Aufwärtstrend: Berliner Callcenter sind besser als ihr Ruf
Die Callcenter-Branche ist im Aufschwung. Die Zeit der Hungerlöhne scheint vorbei - auch wenn Gewerkschafter noch Potenzial zur Verbesserung sehen.
Die Potsdamer Niederlassung des Callcenters SNT gleicht einer kleinen Siedlung. Menschen schlendern in Gruppen zwischen den Häusern umher und holen sich etwas zu essen. Einige Etagen höher sprechen rund 20 Personen in einem etwa 100 Quadratmeter großen Raum konzentriert in Headsets. Sie tun das im Auftrag des Mobilfunkanbieters Base, dessen Logo auf eine zentrale Säule im Raum gemalt wurde. Die Stimmung ist freundlich und entspannt. Das ist bezeichnend: Der Branche geht es gut. Wie SNT ist sie gut durch die Krise gekommen. Und Callcenter stellen in der Berliner Region gerade im großen Stil ein.
Für SNT arbeiten in Potsdam 2500 Beschäftigte und in Berlin rund 500. „In der Region rekrutieren wir derzeit 200 Mitarbeiter“, sagt Harry Wassermann, Vorstandschef der SNT Deutschland AG. „Ich könnte auch noch mehr einstellen, wenn die Bewerber da wären.“ Da die Wirtschaft anziehe, werde die Suche nach geeignetem Personal in Berlin aber schwieriger. Viele Anbieter haben sich in der Hauptstadtregion niedergelassen, weil die Mieten niedrig sind und mehr potenzielle Mitarbeiter mehrsprachig sind als anderswo. Das ist wichtig, weil Callcenter den Kundendienst für mehrere Länder übernehmen.
Am Charlottenburger Salzufer etwa betreuen Mitarbeiter des Visitenkarten- und Bürodienstleisters Vistaprint Kunden in deutscher, niederländischer und polnischer Sprache. Im Mai ist das Callcenter-Team mit 40 Personen gestartet. Zum 1. Oktober haben 16 neue Mitarbeiter angefangen, im November kommen zehn dazu. „Hier beherrschen alle mindestens ihre Muttersprache und die Firmensprache Englisch“, sagt Geschäftsführer Matthias Heinig. Vistaprint rekrutiert teils über Flyer, die in Kneipen ausliegen, wo sich die Auslandsgemeinden treffen. „Die meisten neuen Mitarbeiter kriegen wir, weil jemand aus unserer Belegschaft sie uns empfohlen hat“, sagt Heinig. Laufen die Tests erfolgreich, will Vistaprint ab 2011 den tschechischen und skandinavischen Markt aus Berlin betreuen.
Bei SNT und Vistaprint ist der von der Gewerkschaft Verdi geforderte Mindestlohn von 7,50 Euro selbstverständlich. Bei Flexitel in der Lützowstraße reicht die Spanne von 8,69 bis zu 11,76 Euro plus Boni. Karin Dietz von der Callcenter-Akademie in Berlin hält es für möglich, dass Betriebe angesichts sinkender Bewerberzahlen die Löhne anheben. Die vom Seminarzentrum Göttingen betriebene Akademie bildet im Kundenauftrag Mitarbeiter weiter. „Beratungskompetenz wird viel stärker von Callcentern verlangt“, sagt Dietz. Insgesamt sei die Branche besser als ihr Ruf: „In Berlin haben wir Callcenter, die in Raumgröße, Ergonomie und Farbenwahl hervorragend ausgestattet sind.“ Christoph Lang von der Wirtschaftsförderung Berlin Partner ist kein Callcenter der Region bekannt, das nur fünf Euro Stundenlohn zahlt. Elf Euro seien „sicher keine Seltenheit“, sagt er. Die Firmen hätten „große Fortschritte in Qualität und Mitarbeiterentwicklung gemacht“. Natürlich gebe es schwarze Schafe, „aber ich warne davor, diese Fälle auf die ganze Branche zu übertragen“.
Besagte schwarze Schafe sind nach wie vor aktiv. Das zeigen die Zahlen von Susanne Nowarra, Juristin der Verbraucherzentrale Berlin. Dort werden Beschwerden auf Grundlage des Gesetzes gegen unerlaubte Telefonwerbung erfasst, das seit August 2009 gilt. Sie nehmen zu. Im vorigen August waren es 1600. „Seit Anrufe mit unterdrückter Rufnummer verboten sind, werden die Nummern in 70 bis 80 Prozent der Fälle angezeigt“, sagt die Juristin. Manchmal seien diese aber manipuliert oder die Anrufe kämen aus dem Ausland. „Und nach wie vor werden Leute angerufen, die zuvor keine Einwilligung erteilt haben“, sagt Nowarra, „Das Gesetz muss unbedingt nachjustiert werden.“
Dagegen glaubt SNT-Chef Wassermann, ein verschärftes Gesetz werde „die illegalen Anrufe nicht verhindern“. Auch Jens Fuderholz, Sprecher des Verbandes Call Center Forum, wünscht sich, dass zunächst das Gesetz evaluiert wird. „Dass so viele Beschwerden eingehen, ist zunächst ein Beweis dafür, dass die Verbraucher den Beschwerdekanal gut nutzen“, sagt er. Der Verband hat seit 2006 einen verbindlichen Ehrenkodex für Mitglieder und fordert einen solchen für alle Callcenter. Die Mitglieder versuchen, das Branchenimage mit Tagen der offenen Tür und Informationsveranstaltungen zu verbessern.
Auch bei Sykes gibt es Tage der offenen Tür. Zuständig für Personalentwicklung ist dort Juma Boos. Auf das Image der Branche angesprochen, verweist sie auf die Realität: „Ohne uns geht es doch gar nicht mehr. Denken Sie an Notrufnummern, die Auskunft, Bestellannahme, Krisenhotlines oder Pannendienste.“ Seit Sykes im August seinen Betrieb im ehemaligen Kreuzberger Quelle-Center eröffnet hat, stieg die Mitarbeiterzahl von rund 300 auf 358. Von Berlin aus steuert die Firma unter anderem die technische Betreuung aller Produkte eines internationalen Elektronikherstellers. „Weil sich die Geräte gerade sehr gut verkaufen, steigt das Gesprächsaufkommen und wir brauchen zusätzliche Mitarbeiter“, sagt Boos. „Wir bilden unsere Mitarbeiter ständig weiter und fördern Potenziale im Haus.“
Dass sie auf einem guten Weg sei, attestiert der Branche sogar Ulrich Beiderwieden, der bei Verdi in Berlin für Callcenter zuständig ist. „Alle großen Center haben Betriebsräte“, sagt der Gewerkschafter. Auch werde ein Teil der Mitarbeiter nach Haus- oder Branchentarifverträgen bezahlt, beispielsweise wenn sie zu einer Bank gehörten. Dennoch will Beiderwieden einen Tarifvertrag für die ganze Branche durchsetzen – auch damit Mitarbeiter mit befristeten Verträgen eine längerfristige Perspektive bekommen.
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