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Achtung Montage! Die Schöneberger Hauptstraße wurde kurzerhand umbenannt. Da gedenkt es sich leichter. Eine Petition zur Umbenennung läuft. Bis die durch ist, können Bezirk und Post ja mal ein Auge zudrücken.
© Thilo Rückeis

Trauer in Berlin-Schöneberg: Besuch in der David-Bowie-Straße 155

Zwischen Alltag und Andacht: Am Haus des verstorbenen Popstars in Schöneberg kommen die Menschen nicht zur Ruhe. Ein Besuch bei Bewohnern und trauernden Fans.

Der Bowie-Gedenkteppich aus Rosen, Kerzen, Plattencovern, Liedtexten und Liebeserklärungen ist inzwischen auf einen Meter Breite angewachsen. Passanten bleiben kurz stehen, machen Fotos, erinnern sich an ihre Jugend mit Disko, Whisky-Cola und „Let’s Dance“. Ein Gebäudereiniger hat seinen Transporter in zweiter Reihe geparkt, stellt sich zu den anderen. Ein Vattenfall-Außendienstler im Firmen-Overall hält inne. „70er Jahre, war so meine Zeit.“ Die Hauptstraße in Schöneberg heißt in Höhe der Hausnummer 155 jetzt David-Bowie-Straße. Das spontan angebrachte Straßenschild sieht aus, als hinge es schon ewig hier. Niemand an diesem Pilgerort zweifelt, dass das Schild hier hingehört. David Bowie ist im Himmel, aber an diesem schlichten Mietshaus zwischen Tattoo-Studio und Physio-Praxis, wo Bowie knapp zwei Jahre ein und aus ging, kann man ihm noch etwas hinterherrufen.

Die Tresenkraft vom Musikcafé Seventies nebenan schwärmt noch von Montag, „da war hier die Hölle los“, weinende Bowie-Fans, zehn Stunden lang Bowie-Songs zum Mitsingen, „Unmengen von Bier sind rausgegangen“. Eine feste Gedenkstätte für den Meister der Verwandlung, vielleicht hier im Seventies? Angelika Arslan ist nicht abgeneigt, das Raucher-Lokal könnte etwas „Auftrieb“ gut gebrauchen. Bowie ist im Musikcafé bereits als kitschiges Wandfresko verewigt, „die Truhe ist original aus seiner Wohnung“, sagt Arslan. Leider steht ein breiter Flachbildfernseher drauf, aber das ließe sich ja wieder zurückbauen. Auch die Spielautomaten sind nicht ganz gedenkstättenkonform.

Alle im Haus haben Verständnis für den Bowie-Gedenktourismus

Glückliche Umstände haben bewirkt, dass sich das Bowie-Haus in 40 Jahren kaum verändert hat. Die Hinterhöfe blieben von allen Begrünungsprogrammen verschont. Unverhüllte Mülltonnenreihen, solide Parkplatzmarkierungen, das fühlt sich an, als laufe die Zeit rückwärts. Ein 16-jähriger Schulabgänger aus Köpenick – sehr schmächtig, Mozartzopf, weiche Züge – tastet mit den Augen die Fassaden ab, spricht über seine innige Alter-Ego-Beziehung zu Bowie, der ihm durch die schwierige Schulzeit geholfen habe. Dann rinnen plötzlich dicke Tränen seine schmalen Wangen hinab. „Er war der Einzige, zu dem ich eine enge Beziehung hatte.“

Alle haben Verständnis hier für den Bowie-Gedenktourismus, der Tätowierer, der Physiotherapeut, die Mieter. Sie lächeln leise, wenn sie das Haus verlassen, schieben das Fahrrad etwas schneller als sonst in den Hof. „War ja vorher schon immer was los“, sagt ein junger bärtiger Mützen-Mann. Touristengruppen wurden über den mythischen Ort aufgeklärt, Fernsehteams recherchierten für Bowie-Geschichten. Aber jetzt nach seinem Tod ist das Haus zum historischen Wallfahrtsort erhoben, an dem offen der Bowie-Kult zelebriert wird. Das wird nicht ohne Folgen bleiben. Die Senats-Granden schlagen die üblichen Standards vor: Gedenktafel oder Stele vorm Haus. „Hier lebte David Bowie von 1976–1978“. Aber das wird einem Avantgarde-Künstler und globalen Superstar kaum gerecht.

Fankultur. Der Gehweg am Haus Hauptstraße 155 dient jetzt zum stillen Gedenken an einen früheren Bewohner. Viele Passanten erinnern sich spontan an ihre Jugendjahre mit Musik von David Bowie. Manchmal wird sogar gesungen.
Fankultur. Der Gehweg am Haus Hauptstraße 155 dient jetzt zum stillen Gedenken an einen früheren Bewohner. Viele Passanten erinnern sich spontan an ihre Jugendjahre mit Musik von David Bowie. Manchmal wird sogar gesungen.
© Thilo Rückeis

Vor zwei Tagen wurde Karaoke mit Bowie-Songs gefeiert. „War schön“, sagt eine junge Studentin der Psychologie, die hier wohnt. Das Treiben vor der Tür störe sie nicht, nur das Fotografiertwerden beim Verlassen des Hauses sei schon etwas komisch. Anfang der Woche musste sie noch mitten durch die Andenkenrabatten staksen, um zur Haustür zu gelangen, jetzt hat ein Unbekannter einen kleinen Weg freigelegt.

Ein älterer Mann fotografiert aus allen Perspektiven. Er habe früher mal hier gewohnt, in den späten 80ern. Er im Hinterhaus, Bowie vorne. Andere erzählen anderes. Es gibt noch keine exakten Forschungsergebnisse zu Bowies Berliner Jahren, auch der „Spirit“ sei längst raus aus dem Haus, sagt ein Bewohner, der angibt, hier seit 18 Jahren zu leben. „Ein normales Schöneberger Haus, vielleicht etwas ranziger als anderswo.“ Die Vorstellung, der Aura des Künstlers hier nahezukommen, in seiner Stammkneipe „Anderes Ufer“, die heute „Neues Ufer“ heißt, oder eben im Wohnhaus, sei schon in mehreren Feuilletons treffend „demaskiert“ worden. Der Auskunftgeber demaskiert sich anschließend selbst. „Ich bin kein Fan.“

Vielleicht sollte der Eigentümer nur noch Bowiejünger hier wohnen lassen. Dann gäbe es auch keine Nutzungskonflikte, sollte bald eine Gedenkstätte eröffnen. Eigentlich führt daran kein Weg mehr vorbei. Ein Ramones-Museum gibt es schon, obwohl die Ramones nie in Berlin lebten. Zur Erinnerung an die Berliner Punkband Ton Steine Scherben gibt es jedes Jahr am Todestag von Rio Reiser eine Dampferfahrt. Bei David Bowie müsste es etwas Schillerndes sein, eine große opulente Optik, das ließe sich auf einer Gedenktafel nicht wirklich unterbringen. Schon eher auf einem großen Segel oder Ballon weit über dem Schöneberger Kiez. Dann könnten die Fans ihrem Major Tom vom Dach der David-Bowie-Straße 155 zurufen: See you in heaven!

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