Wahlbeteiligung: Berlins Parteien droht Legitimationsproblem
Bei der Wahlbeteiligung liegt Berlin im Vergleich der Bundesländer im vorderen Drittel. Das muss aber nichts heißen. Der Trend geht nach unten und Berlins Parteien droht ein Legitimationsproblem.
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Noch liegt Berlin, im Vergleich der Bundesländer, im vorderen Drittel. Bei der Abgeordnetenhauswahl 2011 lag die Wahlbeteiligung in der Hauptstadt bei 60,2 Prozent. Deutlich mehr als in Bremen, wo nur noch jeder zweite Wahlberechtigte seine Stimme abgab. Auch mehr als in Hamburg und in allen ostdeutschen Ländern. Aber das muss nichts heißen. Der Trend zeigt bundesweit nach unten, und die Berliner Parteien werden bei der Abgeordnetenhauswahl im September 2016 um jeden Wähler kämpfen müssen. Auch in Berlin gibt es längst Wahllokale, in denen nur noch jeder vierte Wahlberechtigte sein Kreuzchen macht.
Den Negativrekord hielt 2011 ein Stimmbezirk in Lichtenberg, zwischen Allee der Kosmonauten und Landsberger Allee. Dort lag die Wahlbeteiligung bei 19,3 Prozent. Gefolgt von zwei Stimmbezirken an der Alten Hellersdorfer Straße und am Belziger Ring in Hellersdorf-Marzahn mit 22,8 Prozent. Kaum besser sah es in Spandau am Blasewitzer Ring aus, auch nicht in Wedding, zwischen Osloer Straße und Soldiner Ring oder in Neukölln, nahe Grenzallee. Die Prognose fällt nicht schwer, dass sich das niederschmetternde Desinteresse an demokratischen Wahlen, solange es nicht um den Bundestag geht, im nächsten Jahr auch in Berlin ausbreiten könnte. Vor allem dort, wo prekäre Lebensumstände herrschen.
Bei den Partei- und Wahlforschern hat sich längst die Erkenntnis durchgesetzt, dass eine niedrige Wahlbeteiligung nicht für Parteienverdrossenheit und Proteststimmung steht, sondern ein Spiegelbild der sozialen Verhältnisse ist. In Berlin, trotz Wachstum und wirtschaftlichem Wandel immer noch die Hauptstadt von Hartz IV, sollte das den Politikern besonders zu denken geben. Sollte die soziale Polarisierung in Berlin weiter zunehmen, könnten sich ganze Stadtregionen von der politischen Teilhabe abkoppeln. Und ein inhaltsloser, langweiliger Wahlkampf, der nach den Sommerferien 2016 bis zum wahrscheinlichen Wahltag 18. September gar nicht erst zur Entfaltung kommt, dürfte die Wahlabstinenz eher noch verschärfen.
Hochburgen sind Steglitz-Zehlendorf und Charlottenburg-Wilmersdorf
Die soziale Herkunft, gemessen an Arbeitslosigkeit, Bildungsstand und Kaufkraft, bestimmt maßgeblich das Interesse, sich an einer Wahl zu beteiligen. Die Bertelsmann-Stiftung hat 2013 gemeinsam mit den Meinungsforschern von Infratest dimap und dem Max- Planck-Institut für Gesellschaftsforschung die Bundestagswahl analysiert.
Demnach gehören Nichtwähler eindeutig zum ökonomisch schwachen Milieu, haben oft keinen Schulabschluss und wohnen in sozialen Brennpunkten. Am Ende dieser Skala in Berlin verorten die Forscher Marzahn-Hellersdorf und Lichtenberg, die Hochburgen der Wähler sind dagegen Steglitz-Zehlendorf und Charlottenburg-Wilmersdorf. Dort konzentrieren sich Menschen mit Kaufkraft und hoher Bildung.
Auf der einen Seite steht also die Unterschicht mit Zukunftsängsten, mangelndem Selbstvertrauen und Vorurteilen, einschließlich der jungen, auf die Spaßkultur fixierten Leistungsverweigerer. Sie haben das Vertrauen in demokratische Entscheidungsprozesse weitgehend verloren, reagieren gleichgültig und resigniert.
Besonders resistent gegen die Teilnahme an Wahlen sind in Berlin junge Menschen unter 30. Schon an der letzten Abgeordnetenhauswahl nahmen aus dieser Altersgruppe deutlich weniger als 50 Prozent teil. Auf der anderen Seite stehen die erfolgsbezogenen Eliten, liberale Intellektuelle und das klassisch konservative Milieu, beruflich etabliert und in der Lebensmitte. Ergänzt durch die – seit den sechziger Jahren politisch engagierte – Nachkriegsgeneration, die teilweise im Rentenalter angekommen ist.
Abwärtstrend könnte sogar noch verstärkt werden
Diese Schichten bestimmen, wo es politisch langgeht, weil sie regelmäßig zur Wahl gehen und sich auch gern an Volksabstimmungen beteiligen. Dagegen sorgen die sozial- und bildungsschwachen Bevölkerungsteile mit ihrer Wahlabstinenz selbst dafür, dass sie politisch unterrepräsentiert sind und wenig Einfluss darauf nehmen, welche Mehrheiten sich bilden. Es gibt noch ein anderes Problem: Wahlbetiligungen von 50 Prozent oder weniger nagen an der Legitimation der gewählten Parlamente und Regierungen. So vertritt der rot-schwarze Senat, der seit 2011 Berlin verwaltet, lediglich 31 Prozent der wahlberechtigten Berliner. Im Zuge der Wahl im Herbst 2016 könnte diese Quote weiter sinken.
Der Abwärtstrend könnte sogar noch verstärkt werden durch die Unfähigkeit von CDU, Grünen und Linken, dem derzeit sehr beliebten Regierenden Bürgermeister und SPD-Spitzenkandidaten Michael Müller eine kraftvolle personelle Alternative entgegenzusetzen. Wenn es so kommt, dürfte es Müller leichter fallen als seinen Herausforderern, das noch vorhandene Restvertrauen der Berliner in den Senat abzuschöpfen. Wobei die Bremen-Wahl zeigte: Auch ein populärer Bürgermeister kann in den Abgrund gerissen werden, wenn die eigene Partei es nicht schafft, die Bürger von ihrer Fähigkeit zu überzeugen, die Probleme der Stadt zu lösen.
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