Nach Corona-Ausbruch mit 22 Infizierten in Wohnanlage: Bezirk weist Schuldzuweisung an Senioren zurück
Eine Seniorenwohnanlage musste geräumt werden. Der Pflegedienst sagt, die Senioren haben sich nicht an die Empfehlungen gehalten. Der Bezirksbürgermeister ist irritiert.
Lichtenbergs Bürgermeister Michael Grunst (Linke) weist die Kritik entschieden zurück, der Corona-Ausbruch in einer Seniorenwohnanlage im Ortsteil Fennpfuhl sei auf das Verhalten der Bewohnern zurück zu führen. Die Einrichtung war in der Nacht von Montag auf Dienstag geräumt worden, mehr als 70 Senioren kamen in Kliniken. Zuvor wurden bereits 22 Bewohner positiv auf das Coronavirus getestet, eine Person starb.
Eine Anfrage des Tagesspiegel zu den Coronavirus-Testergebnissen der nach der Räumung in Kliniken gebrachten Menschen beantwortete die Gesundheitsstadträtin von Lichtenberg, Katrin Framke (parteilos, für die Linke) bisher nicht.
Andreas Chickowsky, Leiter des Pflegedienstes, der die Anlage betreibt, hatte den Ausbruch darauf zurückgeführt, dass sich nicht alle Bewohner an die Empfehlung gehalten haben, in der Anlage zu bleiben. Bei einigen habe die Einsicht gefehlt, so Chickowsky.
Grunst findet „diese Form der Schuldzuweisung“ nicht angebracht. „Mich haben Äußerungen irritiert, dass die Bewohnerinnen und Bewohner selbst Schuld seien“, sagte er dem Tagesspiegel. Der Ausbruch in dem Haus habe ihn erschüttert.
Es müsse gefragt werden, ob die Pflegeeinrichtungen mit ausreichend Schutzausrüstungen für Bewohner und Pflegekräfte ausgestattet seien und ob diese auch genutzt würden. Laut Chickowsky habe es nicht an Schutzmaterial gemangelt.
Für die Aufsicht des Betreibers der Anlage ist, laut Bezirksamt Lichtenberg, die AOK Nord-Ost zuständig. Diese antwortete zunächst nicht auf eine Anfrage des Tagesspiegels. Das Gesundheitsamt Lichtenberg werde Ermittlungen durchführen, teilte das Bezirksamt mit.
Nach Informationen des Tagesspiegel sind am Mittwoch in mindestens einer weiteren Anlage, die der Pflegedienst betreut, alle Bewohner auf das Coronavirus getestet worden. Dies geschah als Reaktion auf die jüngsten Vorfälle. Insgesamt kümmert sich der Pflegedienst um sieben Anlagen, sechs davon in Lichtenberg. Die siebte liegt in Pankow.
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Eine Überwachung der ambulanten Pflegedienste obliege dem Gesundheitsamt zwar nicht, jedoch forderte es alle Mitarbeiter der Wohnanlage und des Pflegedienstes auf, sich auf eine Infektion mit dem Coronavirus testen zu lassen. Dazu sollen die Personen ins Krankenhaus Königin Elisabeth Herzberge kommen.
Zudem will das Gesundheitsamt Lichtenberg eine Prüfung bei der Senatsverwaltung anregen, ob die Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts ausreichend seien, oder weitere Regeln erlassen werden müssen.
Maskenpflicht für Seniorenheime?
Wie zum Beispiel eine Maskenpflicht für Pflegeinrichtungen. Diese wurde am Dienstag bereits von Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) gefordert. In Hamburg gibt es sie bereits. Ebenso in einem Altenheim in Mönchengladbach.
Dort waren vor rund zwei Wochen mehr als 10 Personen an dem Virus gestorben. Unterdessen sei der Betrieb wieder normal und alle weiteren Infizierten genesen, so Claudia Frenken von der Einrichtungsleitung im St. Antonius Altenheim in Gladbach zum Tagesspiegel.
In den wenigsten Bundesländern gibt es verbindliche Regelungen. Berlins Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) will eine Maskenpflicht für das Personal in Krankenhäusern und in der Altenpflege per Verordnung festschreiben. „Für die Bewohner der Pflegeheime empfehlen wir die Alltagsmasken“, sagt sie.
Krankenhaus- und Pflegeverbände reagierten bereits positiv darauf. „Natürlich begrüßen wir das, wenn die Pflegenden entsprechende Schutzausrüstung tragen, auch wenn der Schutz vor allem für die Patientinnen und Patienten gedacht ist“, sagte Natalie Sharifzadeh, Geschäftsführerin des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe (DBfK) Nordost.
Neuköllner Stadtrat gegen Maskenpflicht
In Neukölln hingegen beispielsweise sieht man eine Maskenpflicht für die Bewohner von Pflegeheimen „höchst fraglich“, so Bezirksstadtrat Falko Liecke (CDU). Neben der Verfügbarkeit der Masken sei die Akzeptanz und Einsichtsfähigkeit von Pflegeheimbewohnern ein Problem – besonders, wenn diese dement seien.
Stattdessen dürfe das Virus erst gar nicht in die Heime kommen, das Personal mit Schutzausrüstungen ausgestattet werden und Besuche von Angehörigen ausgesetzt werden.
Spahn will Corona-Test für Pflegeheime
Fatoş Topaç, sozial- und pflegepolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus forderte am Dienstag, dass alle Bewohner der Berliner Pflegeheime und von Seniorenwohnanlagen auf das Coronavirus getestet werden.
Am Mittwoch stellte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) einen Entwurf für ein Gesetz vor, dass symtomfreie Testen in Pflegeheimen möglich machen soll. "Wir sehen, dass dieses Virus dort in der vollen Härte zuschlägt“, so Spahn. (mit dpa)