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Das Start-up „Getyourguide“ aus Berlin bietet weltweit Reiseangebote an.
© Mike Wolff

Seltener, seltener, Software-Entwickler: Berlins Start-ups leiden unter Fachkräftemangel

Es fehlt an Programmierern, Datenanalysten und Produktmanagern: Der Wettbewerb um IT-Fachkräfte in Berlin wird heftiger.

Das Start-up versteckt sich in einem Hinterhof. Von außen deutet kein Schild auf den Firmensitz in Prenzlauer Berg hin. Erst am Aufzug ist ein Hinweis auf den „Welcome Desk“ von „GetYourGuide“ angebracht, eine Reiseplattform, auf der sich Touren buchen lassen. Oben angekommen, tut sich hinter einer Flurtür ein lichtdurchflutetes Großraumbüro auf.

In einem Glaskasten, der als Konferenzraum dient, sitzt Eva Glanzer in dunkelblauem Kleid. Sie leitet den Personalbereich bei GetYourGuide und ist auch Mitglied der Geschäftsführung. Ihr fällt die schwierige Aufgabe zu, technische Mitarbeiter für die schnell wachsende Firma zu finden.

Es fehlt etwa an Programmierern, Datenanalysten und Produktmanagern. „Unsere Recruiter suchen auf der ganzen Welt“, sagt Glanzer. „Es ist unser größtes Problem, Personal zu finden.“ Noch dieses Jahr will die Berliner Firma zusätzlich zu den aktuell 600 Stellen rund 300 neue schaffen.

Am Geld wird das Vorhaben jedenfalls nicht scheitern. Erst vor Kurzem haben Investoren rund 500 Millionen Dollar in das Unternehmen gepumpt und GetYourGuide damit in die Liga der Einhörner geschossen – der Start-ups, die mit mindestens einer Milliarde Dollar bewertet werden. Fehlen jedoch IT-Fachleute, kann die Plattform nicht rasch ausgebaut werden.

„Der Wettbewerb um technische Mitarbeiter ist brutal“

Erheblich kleiner als das Einhorn im Prenzlauer Berg ist ein Start-up in Charlottenburg, aber es hat die gleichen Probleme. „DeineStudienfinanzierung“ beschäftigt zwölf Mitarbeiter. Die Firma will es Studenten gegen Gebühr erleichtern, BaföG und Studienkredite zu beantragen.

Seit einem Dreivierteljahr ist das Start-up auf dem Markt, gerade ist es in neue Büroräume gezogen. Die Spülmaschine ist noch nicht angeschlossen, ein Teil der Küchenarbeitsplatte fehlt, aber der Kühlschrank ist schon – ganz klischeehaft – mit Club-Mate gefüllt. Mitgründer David Meyer nimmt sich eine Flasche und führt an einen Tisch in den Konferenzraum.

Personalchefin Eva Glanzer hat Probleme, Fachpersonal für GetYourGuide zu rekrutieren.
Personalchefin Eva Glanzer hat Probleme, Fachpersonal für GetYourGuide zu rekrutieren.
© promo

„Der Wettbewerb um technische Mitarbeiter ist brutal“, sagt er. „Wir stehen in Konkurrenz mit großen Berliner Startups, die bessere Gehälter zahlen können und extragroße Büros haben.“ Mindestens zwei Software-Entwickler würden sie „sofort morgen“ einstellen, wenn sie sie finden würden.

90 Prozent der IT-Mitarbeiter kommen aus dem Ausland

„Am Geld liegt es nicht“, sagt Meyer und lacht. Mittlerweile sei es in Berlin leichter, Kapital zu finden als gute Mitarbeiter. Was bei seinem Start-up noch hinzukomme: Sie bräuchten deutschsprachige Entwickler, die verstehen, was BaföG ist. „Die zu finden, ist unfassbar schwierig.“

Auch bei GetYourGuide arbeiten nur wenige deutsche Mitarbeiter, laut Angaben des Unternehmens kommen 90 Prozent der IT-Mitarbeiter im Berliner Büro aus dem Ausland. Doch auch das Milliarden-Start-up würde Entwickler von hierzulande bevorzugen. „Das ist günstiger und einfacher“, sagt die Personalchefin Glanzer.

In ganz Deutschland mangelt es an IT-Fachleuten. Das zeigt die Statistik der Bundesagentur für Arbeit. Noch nie zuvor wurden so viele IT-Arbeitskräfte gesucht wie im vergangenen Jahr. Die Statistik der Behörde ist dabei sogar nur mit Vorsicht zu genießen: Für die Hauptstadt berichtet die Agentur von vergleichsweise entspannter Lage. Ein Mitarbeiter der Arbeitsagentur betont allerdings, dass die Start-ups ihnen viele offene Stellen womöglich nicht melden – und die Arbeitsagentur den Mangel in Berlin daher nicht korrekt beurteilen kann.

Innovative Wege sind gefragt

Eine kleine Umfrage unter vier Start-ups ergibt, dass tatsächlich nur eines seine offenen Stellen der Arbeitsagentur mitteilt. Der Grund: Die Start-ups erwarten nicht, dass sich gute Leute arbeitslos melden. „Die sind schnell wieder weg vom Markt“, sagt der Gründer David Meyer. Start-ups wählen stattdessen innovativere Wege, um ihre Mitarbeiter zu finden – wie etwa mit der Personalplattform „Honeypot“, ebenfalls ein Berliner Start-up.

Der putzige Name Honeypot – auf deutsch Honigtopf – steht sinnbildlich für einen Topf an qualifizierten Entwicklern, der Firmen anlockt. Denn bei Honeypot bewerben sich nicht die Fachkräfte bei den Start-ups, sondern umgekehrt. Tech-Mitarbeiter sind so begehrt, dass die Firmen auf sie zugehen müssen.

Über die Plattform hat Sami Boussaid einen Job in Berlin gefunden. Gerade arbeitet der Software-Entwickler noch bei einem großen Unternehmen in München. Zu Beginn des Telefonats legt er ein Headset an und begibt sich auf die Suche nach einem Meetingraum. „Bei Honeypot hatte ich nach zehn Minuten die erste Anfrage“, sagt Boussaid. „Nach dreieinhalb Wochen hatte ich dann schon einen Arbeitsvertrag unterschrieben.“

Im Interview wird man stark gegrillt

Auf der Plattform funktioniert es so, berichtet Boussaid: Man füllt einen Steckbrief aus und telefoniert eine halbe Stunde mit einem Recruiter. Danach wird ein Profil für drei Wochen freigeschaltet und Firmen können sich bewerben.

Boussaid habe selbst erfahren, wie schwer es ist, Tech-Mitarbeiter zu finden. Bei seiner jetzigen Firma stellte er selbst ein. Nach etwa 40 Vorstellungsgesprächen konnte er nur vier Leute engagieren. „Das war sehr, sehr anstrengend“, berichtet er.

Allerdings sei auch der Bewerbungsprozess für IT-Fachleute nicht einfach. „Das Interview bekommt man leicht, aber dann wird man stark gegrillt.“ Zum Beispiel müsse man mitunter an einem Whiteboard stehen, Algorithmen runterschreiben und auf ihre Eigenschaften hin analysieren. Hinzu kämen stundenlange Gespräche.

„Entwickler sind nicht günstig“

Aus Sicht der Start-ups ist das nachvollziehbar. Die Entwickler kosten viel Geld. Boussaids zukünftiger Chef in Berlin, der Mitgründer Marcus Joachim von „Hypcloud“, gibt einen Einblick. Ein Software-Entwickler mit mehr als zwei Jahren Erfahrung beziehe ein Jahresgehalt zwischen 65.000 und 100.000 Euro. „Entwickler sind nicht günstig“, sagt auch Meyer von DeineStudienfinanzierung. „Da müssen wir auf die Qualität ihrer Arbeit achten, bevor wir sie einstellen.“

Meyer lehnt deshalb strikt ab, dass mit einem seiner Tech-Mitarbeiter darüber gesprochen wird, wie die Jobsuche verlief. „Die Entwickler arbeiten konzentriert. Wenn wir sie aus der Arbeit rausreißen und sie dann eine Stunde brauchen, bis sie wieder reinkommen, würde uns das viel Geld kosten.“ Ebenso verweigert GetYourGuide ohne Begründung ein Gespräch mit einer IT-Kraft. Höchstens schriftlich könnten die Fragen gestellt werden. Und Meyer schiebt nach einer kurzen Pause nach: „Die Entwickler sollen nicht mit der Nase darauf gestoßen werden, wie wertvoll sie sind.“

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