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Borsiggelände.
© Mike Wolff

Auf Borsig gebaut: Moderne Welten hinterm Tor

Weltweit tätige Unternehmen haben sich auf dem Borsiggelände angesiedelt. Auch die Zentrale von Herlitz ist noch dort. Teil 7 der Tagesspiegel-Serie Berlindustrie 2011.

Reinickendorf boomt. Gab es vor ein paar Jahren noch knapp 20 000 Arbeitslose, wird die Zahl in diesen Monaten unter 12 000 sinken, glaubt Wirtschaftsstadtrat Martin Lambert (CDU). Besonders dynamisch ist die Entwicklung beim Borsiggelände an der Berliner Straße in Tegel. Rund um das Wahrzeichen, dem 1922 als erstes Berliner Hochhaus gebauten Borsigturm, haben sich Traditions- und Innovationsbetriebe angesiedelt.

Auch der Namensgeber ist hier noch anzutreffen. Die nach der Insolvenz des Mutterkonzerns Babcock Borsig 2003 durch ein Management-Buy-Out neu entstandene Borsig GmbH wurde 2008 vom malaysischen KNM-Konzern übernommen. Eine Erfolgsgeschichte, wie Geschäftsführer Konrad Nassauer betont. War die Belegschaft bundesweit nach der Pleite auf 244 Mitarbeiter geschrumpft, zählt das Unternehmen an den drei Standorten Berlin, Gladbeck und Meerane heute 520 Mitarbeiter (davon rund 200 in Tegel) und hat den Umsatz auf zuletzt rund 200 Millionen Euro verdreifacht.

Heute ist Borsig einer von mehreren Mietern im Sirius-Industriepark an der Egellsstraße. Hier sind die Geschäftsleitung, der Industrieservice und der Produktionsbereich Process Heat Exchanger angesiedelt. In historischen Werkshallen werden Kühler und Abhitzesysteme gebaut, die in Chemiefabriken rund um den Globus unter hohem Druck stehende, bis zu 1500 Grad heiße Gase abkühlen. Bis zu 400 Tonnen wiegen die gewaltigen Kessel, deren Produktion ist bis Ende 2012 ausgelastet. Im Zuge der Expansion hat Borsig gerade auch das älteste noch erhaltene Fabrikgebäude, die 1872 entstandene Germania-Halle, als Lager gemietet.

Nebenan residiert die MAN Diesel & Turbo SE, die bereits 1996 den Turbinenbau von Borsig übernommen hat. Hier entstehen Turbinen und Kompressoren, die weltweit in Ölraffinerien, an Pipelines und in Stahlwerken zum Einsatz kommen. Rund zwei Millionen Euro investiert das Unternehmen jährlich in den Standort. Erst kürzlich hat man erfolgreiches Insourcing betrieben. Bisher fremdproduzierte Getriebekompressionen werden jetzt im eigenen Haus gebaut, was 15 zusätzliche Arbeitsplätze bedeutete. Knapp 500 Mitarbeiter und 25 Auszubildende sind bei MAN in Tegel beschäftigt. Der Umsatz liegt bei 200 Millionen Euro. „Die Auslastung ist bis zum Frühjahr 2012 auf gutem Niveau gesichert“, beschreibt Manager Ralf Thon den Auftragsstand. Zwar wiegen die Produkte „nur“ bis zu 100 Tonnen, doch hatte man mit identischen Problemen wie Borsig zu kämpfen: Die Kolosse lassen sich nur per Binnenschiff zu den Seehäfen transportieren. Doch die Tragfähigkeit der Berliner Brücken erlaubte keine Schwertransporte zum Westhafen. Beide Firmen blieben nur, weil der Bezirk Reinickendorf die schnelle Wiedereröffnung des alten Borsighafens vorantrieb.

Ein paar hundert Meter weiter markiert das 1898 errichtete Werkstor den Zugang zum ursprünglichen Borsiggelände. 69 Millionen Euro hat der US-Konzern Motorola hier in sein 2000 eröffnetes High-tech-Zentrum investiert und 400 Arbeitsplätze geschaffen. „Unser Standort in Berlin hat für Motorola größte Bedeutung“, sagt Geschäftsführer Andreas Scheunemann. Als Kompetenzzentrum für den digitalen Funkstandard Tetra betreut man alle entsprechenden Projekte des Unternehmens rund um den Globus. Alle Funknetze, die Motorola für Behörden mit Sicherheitsaufgaben liefert, werden in Tegel integriert und von den Kunden abgenommen. Deutschland gilt mit geschätzten 560 000 Funkgeräten als der weltweit größte Tetra-Endgerätemarkt. Motorola hat bereits die Ausschreibungen von zwölf Bundesbehörden sowie verschiedener Bundesländer wie Berlin, Sachsen-Anhalt und Thüringen gewonnen. Zusätzlich verzeichnet das Unternehmen eine steigende Nachfrage von Gemeinden, Industrieunternehmen und Versorgungsbetrieben wie Rheinenergie und Vattenfall, die auf eine sichere und zuverlässige Kommunikation angewiesen sind. „Aber auch Flughäfen und öffentliche Nahverkehrsunternehmen nutzen Tetra mit steigender Tendenz“, sagt Scheunemann.

Gleich nebenan ist die Umgestaltung des einstigen Hauptstandortes von Herlitz erfolgreich abgeschlossen worden. Der Schreibwarenhersteller hatte 1992 die Industriebrache erworben und den neuen Industrie- und Gewerbestandort initiiert. Im Zuge der Neuausrichtung nach der Insolvenz 2002 hat Herlitz seine deutsche Produktion auf Falkensee und Peitz konzentriert und in Tegel nur die Zentrale mit 260 Mitarbeitern behalten. Der Komplex mit dem 43 Meter hohen Regallager wurde von der Eurohypo- Gruppe übernommen. Die Dock 100 Logistik GmbH hat ihn in einen Produktions- und Logistikstandort verwandelt, der aus drei Modulen besteht, dem Office-, dem Factory- und dem Logistic-Dock. „Die Büro- und Produktionsflächen sind bereits zu 90 Prozent vermietet“, sagt Geschäftsführer Andreas Schulz. Als jüngster Großmieter ist die PCS Power Converter Solutions eingezogen, die mit 220 Mitarbeitern Stromumwandler produziert.

Auch in anderen Teilen Reinickendorfs finden sich Unternehmen von internationaler Bedeutung. Der Fahrstuhlkonzern Otis hat hier sein Entwicklungszentrum für elektrische Systeme. CT Arzneimittel produziert rund 1200 Produkte aus mehr als 200 Wirkstoffen. ZF Lenksysteme baut Pkw-Pumpen sowie Lenkwellen und -säulen für Lkw. Aber auch der Tiefkühlpizzaproduzent Freiberger und der Süßwarenhersteller Storck sind in Reinickendorf zu Hause. „Mit der anziehenden Konjunktur verzeichnen wir eine höhere Nachfrage nach Büro- und Produktionsflächen“, freut sich Stadtrat Lambert.

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