Alltag einer Sehbehinderten in Steglitz-Zehlendorf: Dafür gibt's auch 'ne App?
Sie hat ein Smartphone, zwei eigene Internet-Webseiten und ist oft auf Facebook. Dabei ist unsere Autorin sehbehindert. Wie das geht, hat sie hier für den Tagesspiegel Zehlendorf aufgeschrieben.
Obwohl ich seit vielen Jahren sehbehindert und inzwischen fast vollständig blind bin, habe ich zwei eigene Internet-Webseiten, nutze gern und oft Facebook und habe ein Smartphone. Oft fragen mich entweder Nachbarn, Bekannte oder die Leser meiner Artikel hier auf dem Tagesspiegel Zehlendorf: "Wie geht das überhaupt?" Ganz einfach.
Unter bestimmten Bedingungen - wie zum Beispiel der gesetzlichen Blindheit - bekomme ich von der Krankenkasse ein so genanntes Vorlesesystem. Das bedeutet, dass ich für meinen Computer eine Software erhalte, mit der ich die Sprachausgabe nutzen kann. Alles was auf dem Bildschirm zu sehen ist, bekomme ich dann dank der speziellen Sprachsoftware vorgelesen. Zusätzlich ist in dem Paket eine weitere Software dabei, mit der ich meine Post einscannen kann. Auch diese wird mir dann vorgelesen. Alles funktioniert jeweils ohne Maus, nur mit reinen Tastenkombinationen. Diese Kombinationen kennen Sie gewiss auch, beispielsweise "copy" und "paste".
Was mir zum Beispiel in PDF-Textdokumenten, E-Mail-Anhängen oder auf Internet-Webseiten wichtig ist? Struktur, Struktur und nochmals Struktur. Denn unstrukturierte Texte kann meine Software leider nicht gut erkennen. Wenn der Text jedoch Überschriften und Absätze, also einzelne Textkörper und Gliederungen hat, ist es prima. Angehängte Fotos, Grafiken oder Diagramme sollten beschriftet sein oder im beistehenden Text erwähnt werden. Mit der Hand geschriebene Texte kann die Software nicht verarbeiten. Und jetzt zum Smartphone. Auch hier können wir Blinde sehr gut mitreden. Seit es das iPhone gibt, habe ich einen ganz wunderbaren, individuellen Alltagshelfer. Besonders die Apple-Geräte sind mit so genannten Bedienungshilfen ausgestattet. Das sind Einstellungsmöglichkeiten zum Beispiel für Sehbehinderte, Blinde, Gehörlose, motorisch Erkrankte und vielen mehr. Ich bin dieser Erfindung sehr dankbar und erfreue mich jeden Tag meines Smartphones. Durch die speziellen, individuell auf mich zugeschnittenen Einstellungen wird die glatte Scheibe für mich, sagen wir mal: "eingefroren". Und durch diverse Berührungen mit meinen Fingern kann ich auf der Scheibe agieren und alles nutzen. Die Sprachausgabe liest mir dabei jeden Schritt vor.
"Dafür gibt's auch 'ne App!" Das ist seit langem mein Spruch. Zwar ist nicht jede auf dem Markt erscheinende Applikation für mich bedienbar, aber es werden immer mehr und es gibt auch immer mehr Entwickler, die um unseren "Kundenkreis" wissen und die Applikationen für uns bedienbar machen. Farberkennung, Lichtdetektor, Strichcode-Erkennung für Lebensmittel und Haushaltsutensilien oder die Umkreissuche, mit der ich erfahren kann, was für Geschäfte in meiner Umgebung in Lichterfelde sind.
Weitere Beispiele sind die Abfahrtszeiten für einen Bus, Flug oder der Bahn mit QR-Codes an den Haltestellen. Und ich kann mit meinem Smartphone auch einen Ticketkauf organisieren, Hundefreunde zum Spaziergang finden oder einfach mal ein Spiel spielen. Das und vieles mehr steht mir, gemütlich liegend auf der Couch, im handlichen Format zur Verfügung.
Fährt der Taxifahrer auch die "gute" Strecke?
Durch die Navigations-App merke ich, ob der Taxifahrer wirklich die "gute" Strecke fährt oder wenn ich zu Fuß unterwegs bin, kann ich mich navigieren lassen. Auch eine Gelderkennung ist möglich. Und was noch? Zu Hause kann ich zum Beispiel ein Bild alleine und vor allem gerade aufhängen. Dank der passenden App habe ich eine akustische Wasserwaage auf Knopfdruck zur Hand. Wenn ich im Urlaub bin, kann ich ein Foto schießen, den Text für eine Urlaubskarte an meine Mutter selbst schreiben und abschicken. Das gibt mir ein Stück Selbstständigkeit und Würde zurück. So bin ich nicht auf das Hotelpersonal angewiesen, das mir die Karte schreiben muss.
Wenn ich mir etwas wünschen dürfte? An so manchen Denkmälern, Museen, öffentlichen Gebäuden, Parks und Plätzen hier in meinem Kiez in Lichterfelde und in ganz Berlin könnten auch solche schöne QR-Codes wie zum Beispiel an den Bushaltestellen angebracht werden. So komme auch ich an die Information heran, die für sehende Menschen dort in "normaler" Schwarzschrift stehen.
Außerdem wäre es gut, einmal daran zu denken, dass auch ältere Menschen, also Senioren, oftmals sehbehindert sind. Auch sie haben inzwischen die Smartphone-Technik für sich entdeckt. Auch für sie, genau wie für mich, steht damit eine vielfältigere Welt zur Verfügung, und ihr Leben gestaltet sich um einiges eigen- und selbstständiger. Es wäre also schön, wenn sich alle Gedanken machen und durch kleine Veränderungen wie die angesprochenen Strukturen in einer Internetpräsenz und einem übermittelten PDF-Schreiben dafür sorgen, dass so viele Menschen wie möglich - auch Sehbehinderte - an Informationen kommen.
Sie sehen, der Satz: "Blind gleich blöd", den ich leider oft höre, trifft wirklich nicht zu.
Die Autorin ist sehbehindert, lebt in Lichterfelde und engagiert sich im Beirat für Menschen mit Behinderung. Der Text erscheint auf dem Tagesspiegel-Zehlendorf, dem digitalen Stadtteil- und Debattenportal aus dem Berliner Südwesten.
Kathrin Backhaus