zum Hauptinhalt
Gisela du Vignau aus Zehlendorf engagiert sich als ehrenamtliche Sterbebegleiterin für das Diakonie-Hospiz Wannsee
© Anett Kirchner

Das Diakonie-Hospiz Wannsee: Die Sterbebegleiterin

Oft hilft sie schon mit einem Gespräch, einem Händedruck, einem Lächeln: Gisela du Vignau ist Sterbebegleiterin. Sie bereitet sterbenden Menschen eine möglichst gute letzte Zeit - und arbeitet so an eigenen Ängsten vor dem Tod.

Es bleibt von jedem Menschen etwas, wenn er stirbt. Der Körper ist nur eine Hülle. Die Energie, die im Körper war, geht nicht verloren. Manche nennen es Seele. Das ist ihre ganz persönliche Vorstellung vom Tod. Eine schöne, beruhigende Vorstellung, findet Gisela du Vignau. „Deshalb sprechen Angehörige auch oft mit ihren Verstorbenen an den Gräbern“, erzählt sie. „Und sie bekommen Antworten. Irgendwie.“ Ihr begegnen oft schwerkranke Menschen, die nur noch wenige Tage oder Wochen leben werden. Gisela du Vignau aus Zehlendorf engagiert sich als ehrenamtliche Sterbebegleiterin für das Diakonie-Hospiz Wannsee.

Jeder kennt sie hier im Hospiz Wannsee

Warum sie das macht? Weil sie ein wenig dazu beitragen möchte, dass es den Menschen bis zum Schluss so gut wie möglich geht: mit einem Gespräch, einem Händedruck, einem Lächeln oder einer Umarmung vielleicht. Dieser Wunsch rührt von Erfahrungen aus ihrem eigenen Leben, von denen sie später hier erzählen wird.

Und es gibt noch einen zweiten, wichtigen Grund: „Damit bearbeite ich meine eigene Angst vor dem Tod.“ Kaum zu glauben, wenn man sie sieht. Angst? Gisela du Vignau, eine aufgeschlossene, selbstbewusste Dame, attraktiv, 69 Jahre alt und jung geblieben, immer ein Lächeln auf den Lippen. Jeder kennt sie hier im Hospiz Wannsee. Die Begrüßungen sind herzlich und wirken echt. Bei einer Mitarbeiterin bleibt sie länger stehen. Ein Schwätzchen. Es wird dabei viel gelacht. Das ist explizit erlaubt, ja sogar erwünscht.

„Geht es Ihnen gut“, fragt sie einen Gast. Die Sterbenden hier im Haus werden Gäste genannt. Die angesprochene, ältere Dame nickt, zögerlich, wirkt betrübt, mit leerem Blick, entmutigt. Gisela du Vignau versucht, sie aufzumuntern. Mit einem Lächeln. Es funktioniert. Meistens.

Ihr Vater ist hier im Hospiz gestorben. Dadurch kam sie zum ersten Mal mit diesem Haus in Kontakt. Er hatte es sich so gewünscht, wollte nicht in einem Krankenhaus sterben. Seine letzten beiden Tage und Nächte verbrachte er hier am Wannsee. Nierenversagen. Er wurde 88 Jahre alt.

Sie redet mit ihm, obwohl er schon tot ist

Der Abschied war trotz aller Traurigkeit sehr beruhigend hier im Hospiz, ohne Hektik und mit viel Zeit. „Mein Vater lag friedlich im Bett, Blüten waren darauf verstreut und es brannten Kerzen“, erinnert sie sich. Das Fenster habe ein wenig offen gestanden, von draußen zwitscherten Vögel. „Ich redete mit ihm, obwohl er schon tot war“, verrät sie. Es sei ein würdiger Abschied gewesen. Und so wünsche sie es sich bei jedem Menschen, eine liebevolle Begleitung bis zum Tod. Deshalb habe sie sich entschieden, die Ausbildung zur Sterbebegleiterin im Diakonie-Hospiz Wannsee zu machen.

Die Ausbildung setzt sich aus einem Grundkurs, einem Praktikum und einem Aufbaukurs zusammen. Vor allem geht es darum, Grundlagen der Hospizarbeit zu erlernen, sich mit Sterben, Tod und Trauer auseinanderzusetzen; auch in Anbetracht der eigenen Biografie. Überdies werden medizinische und rechtliche Themen wie Schmerztherapie und Patientenverfügung behandelt. Die Ausbildung dauert zehn Monate. Derzeit engagieren sich im Diakonie-Hospiz Wannsee rund 120 ehrenamtliche Mitarbeiter.

Oft können die Sterbenden nicht loslassen

Wie genau denn der Tod nun aussehe? Sie weiß es nicht, war bisher selten dabei, denn die meisten Menschen sterben allein. Nachts. Wie auch ihr Vater. „Denn oft können sie nicht loslassen, wenn Angehörige am Bett stehen, vielleicht aus einer Art schlechtem Gewissen heraus, die anderen allein zu lassen“, vermutet Gisela du Vignau. Wenn schließlich alles gesagt und geklärt ist, finden die Sterbenden meistens ihre Ruhe.

Der Weg dorthin, die Tage zuvor sind bei jedem individuell und anders. Der Gast führt Regie, ist die Devise. Es werde versucht, eine schöne Zeit miteinander zu verbringen, je nachdem, wie mobil die oder der Sterbende noch ist. Das kann ein Ausflug ins Grüne sein oder ein Besuch in einer Ausstellung. „Was sich der Gast wünscht, versuche ich zu ermöglichen“, sagt sie. Bei jenen, die nicht mobil sind, sitze sie am Bett, halte die Hand, summe ein Lied oder tröste.

Im Grünen gelegen: Das Diakonie-Hospiz Wannsee.
Im Grünen gelegen: Das Diakonie-Hospiz Wannsee.
© Anett Kirchner

„Für mich ist das eine sinnvolle Aufgabe“, beschreibt die Sterbebegleiterin. Wenn die Menschen ihr aus ihrem Leben erzählten, entwickle sich oft Nähe, Vertrauen und Offenheit – eine einfühlsame menschliche Begegnung von besonderer Intensität. „Nicht verhehlen will ich allerdings, dass auch manchmal große Enttäuschungen möglich sind, wenn es beispielsweise innerhalb der Familie zu divergierenden Standpunkten über eine Begleitung kommt“, sagt sie offen. Für solche Fälle gebe es das Angebot von Supervisionen, in denen diese Situationen bearbeitet werden können.

Ein Freund starb plötzlich an einem Herzinfarkt

Gisela du Vignau wurde in Sachsen geboren, ist aber in Berlin-Spandau aufgewachsen. Nach dem Abitur studierte sie auf Lehramt, arbeitete später viele Jahre als Sonderpädagogin in verschiedenen Einrichtungen. Seit 1971 wohnt sie mit ihrer Familie in Zehlendorf. Sie hat zwei Kinder und ein Enkelkind. Das erste Mal, dass sie bewusst mit dem Sterben konfrontiert wurde, war bei einem Freund, der während eines gemeinsamen Urlaubes an der Nordsee plötzlich an einem Herzinfarkt verstarb; mit erst 53 Jahren.

„Das war ein sehr eingehendes Todeserlebnis, das ich bis heute nicht vergessen kann“, beschreibt sie. Später habe sie in zeitlichen Abständen noch drei Frauen aus ihrem engen Familienkreis verloren. Alle starben im Krankenhaus: ihre Großmutter, Schwiegermutter und schließlich auch die eigene Mutter. „Doch ein Krankenhaus ist nicht die optimale Umgebung zum Sterben“, findet Gisela du Vignau. Deshalb wünschen sich die meisten Menschen dafür ihre vertraute Umgebung. Und hierbei helfen die Sterbebegleiter, die die Todkranken vorwiegend ambulant, also Zuhause, betreuen.

Und Gisela du Vignau selbst: Hat sie eine konkrete Vorstellung von ihrem eigenen Tod? Sie überlegt nicht, sondern spricht es sofort offen aus: „Ich würde gern im Diakonie-Hospiz Wannsee sterben, habe mir auch schon ein Zimmer ausgesucht.“ Denn hier gehöre der Tod zum Leben, werde als etwas ganz Normales gesehen. „Jeder Mensch stirbt letztlich individuell, genau so individuell, wie er gelebt hat“, beschreibt sie. Darauf könne man sich im Grunde nicht vorbereiten. Aber die Zeit davor sei ganz entscheidend. Begleitung im Sterben heißt Hilfe zum Leben – das ist der Hospizgedanke und dabei unterstützt sie die Menschen als ehrenamtliche Sterbebegleiterin.

Der nächste Vorbereitungskurs für ehrenamtliche Sterbebegleiter beginnt im Februar 2016.

Die Autorin Anett Kirchner ist freie Journalistin, wohnt in Steglitz-Zehlendorf, und schreibt als lokale Reporterin regelmäßig für den Tagesspiegel Zehlendorf. Folgen Sie Anett Kirchner auch auf Twitter.

Zur Startseite