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Cornelius Häußermann ist Leiter der Berliner Bach-Gesellschaft. Der Kantor und Organist der Paulus-Gemeinde Zehlendorf steht vor der neuen großen Orgel im französischen Stil.
© Thilo Rückeis

Einzigartig in Berlin-Brandenburg: Das Orgel-Experiment von Zehlendorf

Es sind Unikate, handgemachte Kunstwerke. In der Pauluskirche im Herzen Zehlendorfs werden gerade zwei neue Orgeln gebaut, eine barocke und eine im französisch gestimmten Stil. Wir haben den Orgelbauern zugeschaut und Kantor Cornelius Häußermann gefragt, warum die Orgeln das Geld und den Aufwand wirklich wert sind. Eine Reportage.

Von außen ist die kleine Revolution nicht zu erahnen. Als würde in ihrem Inneren nichts geschehen, steht die evangelische Pauluskirche wie eh und je im Herzen von Zehlendorf. Man muss sich durch eine kleine Seitentür hinein schleichen, um Zeuge zu sein, dass auch heutzutage, bei knappen Kassen und hohen Schulden, Kunstwerke entstehen dürfen, die Zeiten, schlechte wie gute, überdauern werden.

Im Inneren dieses verwinkelten Kirchengebäudes von 1905, rote Backsteingotik, steht Cornelius Häußermann, Kantor und Organist, und klatscht laut in die Hände. Dann lauscht er dem sich hartnäckig haltenden Klang hinterher, und es spiegelt sich trotz aller Bescheidenheit ein zufriedenes Lächeln im Gesicht des musikalischen Leiters der Berliner Bach-Gesellschaft wieder. „Es ist diese wunderbare Akustik, die alles möglich macht und die die Grundlage ist, warum wir dieses Wagnis eingegangen sind“, sagt Häußermann und wirkt irgendwie gerührt. Aber sein Satz ist gar nicht mehr zu verstehen, weil eine laute Bohrmaschine über ihm den weichen Nachklang seiner Klatschaktion ziemlich mühelos übertönt.

Verschieben wir die Sache mit dem Wagnis also noch kurz. Denn oben, 23 enge Wendeltreppenstufen über den Kirchenbänken, an denen Häußermann steht, wird eifrig an einer neuen Kirchenmusikgeschichte gewerkelt. Zwei Orgelbauer der weltweit tätigen Zehlendorfer Orgelbaufirma Karl Schuke haben sich dort breit gemacht. Was hier geschieht, seit einigen Monaten schon und was erst im Oktober zur öffentlichen Darbietung gebracht wird, ist nicht weniger als der Lebenstraum eines jeden Kantors und Kirchenmusikers: Es werden Orgeln neu gebaut und intoniert. Es sind nicht irgendwelche Orgeln, keine Universalorgeln, keine Alleskönner, sondern „Kunstwerke“, wie es Cornelius Häußermann mit Stolz in der Stimme formuliert.

Nun aber schnell zurück zum Wagnis. Es ist schon auch so, dass Mitglieder in dieser Kirchengemeinde und außerhalb öfter gefragt haben, warum denn das sein müsse. Und ob das Geld, stattliche 1,5 Millionen Euro, nicht doch für andere Zwecke gebraucht werden könnten. Häußermann kennt die Einwände, Bedenken, Irritationen, den Hinweis auf die immer schwächer werdende Bedeutung von Kirchen. „Totschlag-Argumente“, findet er. Seiner Meinung nach und auch nach Auffassung seiner Mitstreiter, dem Orgelbauverein Pauluskirche und seinem Schirmherrn Bischof a.D. Wolfgang Huber, der Bach-Gesellschaft und unzählige Spendern, hat man andere gute Argumente auf der eigenen Seite.

Da ist einmal die Musik als solche, schließlich habe schon Luther die Musik als wichtigen Baustein der Verkündung des Evangeliums bezeichnet. Wenn die Gemeinde kleiner werden sollte, weil immer weniger Menschen in die Kirche gehen, dann wird diese Kirche ein sehr attraktives zweites Standbein haben, die Menschen in die Kirche zieht: die Musik. Außerdem sind beide Orgeln, die künftig auf den beiden Emporen der Kirche stehen werden, Unikate im berlin-brandenburgischen Raum und weit darüber hinaus. Und dann hat Häußermann noch ein Argument, und er findet, dass es nicht das leichtgewichtigste sei, womit man die eigene Gemeinde, der man schließlich beide Orgeln schenkt, überzeugt habe. „Wir sind auch Träger eines Kulturguts“ und damit, findet er, „Garanten für hochklassige Orgel- und Kirchenmusik“ an diesem Standort.

Der Orgelfachbeirat, unter anderen bestehend aus Professoren der Universität der Künste, haben von einer Universalorgel abgeraten, die zwar billiger gewesen wäre, aber nicht in der Lage, die „wichtigsten Werke der Orgelliteratur klanglich angemessen darzustellen“. Nun hat die Pauluskirche zwei klanglich unterschiedliche Orgeln, eine barocke Bach-Orgel und eine große Orgel, französisch gestimmt, die sich so weitgehend wie möglich an den von Aristide Cavaillé-Coll erbauten Instrumenten der französisch-symphonischen Klangsprache orientiert. Und jedes einzelne Teil dieser Orgeln wurde in Handarbeit hergestellt.

Die barocke Orgel auf der östlichen Empore würde wohl jeden Tischler und Holzhandwerker zu Freudensprüngen animieren, keine einzige Schraube wurde hier verarbeitet, alles ist mit feinsten Holzdübeln befestigt und so glatt gehobelt wie eine Schlittschuhbahn. Die Gemeindemitglieder haben sowieso sehr schnell bemerkt, dass sich mit dem doppelten Orgelbau noch etwas Grundsätzliches in ihrer Kirche geändert hat: Es ist wieder hell, die Sonne kann, wenn sie denn scheint, von Süden in die große Rosette leuchten.

Bisher verdeckte eine Wand das große Rundfenster, weil die alte Orgel davor stand und vor dem Sonnenlicht geschützt werden musste. Ohnehin war das alte Stück ein „kleine Sünde“, wie Häußermann sagt, aus der Zeit der Teflon- und Plastikrevolution. Orgeln waren da schon mal mit Aludraht und Plastik verarbeitet, weil man dachte, das Material halte sich länger. Heute orientiert man sich längst wieder am klassischen Handwerk, wobei Häußermann sagt: „Trotzdem bauen wir keine Orgel von 1860, sondern eine für das Jahr 2013.“

Die neue große Orgel schmiegt sich links und rechts von der Rosette in den Raum und lässt den Blick aufs Fenster frei. Darunter hat gerade der Orgelbauer Lorenz Haupt, 34, von der Firma Karl Schuke, seine Buntmetallsäge zur Hand genommen, um eine der riesigen Pfeifen zu bearbeiten. Das Ungetüm aus Zink und Blei wird sich mit seinen rund 200 Kilogramm bald meterhoch in Richtung Kirchendecke türmen müssen. Und weil die Fußspitze der Pfeife sehr schmal und zierlich ist, wird sie im Inneren der Öffnung mit Kupfer verstärkt, schließlich darf sie unter ihrem mächtigen Gewicht nicht zusammensacken. Um eine Orgelpfeife zu intonieren, brauchen die Profis im Durchschnitt fünf Stunden. Die Orgel hat 2500 Pfeifen und rund 40 Register. Im Gegensatz zur barocken Orgel sind hier einige elektronische Spielhilfen eingebaut, mit deren Hilfe man die Registerzüge bewegt.

Lorenz Haupt ist auch ein Künstler, ein Kunsthandwerker, wie alle Orgelbauer. Sie müssen nicht nur mit Holz, Kunststoffen und Metall umgehen können, sie sind auch Tischler, Pfeifenbauer, Windladenmacher und vor allem Klangspezialisten. Und so stellt sich Lorenz Haupt, dessen Mutter Organistin war und dessen Vater das Waldhorn im Filmorchester Babelsberg blies, immer wieder in die Kirche und lässt die angelegten Ohren arbeiten. „Häußermann sagt: „Er muss zum Beispiel wissen, welcher Klang welche Bassentwicklung nimmt, damit er die Pfeifen gut intonieren kann.“ Damit sich Töne überhaupt gut entwickeln können, brauchen sie gute Laufzeiten, und für gute Laufzeiten muss ein Raum eine optimale Klangwelt bieten. Das alles schafft die Pauluskirche.

Cornelius Häußermann kam in den 80er Jahren aus Baden-Württemberg zum Studium nach Berlin. Er studierte Musikwissenschaften, Kunstgeschichte und schließlich Kirchenmusik. Er war Mitglied der Neuköllner Oper, Kirchenmusiker in Nikolassee, und seit 1995 ist er Kreiskantor des Kirchenkreises Teltow-Zehlendorf. Häußermann ist ein ruhiger Mann, seine Grundhaltung ist optimistisch, aber er kann aus den letzten Jahren viele Geschichten erzählen, die, wie er sagt, „kafkaesk“ seien. Er will sie nicht ausführen, er fürchtet Ärger, den will er so kurz vor dem Ziel nicht riskieren.

Noch fehlen rund 130000 Euro, den Rest hat er zusammenbekommen. Er sagt: „Diese Projekt ist Freude und Last zugleich. Aber ich wäre niemals mit so viel Mut gestartet, hätte ich gewusst, wie es sich anfühlt, zwischen den Bürokratien zu stehen.“ Lotto, der Denkmalschutz, der Bezirk, der Senat, der Kirchenkreis und viele andere sind an diesem Projekt beteiligt. Aber wer Häußermann durch seine kleine rund Brille in die Augen schaut, der weiß: Es ist sein Baby. Und er wird es ganz bestimmt großziehen. Er sagt: „Dass ich das überhaupt erleben darf, ist ein großes Glück und ein ganz besonderes Ereignis.“

Im Oktober werden die neuen Orgeln in einer Konzertreihe vorgestellt. Wer spenden will oder Pate einer Pfeife werden will, wendet sich an den Orgelbauverein der Pauluskirche. Wer wissen will, wie eine Orgel funktioniert, empfehlen wir vor allem für Kinder das Erklärvideo der Maus.

Der Text gehört zum Zehlendorf-Blog, dem neuen Online-Magazin des Tagesspiegels.

Armin Lehmann

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