Non-Profit-Projekt in Kreuzberg: Die Kiez-Kantine am Mehringplatz
Jahrelang stand eine Großküche am Mehringplatz leer. Bis der Verein „Kreuzberger Musikalische Aktion“ ein Nachbarschaftsprojekt startete, um ein Kieztreffpunkt zu schaffen. Nur Schweinefleisch ist hier nicht willkommen.
Friedrichstraße, Hausnummer 1: Ein Teller Frühlingssuppe mit Kartoffeln und Karotten wird von einer Frau mit Kopftuch über die Edelstahl-Küchentheke gereicht. Kleine Teller mit saftig-gelben Käsekuchen stehen auf der Theke. Es ist Mittagszeit in der „Kantine Kreuzberg“ am Mehringplatz. Die ersten hungrigen Gäste machen es sich an den großen Holztischen bequem, die mit weiß-grünen Tischdecken und kleinen Blümchen hergerichtet sind. An der Wand hängt eine Tafel, auf der mit Kreide das heutige Tagesgericht geschrieben steht. Doch warum stehen dort zwei Preise?
Marthe Eggebracht, Betreuerin des Non-Profit-Projekts, erklärt das Prinzip: Für jedes Essen gibt es sowohl einen Kiez- als auch einen Soli-Tarif. Zur Kiez-Gruppe gehören Menschen, die im Kiez um den Mehringplatz wohnen, im „Inti-Haus“, dem Integrationshaus des Vereins „Kreuzberger Musikalische Aktion“, arbeiten oder deren Einkommen gering ist. Menschen, die mehr Geld zur Verfügung haben, zahlen den etwas höheren Soli-Tarif.
Ein Mittagsgericht liege so immer zwischen zwei und vier Euro, erklärt Eggebrecht. Aus diesen Erlösen finanziert sich die Kantine. „Außerdem finanzieren wir den Kindern und Jugendlichen im Haus eine kostenlose warme Mahlzeit am Tag“, ergänzt die 33-Jährige. Lediglich eine kleine finanzielle Unterstützung bekommen sie von dem Verein „Children for a better world“. Aber auch Spenden helfen dem Verein, weitere Investitionen zu tätigen; so wurde der Kantine gerade ein vierter, großer Holztisch gestiftet – damit in Zukunft noch mehr Gäste Platz finden.
Marthe Eggebrecht betreut das Projekt, das im Sommer 2013 startete, von Anfang an. Die Kreuzberger Musikalische Aktion ist eine gemeinnützige Organisation, die seit 1987 Musikprojekte für Jugendliche organisiert. Warum also nun Essen statt Musik? „Essen verbindet. Uns ist es sehr wichtig, die Menschen im Kiez an einen Tisch zu bekommen“, sagt Eggebrecht. Der soziale und integrative Aspekt stehe für den Verein im Vordergrund. Lange Zeit habe die Küche im „Inti-Haus“ leer gestanden. Ungenutzt, verkalkt. Der Verein kam dann auf die Idee, die Kiez-Kantine einzurichten – für die Menschen, die am Mehringplatz leben, arbeiten oder auch einfach entlanglaufen. Vor allem für ältere und einkommensschwächere Menschen solle ein Ort der Begegnung geschaffen werden, sagt Eggebrecht.
Janina Kriehm kommt fast jeden Tag. Seit ihr Mann gestorben ist, sagt sie, kocht sie nicht mehr so gern für sich alleine. Auch diesmal hat es der 94-Jährigen „wunderbar geschmeckt“. Da sie direkt am Mehringplatz wohnt, hat sie es mit ihrem Rollator nicht weit. Auch für Helena Venturi ist die Kantine eine regelmäßige Anlaufstation geworden. „Ich treffe mich hier gerne mit meinen Nachbarn“, sagt die 71-Jährige. Dass die Tür für jedermann offen steht, gefällt ihr besonders. Das Gemüse, das auf den Tisch kommt, wird im Sommer im eigenen Garten im Hof angebaut. Dort kümmert sich Regina Hoffmann um Zucchini, Tomaten und Kräuter. Denn in der Küche soll hauptsächlich regional und saisonal gekocht werden. Die 61-Jährige speist selbst aber auch gerne hier: „Das Essen ist immer lecker. Und wo bekommt man heute schon für zwei Euro ein warmes Essen?“
Doch in der Kantine kommt nicht alles auf den Tisch. Gleich zu Beginn des Projekts ist es dem Verein wichtig gewesen, dass die Küche kein Schweinefleisch serviert, so dass Kiez-Bewohner aller Glaubensrichtungen das Angebot in Anspruch nehmen können. „Das einzige Schwein, das wir haben, ist unser Sparschwein“, sagt Eggebrecht. Die Küche hat insgesamt zehn Mitarbeiter, davon sind zwei gelernte Köche. Mittlerweile werden 90 Essen pro Tag ausgeschenkt. Alle Beschäftigten wurden vom Jobcenter vermittelt, das das Projekt unterstützt. Die Mischung auf der Speisekarte – italienisch wechselt sich mit asiatisch, arabisch oder deutsch ab – ist das Ergebnis einer bunt gemischten Küchencrew.
Wenn Ralph Pisch, einer der Köche, über seine Kollegen spricht, kommt er ins Schwärmen: „Wir sind quasi gelebter Sozialismus: Wir sind aus den unterschiedlichsten Ländern, ergänzen uns gegenseitig und helfen einander. Das ist ein Miteinander, von dem Bundeskanzlerin Merkel nur reden kann, wir aber leben es.“ Küchenkollege Reinhard Nowak, der gerade dabei ist, selbst eine Suppe zu verspeisen und einige Erfahrung im Restaurantgewerbe hat, pflichtet ihm bei: „Hier wird man mit seiner Arbeit noch richtig respektiert, wird als Arbeitskraft nicht einfach nur ausgebeutet – das ist heute leider nur noch selten so.“ Dann fällt Pisch noch etwas ein: „Eigentlich sind wir hier ein Abbild von Kreuzberg in Klein.“
Der Speiseplan und weitere Infos: www.facebook.com/kantinekreuzberg
Dieser Artikel erscheint im Kreuzberg Blog, dem hyperlokalen Online-Magazin des Tagesspiegels.