zum Hauptinhalt
Erdbeben am frühen Mittwoch Morgen in Amatrice in den Abbruzzen
© Massimo Romano über Twitter https://t.co/3FnaVPkQ82

Nach dem Erdbeben in Italien: Amatrice - ein Steglitzer erinnert sich

Unser Autor war lange Jahre als Diplomat in Italien. Das Erdbeben in Amatrice am Mittwochmorgen weckt in ihm viele Erinnerungen - und führt ihm erneut vor Augen, wie relativ Gedenken ist.

Früher nahmen die Hirten den Speck mit in die Berge über Amatrice. Käse hatten sie reichlich auf den Hochalmen der Abbruzzen. Und so entstanden die „Bucatini all'Amatriciana“, Pasta nach Art der Amatricerin. Wie wenn sich die Hirten nach ihren Geliebten im Tale sehnten und zugleich nach ihren Müttem. In Amatrice sind die Amatriciana freilich keine Spaghetti, sondem Bucatini, dünne Hohlnudeln. Wie sollen sie nun Ende August ihre Sagra degli Spaghetti feiem, das alljährliche Spaghettifest, da in Amatrice?

Heute war ich schon um sechs in der Frühe wach. Der Rundfunk meldete, um halb fünf habe sich ein schweres Erdbeben in Amatrice ereignet. Über sechs auf der Richterskala. Das halbe Städtchen liege in Ruinen. Wie haben sie in den Abbruzzen seit Jahrhunderten immer wieder ihre Dörfer aufgebaut, die immer wieder von Erdschlägen in Schutt und Asche gelegt wurden. Von Rom aus sieht man an klaren Wintertagen die schneeweißen Berge hinter Rieti, da wo Amatrice in lieblichem Tale liegt, auf 1.000 Meter Höhe.

Guy Féaux de la Croix hat als Diplomat unter anderem in Italien gelebt und kam in dieser Zeit auf Ausflügen auch mehrfach nach Amatrice
Guy Féaux de la Croix hat als Diplomat unter anderem in Italien gelebt und kam in dieser Zeit auf Ausflügen auch mehrfach nach Amatrice
© privat

Über Rocca ragt eine mächtige Burg in den Abbruzzenhimmel. Die meisten der Burgtürme sind freilich von den Erdbeben des Mittelalters gefällt worden. Auf dem Campo Imperatore, einer breiten Hochebene 1700 Meter über dem Meer hatten die Römer die aufsässigen Bergstämme Mittelitaliens erst in der Kaiserzeit unterworfen. Dann 1943 hielten die Kämpfer der Resistenza hier den Duce gefangen, bis ihn eine deutsche Kommandoeinheit befreite. Wir gelangten über die Pässe auf die andere Seite, von dort durch den Tunnel zurück in das Tal südlich von Rieti. Nicht auszudenken, ein Erdbeben im 10 Kilometer langen Tunnel zu erleben, wenn sich das Gestein aus der Decke löst.

Die Autobahn führt vorbei an Tivoli, wo sich der Kaiser Hadrian einst seine Villa baute. Eine krasse Untertreibung, Villa. Es waren Palastanlagen und Parks so ausgedehnt wie in Versailles. Oder Potsdam. Im Februar 2012 waren wir auf einer Bergwanderung in den Sabinerbergen in die Dämmerung geraten. Die nur zwei Kilometer zurück zum Auto, im Dunkel durch den Felshang, das erschien mir zu gefährlich. So wanderten wir die andere Bergseite 16 Kilometer nach Palombara Sabini hinunter. Aus diesen Bergen haben die Römer den Sabinern die Frauen geraubt.

Für dreißig Euro fuhr uns ein junger Mann ums Gebirge herum zurück zu unserem Auto. Vom Bergabenteuer verdreckt und erschöpft fanden wir noch am späten Abend in einem Dorf ein Ristorante. Wirt und Wirtin servierten uns ein vorzügliches Menü, hier oben in den Sabinerbergen. Mit welcher Eleganz welche Gaumenfreuden in diesem sonst so verlassenen Bergnest. Erst weit nach Mitternacht waren wir zurück in Rom.

Assisi, Aquila und jetzt: Amatrice

Alles Orte mit A, Assisi, Aquila und jetzt Amatrice. Westlich mündet der Tunnel ins Tal von Aquila. Noch sieben Jahre nach dem Beben eine von Ruinen und Schutthaufen gezeichnete Stadt. Nur greise Menschen sind, soweit es ging, in die Häuser zurückgekehrt. Die Jungen wollen ohnehin nicht mehr in der Enge der Gassen leben. Für sie sind neue Vorstädte entstanden, kaum anders als die nackten Volksvororte rings um Rom herum.

Die Bundesregierung hat Geld gestiftet, um den Vorort Onna wieder aufzubauen, 3,5 Millionen Euro. Die Wehrmacht hatte hier 1944 Dutzende von Zivilisten füsiliert. Unschuldige. Deutsche Wiedergutmachung.

Bei Amatrice hatten deutsche Ingenieure in den 30er Jahren einen Staudamm gebaut. Die Wehrmacht hat ihn dann in die Luft gesprengt. Vergeltung.

Der Internationale Gerichtshof hat die Vollstreckung von Entschädigungstiteln gegen deutsches Eigentum in Italien für völkerrechtswidrig erklärt. Der Druck ist raus.

Deutsche Wiedergutmachungsgesten in Form von deutschen Wiederaufbauhilfen für Amatrice sind also eher unwahrscheinlich.

Um Fremde zu trauern, ist nicht einfach

Unsere Anteilnahme am Sterben in der Welt ist eine Frage der Entfernung. Ein Erdbebentoter in der Eifel würde uns tief treffen. Das Kentern einer Fähre zwischen Java und Sumatra mit Hunderten von Ertrunkenen registrieren wir am Rande. Bombenanschläge im thailändischen Phuket wiederum mehr, weil viele Deutsche dort ihren Urlaub verbracht haben.

Als mein Freund Abu Souad vor seiner germanistischen Bibliothek in Bagdad erschossen wurde, hat es mich mehr getroffen, als heutzutage Selbstmordanschläge dort mit Dutzenden Toten. Ich gebe es zu. Das alles ist sehr ungerecht. Wenn aber der Tod so naturgewaltig zuschlägt, wie Mittwochmorgen in Amatrice, hier so nahe in unserem Europa, in uns vertrauten Landschaften und Kulturen, dann sollten wir der Toten und Verwundeten gedenken, wie stellvertretend für all die Millionen Mitmenschen, die von Naturgewalten, Krieg und Terror hinweg gerafft werden oder großes Leid erfahren.

Um Menschen trauern, von denen wir nichts oder wenig wissen, das ist nicht einfach. Wir können ihrer gedenken, wenn wir uns an das erinnern, was wir von ihnen wissen. Wie an Bucatini all‘Amatriciana.

Der Autor lebte 2011-2012 als deutscher Gesandter beim Heiligen Stuhl in Rom. Seit anderthalb Jahren ist er zurück in Lichterfelde, wo er auch aufgewachsen ist. Er ist Vorsitzender des Vereins "Wir-in-Europa, Gesellschaft für Kulturaustausch, internationale Begegnungen und europäische Demokratie e.V."

Der Artikel erscheint auf Tagesspiegel Steglitz-Zehlendorf, dem digitalen Stadtteil- und Debattenportal aus dem Südwesten. Folgen Sie der Redaktion Steglitz-Zehlendorf gerne auch auf Twitter und Facebook.

Guy Féaux de la Croix

Zur Startseite