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Noch geht alles seinen Gang, trotz vieler Demonstranten auf der Galerie des BVV-Saals.
© Björn Kietzmann

Chaos-Sitzung in Friedrichshain-Kreuzberg: "Bitte verlassen Sie den BVV-Saal"

Die Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg ist besser als jedes Kabarett. Manchmal gleicht das Geschehen auch einer Farce - so wie am Mittwoch, als die Sitzung nach Protesten von Flüchtlingsunterstützern abgebrochen wurde. Ein Protokoll.

Der Abend ist gerettet. Bezirksverordnetenversammlung. Das klingt trocken, ist aber beste Vorabend-Unterhaltung. Alles live und in Farbe. Nur das Niveau ist manchmal unterirdisch. Schließlich ist hier Friedrichshain-Kreuzberg, Berlins weltbekannter Chaosbezirk.

17 Uhr 15 im Foyer, Rathaus Yorckstraße. Die Schulhelfer für Kinder mit Behinderungen protestieren gegen Budget-Deckelungen, viele Kinder sind dabei, trommeln mit Deckeln auf Töpfe. Oben versperrt ein Wachmann den Durchgang zum BVV-Saal. „Wird voll heute“, sagt ein Mitarbeiter der Verwaltung. Die Flüchtlings-Unterstützer sind auf dem Weg. Noch mehr Protest.

Es regnet Infozettel - ein Junge futtert Popcorn

Die Tagesordnung lässt nichts aus. Von Unisextoiletten über Benimmregeln für Touristen bis zum CDU-Antrag: „Regenwassereinlauf tierschutzgerecht gestalten“. Doch erstmal geht es um die Flüchtlingsfrage. Eine breite Stoffbahn wird über die Balustrade der Besuchergalerie herabgelassen. „Refugees welcome.“ Das zweite Transparent ist von den Schulhelfern. Es regnet Infozettel auf die Verordneten. Ein Junge futtert Popcorn, eine Frau strickt, andere suchen Unterschriftenlisten.

Eine Verordnete trägt ihr Baby im Tragetuch herum. Der Grünen-Fraktionschef hat seinen Arm in Gips, Fahrradunfall, eine Geschichte für den BVV-Smalltalk. Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann ist guter Dinge. Das drohende Durcheinander verbucht sie unter Routine. Mit zehn Minuten Verspätung eröffnet BVV-Vorsteherin Kristine Jaath die Sitzung. Und steckt sich gleich danach die Finger in die Ohren. Von der Galerie erschallt ein schmerzhaft lautes Topfgeklapper, anschließend Sprechchöre: „Unsere Wut kocht über.“ Fotografen und Kamerateams gehen in Stellung.

„T’schuldigung, so geht das nicht...“

Als es wieder ruhig ist, fragt ein junger Verordneter so unschuldig und hellwach, als stehe er tatsächlich auf einer Bühne: „Wer seid ihr denn?“ Einer von oben sagt etwas von Deckeln, dann greift Jaath ein: „T’schuldigung, so geht das nicht...“, der Rest geht im Geklapper unter.

Monika Herrmann geht ans Rednerpult und solidarisiert sich in wenigen Sätzen mit den Demonstranten gegen den gemeinsamen Feind Senat. Ein Sprecher der Schulhelfer bedankt sich höflich von der Galerie herab. Die Verordneten der CDU, formell in Anzug und Krawatte, grübeln teilnahmslos über Zeitungen und Tablets. Nach 20 Minuten beginnt die Sitzung erneut. Dringlichkeitsanträge werden in die Tagesordnung eingefügt, die „Konsensliste“ angenommen. Dahinter verbergen sich mehrere Dutzend Anträge, über die man sich schon vorher geeinigt hat. So bleibt die BVV handlungsfähig, obwohl die Sitzung kaum vorankommt.

"Die spielen doch nur mit den Handys, hören gar nicht zu“

Wolfgang Lenk, altgedienter grüner Verordneter mit weißen Haaren, hat eine Resolution zum Polizeieinsatz an der besetzten Gerhart-Hauptmann-Schule eingebracht. Die BVV soll beschließen, dass der Einsatz überzogen und inakzeptabel gewesen sei. Piraten und SPD stimmen dem eigentlich zu, wollen aber verschiedene Absätze streichen lassen, schließlich hätten die Grünen den Einsatz mitverursacht. Das dauert. Die Stadträte sitzen stoisch leidend auf ihrer Bank.
Unvermutet springt auf der Galerie ein Demonstrant auf, zeigt mit dem Finger nach unten und schimpft: „Wie im Bundestag. Die spielen doch nur mit den Handys, hören gar nicht zu.“ Antwort von unten: „Halt doch die Fresse.“
Wieder oben: „Weg mit den Handys.“ Johlender Beifall.
Unten machen sie einfach weiter. Es geht wieder um Formulierungen. „Polizeieinsatz“ oder „begleitender Polizeieinsatz“. Dann wird abgestimmt. Erst werden die Änderungsanträge zur Resolution abgelehnt, dann die Resolution selbst. Die SPD klatscht. Das Baby im Tragetuch weint.

„Das sind Menschen, keine Akten“

Anschließend geht es um Roma-Familien, die am Görlitzer Park campieren. Die bürokratietrockenen Einlassungen des Ordnungsstadtrats Peter Beckers drohen den Protest auf der Galerie einzuschläfern. Dagegen gibt es Protest. „Das sind Menschen, keine Akten.“
Die BVV-Vorsteherin bittet um Ruhe. Beckers spricht von „Konfliktintervention im Sozialraum“ und „Kostenübernahme nach Asog“. Die Sitzung schleppt sich weiter. Vorgefertigte Fragen an die Verwaltung werden beantwortet, das Spannungslevel sinkt in den Minusbereich. Schließlich tritt Stadtrat Hans Panhoff von den Grünen ans Pult, die aktuelle Hassfigur der Flüchtlingsszene.
Panhoff spricht vom „Umzug“ der Flüchtlinge aus der Gerhart-Hauptmann-Schule, daran entzündet sich ein neuer Schlagabtausch zwischen Oben und Unten. Ein Mann in dunklem T-Shirt unterbricht Panhoff, spricht von „Frechheit“ und „Lüge“. Vorsteherin Jaath fordert ihn auf, den Saal zu verlassen. Applaus von der CDU.
Der Mann geht nicht, zwei Wachschützer zerren an ihm. „Schämt euch“, rufen die Umstehenden. Ein BVV-Vertreter geht dazwischen. Der Ältestenrat zieht sich zur Beratung zurück. Auf der Galerie singen Frauen zur Mandoline: „Wo soll’n all die Menschen hin... Berlin steht nach Profit der Sinn.“ Nach einer halben Stunde kehren die Verordneten zurück. Der Mann bleibt sitzen. Kristine Jaath fordert ihn erneut auf zu gehen. „Das ist nicht der Fall, dann ist die Sitzung hiermit beendet.“

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