Politik des Hasses: Zehlendorf im Nationalsozialismus: Das „erste antisemitische Denkmal Deutschlands“
Der Antisemitismus als "heroischer Akt" - das sollte das Fritsch-Denkmal unweit des Mexikoplatzes in Zehlendorf darstellen. Unser Autor, Historiker, hat für den Zehlendorf Blog die Geschichte dieser brutalen und rassistischen Symbolik aufgeschrieben.
Die Erinnerung an das Novemberprogrom von 1938 wurde am vergangenen Wochenende auch in Zehlendorf gepflegt, viele Bürger, darunter der Bürgermeister, polierten die Stolpersteine, die im Gedenken an Verfolgte und Ermordete in die Straßen eingelassen sind (der Zehlendorf Blog hat darüber ausführlich berichtet). Aber die Verfolgung der jüdischen Mitbürger und die Diskriminierung ihrer Kultur hat auch in Zehlendorf schon lange vorher begonnen. Eines dieser "Symbole" nationalsozialistischen Helden- und Rassenwahns wurde am 7. September 1935 unweit des Mexikoplatzes eingeweiht.
Es war ein Denkmal für Theodor Fritsch, dem wohl einflussreichsten antisemitischen Publizisten in Deutschland vor 1933. Es sei das „erste antisemitische Denkmal Deutschlands“, sagte der ehemalige NS-Journalist Julius Lippert, der als „Staatskommissar“ die Berliner Stadtverwaltung kontrollieren sollte.
Das von Arthur Wellmann, einem Zehlendorfer Bildhauer, gestaltete Fritsch-Denkmal bestand aus einer figurativen Bronze-Plastik, die sich gestalterisch an den Siegfried-Mythos aus der Nibelungensage anlehnen sollte. Die auf einem Sockel aufgebrachte Skulptur stellte einen nackten, muskulösen Mann dar, der auf einer am Boden liegenden drachenähnlichen Gestalt in bezwingender Pose ritt. Anders als in der Nibelungensage streckte dieser Held den Lindwurm jedoch nicht mit einem Dolch nieder. Er holte vielmehr mit einem Hammer zum Schlag auf den fratzenhaften Kopf des Ungeheuers aus, mit dem „der Jude“ gemeint war.
Brutale Bildsprache
Mit dieser brutalen Bildsprache sollte offenbar auf den von Theodor Fritsch gegründeten „Hammer“-Verlag Bezug genommen werden. Bereits 1882 erschien die wohl weitverbreitetste Publikation von Fritsch, der „Antisemiten-Katechismus“, der seit 1907 „Handbuch zur Judenfrage“ hieß. Das antisemitische Machwerk erzielte hohe Auflagen und fand Eingang in viele deutsche Haushalte. Für Fritsch waren Juden waren für ihn das Böse schlechthin. Er setzte Juden mit Ungeziefer gleich und forderte auf, sie zu zertreten.
Darauf hob auch das Zehlendorfer Fritsch-Denkmal ab: Antisemitismus sollte zum traditionsreichen Bestandteil deutscher Hochkultur stilisiert werden, ohne Abstriche an dessen sadistischen Vernichtungsphantasien zu machen. Verstärkt wurde diese Aussage noch durch entsprechende martialische Zitate von Fritsch, die in goldlackierter Frakturschrift von einem Zehlendorfer Steinmetz in den Denkmalsockel eingemeißelt wurden.
Ein Nationalsozialist der ersten Stunde
Die Idee zur Errichtung des Denkmals entstand in der Folge der Umbenennung der damaligen Lindenallee (heute: Lindenthaler Allee) in Theodor-Fritsch-Allee. Auch Städte wie Ludwigshafen, Nürnberg, Darmstadt, Leipzig, Tübingen und Koblenz begannen nach dem Tod von Fritsch 1933, Straßen nach ihn umzubenennen. Fritsch gleich ein ganzes Denkmal zu widmen, ging auf den nationalsozialistischen Zehlendorfer Bürgermeister Walter Helfenstein zurück.
Bereits als 16-Jähriger betätigte sich der Sohn eines Kreuzberger Klempnermeisters in nationalistischen Sammlungsverbänden. 1925 trat er in die NSDAP ein und baute Ortsgruppen der Partei in Kreuzberg und Schlachtensee auf. Nach 1933 Helfenstein in der Zehlendorfer Kommunalpolitik auf. Er leitete die Vertreibung von politisch missliebigen und jüdischen Mitarbeitern auf lokaler, bezirklicher Ebene. 1935 wurde Walter Helfenstein zum Bezirksbürgermeister ernannt. Kurz vor dem Eintreffen der Roten Armee ließ er sich und seine Ehefrau in einem Bunker des Rathauses Zehlendorf erschießen.
Ein Nutznießer des Nationalsozialismus
Mit Konzeption und Ausführung des Fritsch-Denkmals beauftragte Helfenstein den Zehlendorfer Bildhauer Arthur Wellmann. Dessen Lebensweg ähnelt den Biografien vieler unbekannter Künstler, die von ihrem künstlerischen Schaffen kaum leben konnten. So lebte der Sohn eines Magdeburger Kaufmanns nach dem Kunststudium in Berlin von Gelegenheitsarbeiten. Neben einem Lehrauftrag zählten dazu auch grafische Auftragsarbeiten, darunter für die von dem Berliner Kunsthändler Alfred Flechtheim herausgegebene Zeitschrift „Der Querschnitt“ oder für ein Buch der Berliner Schriftstellerin Alice Berend.
Nach 1933 mussten beide emigrieren, weil sie Juden waren. Die Verfolgung seiner früheren Auftraggeber und künstlerischen Kollegen war für Wellmann aber kein Grund, sich nach 1933 nicht an die neuen Verhältnisse anzupassen. Er stilisierte sich zu einem völkischen Bildhauer, der wie der Komponist Richard Wagner die altgermanischen Sagen nach deutschen Gründungsmythen befragen würde.
Privat blieb Wellmann jedoch offenbar widersprüchlich eingestellt. So soll er angeblich den in seiner Nachbarschaft lebenden sozialdemokratischen Widerstandskämpfer Julius Leber vor einer Verhaftung durch die Gestapo gewarnt haben. Nach 1945 illustrierte Wellmann unter anderem ein Ritter- und Sagenbuch, später folgte er seiner Tochter in die USA, wo er als Hilfskraft in einer Lampenfabrik arbeitete.
Den größten Erfolg als Künstler hatte Wellmann in der NS-Zeit. Das Fritsch-Denkmal war für den damals 49-Jährigen der erste Auftrag für eine Großskulptur. Es folgten weitere Projekte, die ihn zum Gestalter der beiden wichtigsten kommunalen politischen NS-Denkmäler in Berlin machten. So erstellte Wellmann auch das Berliner „SA-Denkmal“, das 1936 durch den Berliner Gauleiter Joseph Goebbels auf dem früheren Bülowplatz in Mitte eingeweiht wurde.
Bestandteil des SA-Denkmals war, in Anlehnung an das Hoheitszeichen von NSDAP und Reich, ein großer Adler aus Bronze, für den Wellmann ein Tier aus dem Berliner Zoo zum Modell nahm. Im Vergleich der beiden Denkmäler drängt sich der Eindruck auf, dass mit dem Fritsch-Denkmal offenbar die antisemitische Tat als heroischer Akt hervorgehoben werden sollte, während mit dem SA-Denkmal Nationalsozialisten als Opfer von nationalem Rang in den Vordergrund gerückt werden sollten.
Zu Folgeaufträgen von Arthur Wellmann zählte die „plastische Ausschmückung“ von Gebäuden im kommunalen Wohnungsbau. 1938 erstellte er figurative Kleinplastiken mit völkischen Motiven, die vor Wohn- und Geschäftshäusern in Treptow und Neukölln aufgestellt wurden, wo sie noch heute vorhanden sind.
Im Bezirk wird mobilisiert
Die Einweihung des Fritsch-Denkmals sollte zu einem kommunalen Ereignis von überregionaler Bedeutung werden. Die Einladungsliste der Bezirksverwaltung umfasste damals in Zehlendorf wohnende NS-Funktionäre wie Goebbels, Alfred Rosenberg, Baldur von Schirach und Gertrud Scholtz-Klink. Außerdem hochrangige Vertreter von Reichs- und Staatsbehörden, der Berliner Stadt- und Bezirksverwaltungen sowie von Finanz-, Post- und Arbeitsämtern.
Angeschrieben wurden auch Vertreter aller Zehlendorfer Schulen und der Heimat-, Sport-, Gesangs- und Kriegervereine. Auf Wunsch der Familie von Fritsch kamen noch 17 Prominente hinzu, darunter die in Dahlem wohnende Leni Riefenstahl, verschiedene Generäle der Wehrmacht und der ehemalige Jagdflieger Ernst Udet. Wer alles der Einladung Folge leistete, ist nicht überliefert. Ein Foto von der Einweihung zeigt viele NS-Uniformträger und viele grinsende Gesichter.
Für seine Initiatoren war das Fritsch-Denkmal nur der Auftakt für eine weitere antisemitisch bestimmte Umstrukturierung des öffentlichen Raums, die sich in über zehn zusätzlichen Straßenumbenennungen ausdrückte. Nahezu alle Vertreter des deutschsprachigen Antisemitismus sollten hier eine Repräsentanz finden. Es waren Namen von Schriftstellern, Theologen, Wissenschaftlern und Politikern.
Den Anfang machte die Niklasstraße, in der Helfenstein wohnte, und die er in Chamberlainstraße umbenennen ließ. Helfenstein wollte damit eine Nähe zum „Bayreuther Antisemitismus“ herstellen. In einem Schreiben an die Chamberlain-Witwe Eva, Tochter von Richard und Cosima Wagner, hob er hervor, so seine Verehrung „für den großen völk[ischen] Lehrmeister“ ausdrücken zu wollen.
1943 verschwand das Denkmal
Eva Chamberlain dankte mit einem Exemplar von Howard Stewart Chamberlains „Rasse und Persönlichkeit“, mit Widmung und einem Goethe-Zitat. Zu anderen Straßenumbenennungen zählten die Dessauer Straße, die nach dem „hessischen Bauernkönig“ Otto Böckel in Böckelweg umbenannt wurde, die Adalbertstraße, die nach dem Orientalisten Paul Lagarde den Namen Lagardestraße erhielt, die Viktoriazeile, die nach Adolf Stoecker, dem ehemaligen Hofprediger und Leiter der Berliner Stadtmission, in Stoeckerzeile umbenannt wurde sowie die Heinrichstraße, die nun nach dem Nationalökonom Eugen Dühring Dühringstraße hieß.
1943 verschwand das Fritsch-Denkmal. Es war Teil einer Anzahl von ausgewählten Denkmälern, die aus dem öffentlichen Raum entfernt wurden, um sie als „Metallspende“ für die Rüstungsproduktion einzuschmelzen. Zu diesem Zeitpunkt waren die antijüdische Ressentiments, wie sie das Fritsch-Denkmal und die mit den Straßennamen Geehrten vertraten, zur Realität des millionenfachen Massenmords an den europäischen Juden geworden.
Der Autor Thomas Irmer ist Diplom-Politologe und lebt in Friedenau. Zuletzt Kurator für die Dauerausstellung "Alltag Zwangsarbeit 1938-1945", Veröffentlichungen zur NS-Zeit und zur Geschichte der Elektroindustrie. Veröffentlichung zum Fritsch-Denkmal: Das "erste antisemitische Denkmal Deutschlands" – zur Errichtung eines Denkmals für Theodor Fritsch im kommunalen öffentlichen Raum in Berlin 1935-1943, in: Gideon Botsch, Christoph Kopke, Lars Rensmann, Julius H. Schoeps (Hg.): Politik des Hasses. Antisemitismus und radikale Rechte in Europa, Hildesheim/Zürich/New York: Georg Olms Verlag 2010, S. 153-170. Der Text erscheint auf dem Zehlendorf Blog, dem Online-Magazin des Tagesspiegels.
Thomas Irmer