Erinnern Sie sich?: Die faszinierenden Berlin-Bilder des Ekkehard K.
Mauerszenen, Alltag auf den Straßen, abgerissene S-Bahnhöfe. Ein Lehrer aus Steglitz zeigt Ihnen seine Fotos hier im Tagesspiegel.
Diese Berlin-Bilder haben es in sich. Sie zeigen unsere Stadt in einer Zeit, in der nicht jeder ein Handy in der Hosentasche dabei hatte. Zack, Foto, nächstes Bild? Es war viel aufregender.
Fotos schießen: Damit war Aufwand verbunden. Man musste die Kamera erst mal herumtragen, einen Film dabei haben, zum Fotoladen laufen, die Rolle entwickeln, warten - und dann gucken, ob das Foto etwas geworden war.
Diese Berlin-Bilder stammen von Ekkehard Kolodziej, 77. Er ist Tagesspiegel-Leser, hat Fotobücher veröffentlicht, früher war er Lehrer für Chemie und Physik an einer Gesamtschule in Berlin-Wilmersdorf.
Seine Leidenschaft: Sein Berlin auf Bild festhalten. Die Züge, die Mauer, den Wandel.
"Ich habe heute noch 100.000 Bilder", sagt Ekkehard Kolodziej.
Der Kontakt kam 2018 über den Spandau-Newsletter vom Tagesspiegel zustande, zufällig, irgendwie. Es ging um ein Detail. Ekkehard Kolodziej schickte ein Foto, um alte Dinge in Berlin besser zu verstehen.
Irgendwann öffnete Ekkehard Kolodziej seinen Foto-Schatz. Ein Werk wie gemacht für Berliner Museen, die sich nicht nur für die Touri-Spots interessieren, sondern den Alltag in der Stadt.
Einige der Bilder, die Sie so noch nicht gesehen haben, möchte Kolodziej Ihnen, also den anderen Leserinnen und Lesern des Tagesspiegel zeigen. Es sind seine Fotos, und er bittet darum, die Rechte daran zu wahren.
Diese Geschichte begann im Spandau-Newsletter leute.tagesspiegel.de
Dieses Bild zum Beispiel zeigt den Bahnhof Friedrichstraße, Dezember 1989. Sie sehen die zwei Hallen, die es heute noch gibt. Das Absurde: Die linke Halle war DDR-Zone, die rechte auch - allerdings war sie Sperrgebiet für Bürger aus der DDR. Dort endeten die Interzonen-Züge und S-Bahnen aus dem Westen.
Der Bahnhof Friedrichstraße war Grenzübergang. Mit DDR-Grenzern, Sichtschutzwand - gut links im Bild von Tagesspiegel-Leser Kolodziej zu erkennen. In der linken Halle endeten die Züge der S-Bahn in der DDR.
Achten Sie mal auf den Hintergrund: Da fehlen so viele Häuser, dass einem die Kinnlade runterfällt. Die Fotos entstanden im November 1989.
Zwischen den beiden Hallen des Bahnhofs Friedrichstraße befand sich eine riesige Sichtschutzwand - der Blick von der DDR auf die zwei West-Bahnsteige war versperrt. Heute ist der Blick frei.
Ekkehard Kolodziej ist in einem polnischen Zipfel geboren, der früher zu Brandenburg gehörte und dann zu Polen. Über Umwege landete die Familie nach dem Krieg in Potsdam. Dort besuchte er die Grundschule, musste dann aber eine Oberschule in West-Berlin besuchen. Die Wirren der 50er.
"Nur durch einen glücklichen Umstand war ich nach dem Bau der Mauer, am 13. August 1961, im Westteil der Stadt gelandet, während meine Eltern und zwei meiner Geschwister in Potsdam geblieben waren", erinnert sich Kolodziej. "Meine älteste Schwester, die 1957 in Spandau geheiratet hatte, wohnte an der Scharfen Lanke, wo ich zunächst eine Bleibe fand. Da ich als Grenzgänger schon vor dem Mauerbau täglich mit der S-Bahn von Potsdam nach Zehlendorf zum Droste-Hülshoff-Gymnasium fuhr (in der DDR durfte ich nicht auf das Gymnasium gehen), konnte ich nach dem Mauerbau die Schule weiter besuchen, jetzt aber von Spandau aus." Zur Schule benötigte er morgens zwei (!) Stunden. Später zog er nach Lichterfelde.
Tagesspiegel-Leser Ekkehard Kolodziej hielt weiter die Ereignisse der Stadt fest. Unaufgeregt, mit klarem Blick. "Manchmal mit nervösen Händen, weil das Fotografieren in der DDR wirklich nicht einfach war."
Hier 1970, hinten die Glienicker Brücke. Von hier kam man über die Havel nach West-Berlin. Damit dort aber nicht jeder abbiegen konnte, stellte die DDR ein Schiff quer - die Boote hätte ja niemand so schnell aufhalten können. "Einen quer gestellten Lastkahn zur Grenzsicherung haben Sie bestimmt noch nicht gesehen", erzählt Kolodziej.
Hier ein Foto vom Brandenburger Tor, 1971, aufgenommen aus der DDR. Anrainer? Keine. Aber ein Soldat passte auf. Hinten ist der Reichstag zu sehen.
Oder hier, DDR, Berlin-Mitte, August 1968. Ekkehard Kolodziej steht Unter den Linden. Der Palast der Republik wurde erst in den 70ern gebaut. Hinten entsteht der Fernsehturm - die Kuppel ist noch nicht komplett. Links: der Dom. Hinten die Marienkirche.
Zeitsprung, 80er Jahre, West-Berlin. Kolodziej zeigt zwei Fotos aus seinem Archiv. Hier war er im Dezember 1986 - gut zu erkennen am Weihnachtsbaum - an der Glienicker Brücke zu Besuch. Die Grenze verläuft direkt in der Mitte der Brücke. Vorn der BVG-Bus der Linie 6. Erinnern Sie sich?
Oder hier: die legendäre M-Bahn, die am Mauerstreifen in West-Berlin fuhr und als irres Zukunftsding galt - dann aber dummerweise über das Ende der Strecke hinausschoss. Das Foto entstand am 20. Dezember 1988 - die M-Bahn baumelte am Bahnhof Kemperplatz in luftiger Höhe. Kurz danach war Schluss: Die Linie U2 sollte wieder aufgebaut werden und von Ost nach West fahren (und umgekehrt).
"Ich bin am 40. Jahrestag der DDR, am 7.10.89 mit der Magnetbahn gefahren, um aus der Magnetbahn Bilder in Richtung „Todesstreifen“ zwischen Potsdamer Platz und Brandenburger Tor machen zu können. Allerdings war das Wetter damals schlecht und der Film hat in den letzten 30 Jahren auch sehr gelitten. Vielleicht wirkt der Grenzabschnitt im Herzen Berlins dadurch noch trister als er ohnehin war."
Erkennen Sie es? 1988, hinaus zum 1. Mai. Die Karl-Liebknecht-Brücke in Ost-Berlin. Rechts steht noch der riesige Palast der Republik.
Oder hier, 1988, ein Besuch auf dem einstigen Hauptbahnhof von Spandau. Der befand sich woanders als der heutige ICE-Bahnhof - eine Station weiter Richtung Innenstadt. Heute heißt der Bahnhof Stresow. Die Bahnsteige sind längst abgerissen.
Am damaligen S-Bahnhof Spandau-West sah es 1988 so aus - heute stehen hier die "Spandau Arcaden" und der ICE-Bahnhof.
Zeitsprung, Wendezeit. "Als die Mauer fiel, bin ich täglich mit dem Fotoapparat durch die Stadt gelaufen, um das einmalige, unvorstellbare Ereignis im Bild festzuhalten. Wer weiß denn heute noch, wie der Bahnhof Friedrichstraße als Grenzübergangsbahnhof aussah und von den Grenzorganen kontrolliert wurde."
Ekkehard Kolodziej hat noch viel mehr festgehalten - für sich, für die Nachwelt.
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November 1989, nahe dem Nordbahnhof mit Blick auf den Todesstreifen. Unten kommt die S-Bahn aus dem Nord-Süd-Tunnel. Ekkehard Kolodziej suchte sich ein Plätzchen in einem der Häuser nahe dem Friedhof und hielt den Moment fest. Wer kurz Orientierungshilfe benötigt: Die Bernauer Straße befindet sich am Ende dieser Steppe - hier eine Luftaufnahme mit dem heutigen Blickwinkel.
Januar, 1990. Irgendwo an der Grenze. "Das Bild ist für mich schaurig und interessant zugleich. Ein Kind guckt durch einen Mauerspalt in die Grenzanlage. Ich möchte mir gar nicht vorstellen, wie sich das Leben dieser beiden sehr jungen Grenzsoldaten geändert hätte, wenn sie auf einen Flüchtenden hätten schießen müssen. Ich bilde mir ein, dass den beiden die Entspannung anzusehen ist, nie mehr den Schussbefehl umsetzten zu müssen."
Januar 1990. Glienicker Brücke - der Weg ist frei für den BVG-Bus. Rechts steht das Schild "Passkontrolle".
November 1989, das Friedrich-List-Ufer. Heute würde Kolodziej im Hauptbahnhof stehen - damals stand er auf dem alten S-Bahnhof Lehrter Stadtbahnhof und hat das Treiben nahe dem Grenzübergang Invalidenstraße beobachtet.
Januar 1990. Der Grenzübergang am Ostpreußendamm. "Der Bus steht in der heutigen Lichterfelder Allee (Richtung Berlin) und kommt, nach der Grenzkontrolle, zum Ostpreußendamm", erinnert sich Ekkehard Kolodziej.
April 1990. Ein sonniger Tag, die ersten Radler sind unterwegs. Und der Asphalt ist ganz frisch auf der neuen Kontrollstelle zwischen Zehlendorf und der DDR. "Zehlendorf grüßt Kleinmachnow" steht auf dem Plakat über der Straße.
Mai 1990. Hier ein Blick auf den Kontrollpunkt ganz im Westen der Stadt. Spandau, Ortsteil Staaken, hier die Kontrollstelle nach West-Berlin mit dem markanten "Tor" am Zugang, dahinter das Grenzer-Haus. Ganz links: der "Intershop".
Juni 1990, Checkpoint Charlie. Ekkehard Kolodziej fotografiert die Szenerie aus West-Berlin, also Kreuzberg (gut zu erkennen am US-Militär)...
... und hier ein paar Schritte weiter, immer noch in West-Berlin: Friedrichstraße Ecke Zimmerstraße.
Und dieses Foto zeigt den Checkpoint Charlie - achten Sie mal auf die DDR-Schilder oben.
Juli 1990, Dreilinden. Die Autobahn ist schon seit einer Ewigkeit nicht mehr in Betrieb. Doch die alte Trasse war schwer gesichert. Die Betonsperren wurden abtransportiert von den typischen Baufahrzeugen der DDR.
März 1993. Karl-Liebknecht-Straße in Berlin-Mitte. Hinten die Marienkirche, vorn der Schlenki mit der Tagesspiegel-Reklame. Ekkehard Kolodziej hält auch das mit seiner Kamera fest.
Ostern 1992. "Das S-Bahngleis endet an der Mauer unmittelbar vor der Einfahrt zum S-Bahnhof Griebnitzsee", erzählt Kolodziej. "Die Strecke wurde am 1.4.1992 feierlich in Betrieb genommen. Bis zur Wiedereröffnung des S-Bahnhofs wurde der Bahnhof Griebnitzsee als Kontrollbahnhof für die Transitzüge genutzt. Dazu gehörte der im Bild befindliche Wachturm, für mich war das Schild „Aufschwung Ost“ sehr wichtig. Wie vor dem Mauerbau fuhren die S-Bahn Züge von Potsdam nach Erkner, heute nach Ahrensfelde. Bahnsteig nebst Wachturm sind inzwischen abgerissen."
Ebenfalls 1992, August. Das Bild zeigt den Bahnhof Alexanderplatz. Unten die große Tagesspiegel-Reklame.
März 1994. Der Mauerfall ist schon ein bisschen her. So sah damals der Bahnhof Falkensee aus - heute rauschen hier die ICE nach Hamburg durch.
1997, Siemensbahn in Berlin-Spandau. Der S-Bahnhof Siemensstadt liegt seit 1980 brach (und soll ab 2021 wieder aufgebaut werden). Aber die Kindl-Kneipe ist noch geöffnet.
1998, Berlins Flughafen Tempelhof ist noch in Betrieb - schwere Maschinen des US-Militärs landen mitten in der Stadt.
1998. Maschinen fliegen direkt am S-Bahnhof Tempelhof vorbei.
Ekkehard Kolodziej kann noch tausend Geschichten mehr erzählen. Aber erst einmal sind wir froh, dass wir Ihnen diese kleine Bilder-Auswahl zeigen dürfen.
Über ein Berliner Leben, über das Berlin des Ekkehard Kolodziej.