Extreme Tierzucht: Berliner Tierärztekammer startet Kampagne gegen Qualzuchten
Plattnase und Glubschaugen – Hund, Katz’ & Co. sehen immer extremer aus. Das führt oft zu Krankheiten. Diagnose: vollkommen überzüchtet.
Ist er nicht niedlich, der kleine Mops, mit seinen großen Kulleraugen, der Plattnase und dem Stummelschwanz? Niedlich ja, aber auch todkrank. Diagnose: vollkommen überzüchtet. Wichtig ist seinen Liebhabern offenbar zuallererst sein Aussehen. Dass Hunde von ihren Anlagen her eigentlich zur Jagd, als Bewacher oder einfach als Kumpel und Spaßmacher in der Familie geboren werden – egal. Der Hund soll möglichst lang wie ein Welpe wirken, Zuchtziel: Kindchenschema. Aber nun reicht es vielen Berliner Tierärzten, sie wollen massiv gegen sogenannte Qualzuchten vorgehen.
Die Tierärztekammer Berlin startet eine Kampagne gegen solche Verirrungen. Eine Woche lang sind ab sofort bis zum kommenden Donnerstag in Berlin Großplakate zu sehen mit dem Slogan: „umdenken-tierzuliebe“ und weiter: „Ihr findet uns süß, aber ihr wisst nicht, wie wir leiden.“ Damit wollen die Veterinäre den Trend zum „unbedachten Tierkauf“ stoppen und potenzielle Käufer „sensibilisieren“, wie Sprecher der Tierärztekammer am Mittwoch vor der Presse betonten. In der Bevölkerung herrsche eine „große Gedankenlosigkeit“.
Möpse brauchen viermal so viel Energie zum Atmen
Welche Folgen Qualzuchten haben, machten die Experten eindrücklich klar. Französische und englische Bulldoggen, aber auch Möpse leiden unter „Brachyzephalie“, einer gezielten Umformung des Schädels. Das sei immer mit Schmerz und Leid für die Tiere verbunden. Deformationen an den Atemwegen, dem Gebiss, dem Mittelohr, den Augen und dem Gehirn sind die Folgen. Die Tiere bräuchten viermal so viel Energie, um zu atmen, oder könnten nicht mehr hecheln. Doch gerade das ist für Hunde zur Abkühlung lebensnotwendig.
Damit ist die Qualliste aber längst nicht zu Ende. Jeder vierte Dackel erleidet laut Tierärztekammer einen Bandscheibenvorfall und muss oft als Folge einer Querschnittslähmung eingeschläfert werden. Jeder fünfte Dalmatiner ist völlig taub. Und das Problem betrifft nicht nur Hunde. Auch bestimmte Katzenrassen würden für den Geschmack des Frauchens oder Herrchens unverantwortlich hochgezüchtet: ohne Haare oder Schwanz.
Präsenz in Film und Fernsehen sorgt für Hype
Es würde ja schon viel helfen, wenn überzüchtete Tiere nicht mehr ganz so präsent in Film, Fernsehen und Werbung wären, meinen die Tierärzte. Durch diese ständige Präsenz würden bestimmte Rassen ungebremst gehypt. Die Züchter seien nicht allein die Bösen, sagt Achim Gruber, Tierpathologe der Freien Universität Berlin (FU).* „Sie liefern nur, was sich die Käufer wünschen.“ Entscheidend sei, die Öffentlichkeit aufzuklären. Nur so könne man wieder zur Zucht von „gesunden, schmerz- und leidensfreien Tieren“ zurückkehren.
Doch am Mittwoch nahmen die Veterinäre nicht nur Haustiere in den Fokus. Es ging auch um Nutztiere wie Kühe, Schweine oder Hühner, die immer mehr Milch, Fleisch oder Eier liefern müssten. Die Tiere würden zu widernatürlichen Leistungen hochgezüchtet, hieß es. Ziel: möglichst viele Nachkommen, hohe Rentabilität. „Wir nehmen die Folgen für die Tiere bewusst in Kauf, indem wir ein solches Anforderungsprofil an sie haben“, sagt Diana Plange, Tierschutzbeauftragte des Landes Berlin. Stoffwechselerkrankungen, Organschäden, Muskelkrankheiten und Gelenkverletzungen seien die Folgen. Doch bei den Nutztieren sei es noch schwerer, gegen Qualzuchten vorzugehen, als bei Heimtieren.
Heidemarie Ratsch, die Präsidentin der Tierärztekammer Berlin, fordert daher einen „Bewusstseinswandel unter Haltern und mehr Fortbildungen für Tierärzte“. Entscheidend sei: „Die Gesundheit muss im Vordergrund stehen.“ Und Diana Plange fügt hinzu: „Wir müssen uns fragen, was erlauben wir uns eigentlich, mit Tieren zu machen?“
*) Der Text wurde am 15.11.2018 um 12:03 an dieser Stelle auf Wunsch von Professor Gruber geändert um dem Eindruck entgegenzutreten, er mache allein die Kunden für Qualzuchten verantwortlich. Vielmehr verweist er darauf, dass die Züchterwelt gespalten ist und es "skrupellose und interessensgetriebene Züchter" genauso wie solche "mit guten und ehrenvollen Absichten" gibt. In der früheren Version des Textes stand hier: "Die Züchter sind nicht die Bösen."
Regina Wank
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