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Berlin-Charlottenburg: Die Retro-Kunst im Europa-Center

Rätselhafte Uhren, der leuchtende Obelisk und der kaputte Lotusbrunnen, der nun doch zurückkehren könnte: Berlins ältestes Einkaufszentrum ist auch ein Refugium für einzigartige Installationen.

Wie spät ist es? Keine so leichte Frage bei der Mengenlehre-Uhr. Hier zeigt sie 14.24 Uhr an.
Wie spät ist es? Keine so leichte Frage bei der Mengenlehre-Uhr. Hier zeigt sie 14.24 Uhr an.
© Cay Dobberke

Da steht sie im Jahr 2015, dieses Relikt der Siebziger Jahre, und sendet mit orange-roten Leuchtfeldern ihre verschlüsselte Botschaft in die Nacht – nämlich, dass es viertel vor zehn ist. „Die Stunde schlägt nicht, sondern leuchtet“ war der Slogan der so genannten „Mengenlehre-Uhr“, die im Juni 1975 als „erste Uhr der Welt, die die Zeit mit leuchtenden Feldern anzeigt“ auf dem Ku'damm aufgestellt wurde. Einen Eintrag in das Guiness-Buch der Rekorde war das damals wert, als Wandmodell und Tischuhr schafften es Miniaturen in westdeutsche Wohnzimmer.

Seit 1996 steht sie nun an der Rückseite des Europa-Centers vor dem Eingang an der Budapester Straße, ihr Licht verschwimmt mit der Leuchtreklame einer Autovermietung.

Kästchen statt Zeiger

„Die Uhr war früher eine Attraktion“, erinnert sich Centermanager Uwe Timm, „deswegen holte der damalige Eigentümer des Europacenters, Karl Heinz Pepper, sie auf sein Grundstück, als nach dem Tod ihres Schöpfers weder die Witwe noch Bezirk oder Stadt die Wartung weiter bezahlen wollte.“

Der Berliner Erfinder Dieter Binninger war in einem Flugzeugunglück gestorben, nachdem er versucht hatte, eine „Ewigkeitsbirne“ zu entwickeln – die sollte ihm auch das Geld für die vielen  Glühbirnchen ersparen, die er ständig in seiner Uhr austauschen musste. Weil das Unglück nie aufgeklärt wurde, sah die Öffentlichkeit eine „Glühbirnenverschwörung“ am Werk.

Zwei Reihen roter Kästchen zeigen die Stunden: Ein oberes Kästchen steht für je fünf Stunden, ein unteres nur für eine. Ebenso sinnvoll leuchten die gelben Minuten-Kästchen darunter. Aber das leuchtende Ding, was keine Werbung ist und die Uhrzeit nicht so schnell herausrückt, ist den Passanten rätselhaft. Deshalb gibt es eine erklärende Infotafel.

Giftgrüne Flüssigkeit gluckert durch die Wasseruhr

Ein paar Meter weiter, im westlichen Innenhof des Europa-Centers, steht seit 1982 ein Zeitmesser, der etwas mehr beachtet wird: In der „Uhr der fließenden Zeit“ gluckert giftgrüne Flüssigkeit gemächlich durch runde und platte Glaskugeln.

Ein Detail der „Uhr der fließenden Zeit“, die meistens einfach Wasseruhr genannt wird.
Ein Detail der „Uhr der fließenden Zeit“, die meistens einfach Wasseruhr genannt wird.
© Cay Dobberke

Dänische Touristen in Windjacke und Wanderschuhen stehen davor und diskutieren, wieso das Wasser manchmal bergauf fließt. Dann Porträtfoto vor der Uhr, Mann fotografiert Frau mit dem Handy.

„Die Leute fragen immer nur nach der Uhr der fließenden Zeit, so gut wie nie nach der Mengenlehre-Uhr“, bestätigt Petra, 58 Jahre alt, adrett geschlungenes Halstuch, die seit fast fünf Jahren am Info-Counter im Center arbeitet. Auch nach dem Licht-Obelisken am Ausgang Tauentzienstraße habe sie nie jemand gefragt.

Pixelbilder am Obelisken

Dabei hat der Obelisk sogar einen recht prominenten Schöpfer: Die 35 Meter hohe Säule entwarf 1987 Heinz Mack persönlich, der Mitbegründer der Künstlergruppe Zero. Damals war sie der erste gläserne Obelisk der Welt. Heute fängt die Blicke nicht mehr so ein wie früher: Gegenüber stakst bunt und riesig ein Model auf einem Werbe-Bildschirm über den Laufsteg, der Obelisk blinkt dem nur verpixelte Kreuze entgegen. 

Der Obelisk an der Tauentzienstraße hat nicht zuletzt den Sinn, die von der Feuerwehr verlangte Nottreppe optisch aufzuhübschen.
Der Obelisk an der Tauentzienstraße hat nicht zuletzt den Sinn, die von der Feuerwehr verlangte Nottreppe optisch aufzuhübschen.
© Cay Dobberke

Nicht nur seine Optik, auch sein Innenleben ist eher retro als futuristisch. „In den 2000ern war der Obelisk jahrelang außer Betrieb, weil es eine Computer mehr gab, die ihn steuern konnten“, erzählt Timm. „Ein Programm musste dem Obelisken vortäuschen, es wäre ein alter PC mit DOS-Betriebssystem – so gingen zumindest Standbilder.“ Erst als eine neue Steuerung und LEDs eingebaut wurden, begann der Obelisk vor zwei Jahren wieder wie vorgesehen zu leuchten.

Das Werk, das einst trotzig die Freiheit West-Berlins behauptete und mit Glas und Licht die Zukunft ankündigte, wurde selbst von dieser eingeholt. Auch durch die Uhr der fließenden Zeit ist schon viel grünes Wasser geflossen. Und die Mengenlehre-Uhr? Ist ein Chronograph des Anachronismus. 

Was bedeuten diese skurrilen Werke noch der City West?

Centermanager Timm muss bei dieser Frage kurz überlegen. „So lange Leute sich für die Werke interessieren und davor stehenbleiben, haben sie nicht nur einen historischen Wert, sondern auch eine neue, aktuelle Bedeutung“, sagt er dann. „Das Rätseln über die Funktionsweise der Mengenlehre-Uhr konterkariert den kurzen Blick aufs Smartphone. Das regt zum Nachdenken an“.

Der Lotusbrunnen ist eingelagert – die Rückkehr bleibt möglich

Ein Wahrzeichen des Centers ist schon verschwunden: Der Lotusbrunnen im Center, in dem wackelnde Blütenkelche sich gegenseitig Wasser zufließen ließen und summende Töne ausstießen, wurde 2013 aufgrund von Schäden abgebaut. Jetzt lagern die Blüten in Kisten im Depot des Centers und warten darauf, irgendwann repariert zu werden.

So sah der Lotusbrunnen im Europa-Center früher aus, nun ist er vorläufig eingelagert.
So sah der Lotusbrunnen im Europa-Center früher aus, nun ist er vorläufig eingelagert.
© Kai-Uwe Heinrich

Das Werk Pariser Künstler Bernard und Francois Baschet ist eine Leihgabe der Neuen Nationalgalerie. Center-Eigentümer Christian Pepper sagte dem Tagesspiegel beim Jubiläumsfest am Donnerstag, voraussichtlich werde das Europa-Center die Reparaturkosten tragen. Der Zeitpunkt stehe allerdings noch nicht fest.

Draußen am Ku'damm verlautbart der Obelisk jetzt „Europa-Center“ in verpixelten fliegenden Buchstaben. Auf der anderen Seite sprintet an der Mengenlehre-Uhr eine Frau vorbei, bleibt stehen, guckt auf die Uhr. „Wollte nur gucken, ob ich noch weiß, wie sie funktioniert“, sagt sie, und zählt an den Fingern die Uhrzeitfelder ab. Das Digitale von Gestern ist offenbar doch noch verständlich – zumindest für Insider.

Der Artikel erscheint auf dem Ku'damm-Blog, dem Online-Magazin für die westliche Innenstadt.

Luisa Hommerich

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