"Ich kooperiere nicht mit Muslimbrüdern": Berlins Innensenator verstrickt sich in Widersprüche
Wie kann eine Deradikalisierung von Salafisten erfolgreich sein? Die Pläne des Berliner Innensenators Andreas Geisel wirken wenig durchdacht.
Im Konflikt um eine staatliche Zusammenarbeit mit den israelfeindlichen Muslimbrüdern rudert Innensenator Andreas Geisel (SPD) zurück, doch es bleiben Widersprüche. „Ich kooperiere nicht - wie öffentlich behauptet - mit den Muslimbrüdern“, ließ Geisel mitteilen. „Legalisten“ sollten auch nicht Radikale deradikalisieren. Mit „Legalisten“ sind Islamisten gemeint, die sich in Deutschland gewaltfrei geben und äußerlich die Demokratie akzeptieren, aber weiter die Errichtung eines Gottesstaates anstreben. Das sind die Muslimbrüder, älteste islamistische Vereinigung der arabischen Welt, und in Berlin etwa 100, und die türkische Bewegung „Milli Görüs“.
Beide werden vom Berliner Verfassungsschutz beobachtet, treten aber nicht so extrem auf wie die oft zum Terror neigenden, in Berlin mehr als 1000 Salafisten. Doch der Nachrichtendienst betonte im Jahresbericht 2017, „Antisemitismus gehört zum festen Bestandteil der Ideologie sämtlicher islamistischer Gruppen“.
Geisel hatte am Dienstag gesagt, wenn bei der Deradikalisierung von Salafisten „die Abkehr von Gewalt stattgefunden hat, müssen wir jemanden finden, der sie glaubwürdig aufnimmt - dafür eignet sich das legalistische Spektrum“. Der Plan wird von der CDU und jüdischen Institutionen massiv kritisiert, da die Muslimbrüder mit der palästinensischen Terrororganisation Hamas liiert sind, die Israel mit Raketenbeschuss und Anschlägen bekämpft. Der Vorsitzende der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Burkhard Dregger, hielt Geisel vor, er setze sich „dem Verdacht aus, sich in der Auseinandersetzung zwischen Israel und der Hamas auf die Seite der Hamas zu stellen“.
Das American Jewish Committee kritisiert Geisels Pläne
Die Direktorin des Berliner Büros des American Jewish Committee, Deidre Berger, nannte den Plan des Senators „nicht verständlich“ und mahnte, der deutsche Staat könne nicht mit einer Organisation zusammenarbeiten, „die mit Israels Feinden verbunden ist“. Der Antisemitismus-Beauftragte der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Sigmount Königsberg, sagte am Donnerstag, „ich bin irritiert“. Mit Muslimbrüdern könne es keine Kooperation geben.
Ob Geisels Rückzieher glaubwürdig ist, bleibt offen. Der Senator hatte schon im Februar beim Europäischen Polizeikongress in Berlin verkündet, eine „Auffangstation“ für heimkehrende Kämpfer der Terrormiliz IS könnten „die Legalisten sein, die wir in der Stadt haben“. Der Sprecher des Senators, Martin Pallgen, äußerte im März bei Twitter, „legalistisch agierende Moscheevereine, in denen auch nicht-extremistisch orientierte Muslime verkehren, können ein Teil eines Deradikalisierungsprozesses sein und einen Beitrag dazu leisten, Salafisten in ein nicht-gewaltorientiertes Gemeindeleben einzubeziehen“. In einem weiteren Tweet steht, „eine Zusammenarbeit mit Legalisten, so wie gerade dargestellt, würde es zudem ermöglichen, Menschen innerhalb der Gemeinden zu erreichen, die uns bisher verschlossen geblieben sind - mit dem Ziel, sie für Demokratisierungsprozesse zu gewinnen“.
Das wurde dann aber, auch per Twitter, relativiert. Pallgen schrieb, „und ganz zum Schluss eine Klarstellung: Die Legalisten sollen keine Radikalen deradikalisieren. Das machen unsere professionellen und erfahrenen Träger“. So äußert sich nun auch Geisel. „Für den wichtigen Prozess der Deradikalisierung haben wir in der Stadt professionelle Träger wie das Violence Prevention Network“, heißt es in der aktuellen Mitteilung.
Der Verdacht, Geisel wolle mit israelfeindlichen Extremisten kooperieren, bleibt
Die sozialen Träger hätten die berechtigte Frage aufgeworfen, „was wir mit den Menschen nach der Phase der Deradikalisierung machen“. Deswegen „sollten wir mit allen sprechen, die Gewalt ablehnen“. Geisel nennt keine Namen, doch damit wären offenbar doch die sich gewaltfrei gebenden Muslimbrüder und andere legalistische Islamisten an Bord. So bleibt der Verdacht, Geisel wolle mit israelfeindlichen Extremisten kooperieren. Die Äußerungen wirken zudem wenig durchdacht.
Die Deradikalisierung von Islamisten „kann Jahre dauern“, sagte ein Sprecher des Violence Prevention Network dem Tagesspiegel. Der in Berlin ansässige Verein befasst sich aktuell mit 300 Islamisten. Die Angaben lassen es fraglich erscheinen, mit welchem Zeithorizont der Senator legalistische Islamisten einbinden will. Salafisten, die sich über Jahre hinweg einer Deradikalisierung unterziehen, werden vermutlich während dieser Zeit nicht auf den Besuch von Moscheen verzichten. Sollten sie also dazu gebracht werden, statt der salafistischen Gotteshäuser die der Muslimbrüder und anderer Legalisten aufzusuchen?
Das würde bedeuten, dass die Islamisten doch in den Prozess der Deradikalisierung einbezogen wären. Den sie vermutlich mit israelfeindlicher Agitation hemmen würden. Wenn Geisel aber, wie er jetzt behauptet, an die Phase nach einer Deradikalisierung denkt, wären die Legalisten erst in unabsehbarer Zeit ein Ansprechpartner. Und dann würde sich die Frage stellen, ob ein deradikalisierter Muslim in der Moschee von Radikalen gut aufgehoben ist, die Israel hassen und mit der Terrororganisation Hamas verbunden sind.
Geisel gibt sich forsch. Bei Facebook äußerte er jetzt zur Berichterstattung des Tagesspiegels, „das ist einfach Quatsch. Bitte nicht alles glauben, was in der Zeitung steht. Ich kooperiere nicht mit den Muslimbrüdern.“