Drogen im Görlitzer Park: Berlin, das neue Amsterdam?
Wer kauft all die Drogen? Zugereiste und Feierfreudige bevölkern nicht nur den Görlitzer Park, sie sind auch die besten Kunden der Dealer, um die seit Monaten gestritten wird.
Noch bevor bevor die Stadtreinigung den Müll von den Straßen sammeln konnte, hat der Mann seine Tagesaufgabe erledigt. Ein Wochentag, 9 Uhr, die Sonne scheint. Andy, der nicht wirklich so heißt, hat zuvor an seinem Heimat-Bahnhof am Stadtrand 100 Euro abgehoben, ist mit der S-Bahn bis zur Warschauer Straße gefahren, dann mit der U-Bahn bis zum Schlesischen Tor und ist durch die Oppelner Straße zum Görlitzer Park gelaufen.
Im Park wird Andy sofort gefragt: „Wanna weed, dude, wanna coca?“ Gras oder Kokain – das ist die Frage. Gestellt hat sie ihm an diesem Morgen ein Schwarzer mit Basecap, danach wortgleich einer mit Wollmütze. Zuletzt kommt ein Mann mit Sonnenbrille, den Andy als „den Türken“ bezeichnet. Die Schwarzen im Park sind Flüchtlinge, die in Deutschland nicht arbeiten dürfen. Der mit der Sonnenbrille ruft etwas, schließlich kauft Andy bei ihm.
Baldrian statt Koks
Andy trägt einen Kapuzi, Jeans, Turnschuhe, ist freundlich, aber still. Statt „ja“ zu sagen, nickt er nur, statt eines „Tschüss“ verzieht er Lippen und Augenbrauen. Andy wirkt, als nähme er Baldrian, nicht Kokain.
Beim Kaufen hat er sich kein Mal umgeschaut. Polizei scheint er nicht zu fürchten. Dabei regen sich in der Stadt viele Leute über das Dealen auf. Seit vor vier Wochen ein Mädchen auf einem „Görli“-Spielplatz Kokain entdeckte, fordern viele mehr Polizei. Spürhunde fanden in der Hasenheide, auch ein Park mit Drogenproblem, 140 Tüten Cannabis.
Jeden Tag stehen Dealer nicht nur in Parks, sondern auch vor Clubs an der Revaler Straße und in U-Bahnhöfen. Es wird viel über „arabische Clans“ gesprochen, die den Handel angeblich kontrollierten, über „Nigerianer”, die in der Hasenheide „Gras verticken“, oder über „Türken in Kokain-Taxis“. Über diejenigen, die den Handel am Laufen halten, spricht kaum einer. Interessiert niemanden, wer all das Marihuana raucht, all das Kokain schnupft?
Auch Andy wundert die Ignoranz. „Vielleicht, weil es so viele Leute nehmen“, sagt er. Andy hat zwei Kügelchen gekauft, 50 Euro für eine winzige 0,6-Gramm-Packung. Die Qualität – das weiß er – ist mäßig, 80 Prozent dürften Streckmittel sein. „Egal, das reicht erst mal“, sagt er. „Besser heute in Ruhe kaufen, als Freitag die üblichen Läden abklappern.“ Er meint die Bars, in denen es Kokain auf Anfrage gibt.
Interessiert niemanden, wer all das raucht und schnupft?
Als Andy durch die Oppelner Straße zurückläuft, kommen ihm zwei hagere Jungs entgegen, dann ein gut gelauntes Pärchen skandinavischer Herkunft, schließlich zwei verschwitzte Männer mit Beck’s-Flaschen in den Händen. Mag sein, dass es sich bei den hageren Jungs nicht um Kiffer handelt, mag sein, dass das Pärchen nicht auf der Suche nach Stoff ist, der zu Hause in der Heimat strenger verfolgt wird. Aber bei den beiden Verschwitzten ist sich Andy sicher: „Witzig, die haben letzte Woche mit mir zusammen gekauft.“
Über ihre Absichten an diesem Morgen wollen die Beck’s-Trinker nicht reden und torkeln zum Park. „Wanna weed, dude, wanna coca?“ Nach zwei Minuten kommen die beiden zurück, halten ein Taxi an. Ins Bett werden sie nicht gehen.
Einen draufmachen, bis Sonntag
Über die Zahl der Konsumenten in der Stadt wird nur spekuliert. Angeblich kiffen Hunderttausende ab und zu, angeblich koksen Zehntausende gelegentlich. Experten gehen davon aus, dass es zuletzt eher mehr als weniger geworden sind.
Das Internet ist voll mit Tipps für den Drogenkauf
Andy hat vor zwei Jahren seine erste Line genommen. Ein Open-Air, spendable Freunde, viel Zeit. Andy wohnt in einer Ein-Zimmer-Wohnung am Stadtrand, im Zentrum sei es ihm zu teuer. Er sei Landschaftsgärtner, sagt er, derzeit ohne Job. Deshalb will er am Freitag einen draufmachen, was gern bis Sonntag dauern kann.
Steigende Aggressivität, Charaktermetamorphose, man höre viel Schlechtes über Kokain? „Ist Quatsch“, sagt Andy. „Zumindest bei mir.“ Zwei Mal im Monat nehme er was, immer ohne Ärger.
Australier in der Hasenheide
Drei Stunden später, zwei Kilometer weiter, am Hermannplatz. Die zwei Australier, die aus der Hasenheide kommen, wissen nichts von der Debatte um Dealer und Drogen. Sie wissen auch nichts von der Razzia und den Spürhunden in der Hasenheide. An Kokain seien sie nicht interessiert, Joints reichten erst mal.
Matthew und Matthew sind breit gebaut, haben beide markante Kiefer, schöne Lippen und volles Haar. Vor Kraft strotzende Männer vom anderen Ende der Welt auf Europatour. Es ist ihr erster Tag in Berlin. „Vielleicht machen wir Prag, aber erst mal bleiben wir ein paar Wochen hier“, sagt der eine Matthew.
Das Internet ist voll mit Tipps für den Drogenkauf
Schon bevor sie ankamen, kannten sie einschlägige Läden in Schöneberg, die „Technostrich“ genannte Revaler Straße, Kottbusser Tor und Hasenheide sowieso. Matthew und Matthew haben sich vor der Reise im Netz informiert. Und bald wird deutlich, dass Landschaftsgärtner Andy inzwischen wohl die Ausnahme ist, dass viele Konsumenten im Strom der Millionen Touristen mitschwimmen.
Beim Googeln finden sich in englischsprachigen Foren schnell allerlei Hinweise für drogenreiche Nächte. „In dem Moment, in dem du im Görlitzer Park ankommst, fragt dich sofort jemand, ob du Hasch, Kokain oder Ecstasy willst“, schreibt ein Jimmy aus den USA begeistert. Ein anderer erklärt, die Ecstasy-Qualität in Kreuzberg lasse nach, er empfiehlt die Torstraße. So geht das über Seiten.
Mitte-Hipster lassen sich einen Lieferanten kommen
Dabei gibt es noch viel mehr Käufer, als auf den Straßen zu sehen sind. Akademiker, Gastronomen und Mitte-Hipster lassen sich lieber einen Lieferanten kommen. Mehrfach sind Kokain-Taxis aufgeflogen, mit denen gut organisierte Crews das Nachtleben versorgen. Kenner schätzen, dass sich es sich bei den Konsumenten, die in aller Öffentlichkeit kaufen, um drei Gruppen handelt: Easyjet-Touristen ohne Kontakte in der Stadt. Junge, denen Telefonnummern von Lieferanten fehlen. Und die Verpeilten, die umherstreunen.
Schwierig wird es, wenn Massen an bestimmten Ecken einkaufen wie in einem Supermarkt. Nicht nur durch die Oppelner Straße dürften bald Scharen zum Görlitzer Park strömen. Auch auf der Wiener Straße laufen junge Kunden wie im Gänsemarsch zum Park. Viele von ihnen sind Touristen, Spanier, Briten, Schweden. Sie alle wissen nach ein paar Klicks auf ihren Smartphones, wo es sich lohnt nach „rough looking dudes“ zu schauen, Typen, die etwas dabeihaben.
Berlin – Hauptstadt der Rauschtouristen? Dieses Image dürften die Behörden fürchten. Die Konzentration von Händlern und Käufern im Görlitzer Park sei massiv, sagte ein Polizeisprecher. Inzwischen sei europaweit bekannt, wo man Drogen in Berlin kaufen kann. In diesen Tagen wollen Polizei und Ordnungsamt gemeinsam Streifen laufen. Und, das dürfte Andy stören, die Spürhunde sollen nicht nur Drogenbunker in den Büschen finden. Sie sollen auch Käufer abschrecken.
Aus dem Polizeipräsidium heißt es: „Wir erhoffen uns nicht nur eine Verdrängung. Am besten wäre, solche Einsätze sprächen sich bis nach Spanien herum.“
Party in Friedrichshain
Inzwischen ist es Nachmittag geworden, Andy ist zurück in seiner Wohnung am Stadtrand. Die Australier sind zum Ostkreuz gefahren. Dort ist ihr Hostel. Auf dem Rasen am Ostkreuz sitzt Maria aus Spanien und raucht. Dafür, dass in Spanien dauernd die Sonne scheint, ist Maria ziemlich blass. Abschlussarbeit, Bücher, Computer – damit habe sie die vergangenen Wochen verbracht, erzählt sie. Nun aber, da die Arbeit abgegeben sei, stünde Party, Party, Party auf dem Programm. Sie warte auf Freunde, dann wolle man in die Revaler Straße.
Maria fragt, ob Menschen unter 25 in dieser Stadt ohne Drogen feiern gehen. In Barcelona sei das kaum noch der Fall. In Berlin, habe sie von Freunden gehört, die hier wohnen, ohnehin nicht.