe ich das umgedreht, kokettierte mit dem Stadtrand und machte daraus eine Marke: „Spandauer Inferno“ nannten wir unser Spiel-Team, und ich war „HandofBlood“. Spandau stellten wir in unseren Filmen als das letzte elitäre Dorf vor, mit eigenen Regeln wie einst in Sparta. Unser Spruch wurde: „Man wendet sich nicht gegen Spandau“. Und zu WM-Turnieren fuhren wir mit der Stretch-Limo vor. Was für ein Lacher – passt null zu Spandau, kam aber super an! Wir haben alle auf den Arm genommen, vor allem uns selbst. Ich glaube ja, dass die Leute Spandau mögen, weil es so normal ist wie ihr eigenes Dorf – eben nicht wie die Innenstadt. Die Leute können sich mit uns identifizieren: Hey, der verteidigt auch sein Dorf. Und so kommt es, dass jeder Jugendliche aus Meppen-Süd oder Buxtehude Spandau kennt.
Jetzt wollen Sie mit Ihrem Büro umziehen.
Ach, nur um die Ecke, in die Altstadt. Wir werden größer und stellen neue Kräfte ein, aber wir bleiben in Spandau. Friedrichshain nimmt mir doch keiner ab.
Ganz am Jahresende aber war etwas anders. Da haben Sie sich nicht laut und dreist geäußert und rumgeblödelt, sondern schrieben einen kleinen öffentlichen Brief.
Ich war sehr müde. Ich konnte bei „Freaks 4U“ fünf Jahre lang rumspielen und rumquatschen und nachts um 3 Uhr die Tür abschließen – das Geld haben andere Kollegen für mich reingeholt. Heute ist das anders. Heute bin ich Teil eines Start-Ups. Ich verdiene genug, aber ich bin hier einer der Gesellschafter. Heute muss ich so gut sein, dass auch die anderen Kolleginnen und Kollegen im Hintergrund pünktlich und verlässlich ihr Gehalt bekommen. Diese Verantwortung bedeutet viel Druck, den ich so bisher nicht kannte. Ich brauchte eine Pause. Wissen Sie, ich muss seit fünf Jahren witzig sein in sehr hoher Frequenz. Das ist anstrengend. Ich bekam plötzlich fast depressive Züge und ich stellte mir die Frage: Ist das noch witzig, was ich da mache?
Sie haben geschrieben, Sie wollen 2020 mehr sein wie Ihr Opa. Wie war Ihr Opa?
Er ist vor fünf Jahren gestorben. Er ging zu Aldi, plauderte mit der Kassiererin, hatte immer einen Spruch auf den Lippen, war aber nie unverschämt. Er nahm sich selbst nicht ernst, dafür hat er zu viel erlebt. Er hat nach dem Krieg beim Roten Kreuz viel aufgebaut und war Feuerwehrmann und kein Kasper wie ich im Internet. Ich rege mich manchmal zu sehr auf und nehme mir zu viel zu Herzen. Ich muss lernen, was wirklich wichtig ist und auch mal loslassen.
Herr Knabe, gab es eigentlich einen Dank vom Tierheim?
Darum ging’s mir nicht, aber ja. Ich bekomme im Frühjahr einen Spenderstein am Wegesrand. Eine kleine Pfote, auf der mein Name stehen wird. Schön, oder?
Das Gespräch führte André Görke für den Tagesspiegel-Newsletter für den Berliner Bezirk Spandau. Der erscheint einmal pro Woche. Den Spandau-Newsletter vom Tagesspiegel gibt es kostenlos und in voller Länge von André Görke hier
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