25 Jahre Deutsche Einheit in Berlin (2): Der Savignyplatz - wie Sülze und Champagner
Florians, Gainsbourg, Zwiebelfisch, 68er. Der Savignyplatz hat einen ganz speziellen Charme. "Hier hat sich seit 1989 irre viel verändert", sagen Anwohner.
Also gut, die Geschichte mit der Tante. Aykut Kayacik lehnt sich zurück in das rote Polster seiner Eckbank im Diener Tattersall, ist mal wieder Zeit für eine seiner Anekdoten, „davon kann ich Ihnen stundenlang erzählen, aber so viel Zeit haben Sie wahrscheinlich nicht“. Die Geschichte mit der Tante geht so: „Mitte der siebziger Jahre kam sie zu Besuch aus der Türkei. Wir wohnten schon am Savignyplatz, aber es sah noch ein bisschen anders aus als heute. Überall graue Fassaden, es gab noch Einschusslöcher vom Krieg und die Luft war dick, weil in fast allen Häusern mit Kohle geheizt wurde. Die Tante kam, sie sah unser Haus – und wollte gleich wieder nach Hause. Bloß weg aus dieser furchtbaren Stadt.“
Englischer Rasen, prächtige Bäume
Der Schauspieler Aykut Kayacik ist 52 Jahre alt, ein massiger Mann mit schwarzgrauem Haar und Kinnbart. 1969 ist er mit seinen Eltern nach Berlin gekommen und wohnt seit 1971 am Savignyplatz, „drüben an der Kantstraße, ich hab in all den Jahren nur einmal die Straßenseite gewechselt“. Die Geschichte mit der Tante erzählt er immer gern, wenn ihm mal wieder jemand damit kommt, der Savignyplatz sei doch schon immer eine Perle gewesen.
Ein bürgerliches Paradies mit Kneipen, Restaurants, Galerien und Antiquariaten, mit S-Bahnanschluss und in Fußwegnähe vom Zoo. Sieben Straßen kreuzen sich hier an einer Grünanlage mit englisch kurz geschnittenem Rasen und prächtigen Platanen.
Während des Studiums hat Aykut Kayacik als Kellner gearbeitet. Erst im Florian, später im Rosalinde, und weil er auch im Gainsbourg, Brel, Diener und überall sonst ein gern und oft gesehener Gast ist, haben sie ihm einen hübschen Spitznamen verpasst: Aykut
Kayacik ist der Bürgermeister vom Savignyplatz. „Cool war die Gegend schon immer“, sagt er, „aber es hat sich schon wahnsinnig viel verändert, vor allem seit der Wende.“
Wo sind die Bordelle und Spielhöllen?
Wechselhafte Jahre waren das in den frühen Neunzigern. Erst verschwanden die vielen Bordelle und Spielhöllen in den Nebenstraßen. Dafür kamen die Import-Export-Läden, vollgestopft mit Unterhaltungselektronik. „Danach die Russen, die ihr Geld aus dem Land bringen mussten und es in die Wohnungen hier investiert haben.“
Kayacik ärgert sich immer noch, dass er damals kein Geld hatte, „so eine Wohnung war damals billig zu haben, alle wollten doch rüber nach Mitte, Prenzlauer Berg oder Friedrichshain, weil sie dachten, der Westen ist out“. Er selbst hat es auch versucht, mit einem Café an der Friedrichstraße. Nach zwei Jahren war er pleite, „ich bin wohl nicht zum Geschäftsmann geboren“.
"Brauchen wir mehr Ladenketten?"
War eine aufregende Zeit im wilden Osten, aber jetzt kommen sie alle wieder zurück. Ein Vierteljahrhundert nach der Wiedervereinigung ist der Berliner Westen angesagt wie lange nicht mehr, und besonders deutlich ist das am Savignyplatz zu sehen. An der Dichte der Gaststätten, an den Weinhandlungen, Reisebüros, Boutiquen und Buchhandlungen, vier davon gibt es allein in den S-Bahnbögen zwischen Bahnhof und Grünanlage. Der Standort ist begehrt, und das hat nicht nur angenehme Seiten. Legendäre Bodegas wie das Shell oder die Rosalinde haben die finanziellen Herausforderungen der Neuzeit nicht überstanden.
Gerade erst hat sich die Deutsche Bahn als Eigentümer der Ladengeschäfte und den gemauerten Bögen geweigert, auslaufende Mietverträge zu verlängern. „Die wollen das große Geld machen“, sagt Aykut Kayacik. „Kann ich nicht verstehen, tut mir leid. So ein großes Unternehmen muss doch auch das Gesamtbild im Auge behalten. Wollen wir hier irgendwann nur noch große Ladenketten haben?“
Es ist früher Abend im Diener an der Grolmanstraße, gleich hinter den Bahngleisen. Das Diener gehört wie die Dicke Wirtin, der Zwiebelfisch oder das Florian zu den Lokalen, die in keinem Reiseführer fehlen. Aykut Kayacik herzt die Frau an der Theke und bekommt den Stammtisch mit der Eckbank zugewiesen, „bloß nicht eigenmächtig hinsetzen, dann sind Sie sofort unten durch, hier wird man zugewiesen“.
Früher lebte hier die Boheme, Künstler und 68er
Bis in die sechziger Jahre rein hat der Preisboxer Franz Diener in seiner Kneipe das Bier gezapft, und an der Einrichtung hat sich seitdem nicht viel geändert. Die roten Polsterbänke könnten Originalstücke aus der Reichsbahn sein, sie korrespondieren allerliebst mit der grünen Ölfarbe an den Wänden und der dunkelbraunen Holzdecke, die daran erinnert, dass es einmal eine Zeit vor dem Rauchverbot in Berliner Gaststätten gab. „Wenn Sie den Laden modernisieren, ist der ganze Charme weg“, sagt Aykut Kayacik. Für ihn ist das Diener „mein Wohnzimmer, also eines von vielen Wohnzimmern, wissen Sie, wenn ich im Diener bin und das erfährt jemand im Brel oder im Florian, dann sind die da schwer beleidigt und ich muss da auch noch hin“.
So ein Abend mit Aykut Kayacik kann lang werden, denn alle paar Minuten schaut ein Bekannter am Tisch vorbei und setzt sich ungefragt dazu – als Bürgermeister hat man so seine Pflichten. Was sich in den vergangenen 25 Jahren am meisten verändert hat? „Im positiven Sinne die Bausubstanz. Es ist viel saniert worden.
Es gibt keine Kohleöfen und keine grauen Fassaden mehr.“ Und zum Negativen? „Alles ist teurer geworden. Früher bist du mit einem Hunderter los, und wenn du frühmorgens nach Hause bist, hattest du immer noch zwanzig Mark auf Tasche.“ In diesem Sinne seien auch die Mieten gestiegen. „Wer einen alten Vertrag hat wie ich, der zieht hier nicht mehr aus.“
Schmalzstulle und Sülze - und englische Speisekarte
Früher galt der Savignyplatz als Hochburg der linken Boheme. Viele Künstler und 68er. Von Andreas Baader und Gudrun Ensslin ist bekannt, dass sie gern in der Dicken Wirtin bei Suppe und Bier über die Revolution schwadronierten. Das Publikum hat sich gewandelt. „Mehr Geschäftsleute, Diplomaten, Anwälte“ hat Aykut Kayacik in seinen Wohnzimmern ausgemacht, „dazu jede Menge Touristen aus der ganzen Welt. Wir haben hier unseren ganz eigenen Kosmos“.
Das Gewerbe reagiert geschmeidig auf das internationale Publikum, das zu jeder Zeit über die Trottoirs der sieben Anliegerstraßen wuselt. In der Dicken Wirtin an der Ecke Carmerstraße werden immer noch Schmalzstulle, Sülze und Schöneberger Rinderroulade serviert, aber das Schild draußen kündet vorsichtshalber „traditional local dishes“ an. Und der Imbiss mit dem schönen Namen Hasenecke vorn an der Kantstraße hat neben Bier und Pommes auch Champagner im Angebot, die Piccolo für 13 Euro.
Lesen Sie mehr im Tagesspiegel, I.: Schluss mit den dunklen Bahnbrücken – darum geht es bei der „Perlenkette aus Licht“ in der City West. Als drittes Projekt kam nun die Kantstraße an die Reihe. Für mehr reicht das Geld allerdings nicht.
Lesen Sie mehr im Tagesspiegel, II. Eine Reportage aus der City West - erlebt im Jahr 2006.