zum Hauptinhalt
Finanzsenator Matthias Kollatz (l.) (SPD).
© Bernd von Jutrczenka / dpa

160 Millionen Euro Einsparung gefordert: Bezirke und Koalition lehnen Sparplan des Finanzsenators ab

Berlins Steuereinnahmen sind wegen der Coronakrise drastisch gesunken. Finanzsenator Kollatz will deshalb in den Bezirken sparen.

Von

Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) hätte in der Coronakrise gern mehr gespart und weniger Schulden aufgenommen. Doch die rot-rot-grüne Koalition macht nicht mit. Jetzt liefert sich Kollatz einen Streit um 160 Millionen Euro, die nach seinem Willen die Bezirke in diesem Jahr und 2021 solidarisch besteuern sollen. Angesichts des bislang absehbaren Defizits von „im günstigsten Fall“ sechs Milliarden Euro und der geplanten, coronabedingten neuen Kredite, die Berlin in Höhe von fünf Milliarden Euro aufnehmen will, eine eher kleine Summe.

Kollatz ursprünglicher Plan, um auf den Einbruch der Steuereinnahmen zu reagieren, sah dem Vernehmen nach nur neue Schulden in Höhe von zwei Milliarden Euro vor. Damit wollte er die spätere Schuldenlast und nötigen Zahlungen, um Kredite zu bedienen, kleiner halten. Weitere vier Milliarden Euro sollten Einsparungen im Haushalt und Eingriffe in den Investitionsfonds Siwana bringen.

Doch mit der Koalition ist das nicht zu machen, gerade nötige Investitionen in Schulen und Infrastruktur sollen nicht abgewürgt werden. Und in dieser Woche musste Kollatz eine weitere Schlappe hinnehmen: Der Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses hat den vom Finanzsenator vorgelegten Nachtragshaushalt am Mittwoch nicht beschlossen – und kann die Steuerschätzung in der kommenden Woche abwarten. 

Kollatz suchte angesichts der hohen Kosten der Corona-Krise aber weiter nach Einsparmöglichkeiten: Er will Einsparungen von den zwölf Bezirken. Kollatz hat die Bezirksbürgermeister in einem internen Schreiben, das dem Tagesspiegel vorliegt, aufgefordert, insgesamt 160 Millionen Euro im laufenden und im kommenden Jahr zu sparen.

Die „Berliner Morgenpost“ hatte zuerst berichtet. „Die aktuelle Situation macht solidarisches Handeln erforderlich. Das gilt gerade auch mit Blick auf den finanziellen Spielraum im Land Berlin“, sagte der Finanzsenator. „Wir stehen vor einer historischen Neuverschuldung.“

Dramatischer Rückgang der Steuereinnahmen

Berlins Steuereinnahmen sind infolge der wirtschaftlichen Beschränkungen wegen der Corona-Krise dramatisch zurückgegangen. Das Minus bei der Gewerbesteuer betrug im April im Vergleich zum Vorjahresmonat mehr als 90 Prozent: Statt zuletzt 73 Millionen Euro flossen 5 Millionen Euro in die Landeskasse.

Das Aufkommen der Umsatzsteuer sank um 37 Prozent, wie Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) am Donnerstag mitteilte. Die Rückgänge bei Übernachtungssteuer, Vergnügungssteuer und Spielbankabgabe bezifferte er auf 82 bis 100 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat. Und die Einbrüche dürften sich noch verschärfen, kündigte Kollatz vorsorglich an.

[Alle aktuellen Entwicklungen in Folge der Coronavirus-Pandemie finden Sie hier in unserem Newsblog. Über die Entwicklungen speziell in Berlin halten wir Sie an dieser Stelle auf dem Laufenden.]

Es sei klar, „dass der massive Rückgang der Steuereinnahmen den Handlungsspielraum der öffentlichen Hand stark beeinträchtigen wird“. Geldquellen hat Kollatz nun auch bei den Bezirken ausgemacht. Alles, was in einem Bezirk über einem positiven Jahresabschluss von vier Millionen Euro liegt, soll nach Vorstellung des Finanzsenators an das Land gehen.

Doch auch bei diesem Vorstoß deutet sich Widerstand in der Koalition im Abgeordnetenhaus an. Torsten Schneider, Finanzexperte und Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus, sagte dem Tagesspiegel, er werde nicht für Einsparungen votieren. „In Anbetracht des großen Umfangs der Kreditaufnahme empfehle ich nicht, kleine Beiträge einzusparen und Konflikte auszulösen.“

Bezirke liefern Gegenvorschlag

Die drei Bezirke Pankow, Lichtenberg und Marzahn-Hellersdorf, sehen die Sparvorschläge besonders kritisch. Deren Bürgermeister Sören Benn, Michael Grunst und Dagmar Pohle (alle Linke), haben einen gemeinsamen Gegenvorschlag verfasst, der vorsieht, dass die isolierten Jahresergebnisse 2020 für jeden Bezirk auf null gesetzt werden sollen.

Damit ist für jeden Bezirk klar, dass er in diesem Jahr weder coronabedingte Gewinne noch Verluste erwirtschaften kann“, heißt es in einem internen Schreiben, das dem Tagesspiegel vorliegt. Alles, was darüber hinausgehe, komme einer „Enteignung“ der Bezirke gleich.

„Herr Kollatz legt keine Strategie und keine Zahlen auf den Tisch“, sagte Michael Grunst aus Lichtenberg. „Der Finanzsenator kommt zu einer Unzeit mit dem Thema. Wir haben hier gerade andere Probleme, etwa wie wir verantwortungsvoll manches wieder hochfahren, was wegen der Corona-Pandemie heruntergefahren wurde.“ Er verstehe zwar, dass gespart werden müsse. „Es gibt Posten, die wir dieses Jahr nicht ausgeben können. Die Gelder, die liegen bleiben, sollten einkassiert werden, aber nicht die, die wir schon verplant haben und brauchen.“

Der Lichtenberger Wirtschaftsstadtrat, Kevin Hönicke (SPD) pflichtet seinem Bürgermeister bei. „Dass jetzt ausgerechnet die Bezirke, die in den letzten Jahren gut gewirtschaftet haben, Einsparungen auf sich nehmen müssen, wäre der falsche Weg. Die Überschüsse, die wir haben, sind verplant. Wir dürfen jetzt definitiv nicht anfangen, etwa im Bereich Kita und Schule zu sparen.“ Es dürften nicht die bestraft werden, die in den vergangenen Jahren gut gearbeitet haben.

Sören Benn (Linke), Bezirksbürgermeister in Pankow, sagte, bei Verlusten von sechs Milliarden Euro seien die von Kollatz geforderten 160 Millionen „kein echter Beitrag“, aber „für die Bezirke ein Schlag ins Kontor“. Die Folgen der Sparjahre seien in den Bezirken immer noch zu sehen. „Fast jede Beschwerde über Missstände in den Bezirken geht darauf zurück“, sagte Benn.

„Wer jetzt den Bezirken an die Haushalte geht, muss sich fragen lassen, ob er wirklich verstanden hat, was gemacht werden muss, und dass das Tal, aus dem sie sich in den letzten Jahren herausgearbeitet haben, noch kaum verlassen ist.“ Straßen und Gehwege seien immer noch kaputt. Der Klimawandel setze den Grünflächen zu, auch die Verkehrswende stehe an. „ Der Personalaufbau ist noch nicht abgeschlossen, die Digitalisierung noch am Anfang, die Liste ist endlos“, sagte Benn.

Unterstützung für Kollatz aus der Opposition

Die Finanzstadträtin in Friedrichshain- Kreuzberg, Clara Herrmann (Grüne), warnt vor einer Rückkehr zu den „Sparen bis es quietscht“-Jahren. „Wir haben in unseren Haushalten wirklich zum überwiegenden Teil Ausgaben, die auf Rechtsansprüchen beruhen, wie beim Kita-Platz – da können wir gar nichts steuern“, sagte Herrmann.

Sie warnte zugleich, bei allem gehe es ganz schnell darum, ob man Kultur- oder Jugendeinrichtungen dicht mache. „Oder wir sind wieder da wo wir schon mal waren: Das heißt, wir sparen uns kaputt und streichen Stellen, die wir brauchen. Das hat uns in den Abgrund geführt, aus dem wir gerade ein Stück herausgekommen waren“, sagte Herrmann.

[In unseren Leute-Newslettern berichten wir wöchentlich aus den zwölf Berliner Bezirken. Die Newsletter können Sie hier kostenlos bestellen: leute.tagesspiegel.de]

Unterstützung bekam Finanzsenator Kollatz aus der Opposition. „Bei mehr als fünf Milliarden Euro fehlenden Steuereinnahmen und damit neuen Schulden muss jede Ausgabe auf den Prüfstand. Dies gilt für die Senatsverwaltungen wie für die Bezirke, aber auch alle Landesbeteiligungen“, sagte Sibylle Meister, haushaltspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion im Abgeordnetenhaus. „Priorität müssen Ausgaben in die mangelhafte Infrastruktur und die fehlende Digitalisierung haben. Ideologisch geprägte Ausgaben werden hinten anstehen müssen.“

Auch der Berliner Bund der Steuerzahler forderte Einsparungen. „Die coronabedingten Steuermindereinnahmen spiegeln einen realen Wohlstandseinbruch bei den Steuerzahlern wider. Dieser muss sich auch durch eine neue Sparsamkeit in den öffentlichen Haushalten widerspiegeln“, sagte Verbandschef Alexander Kraus.

Sämtliche Ressorts auf Landes- und Bezirksebene müssten ihre Ausgabenpositionen durchforsten. Vom Senat erwarte der Bund der Steuerzahler ein klares Bekenntnis, dass die Zeit der Wahlgeschenke vorbei sei.

Zur Startseite