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Berliner Tafel
© Uwe Steinert

Spenden für Bedürftige: Berliner Tafel wird 15 Jahre alt

Seit 15 Jahren versorgt das Team von Sabine Werth Bedürftige mit Lebensmitteln, die nicht mehr verkauft werden können. Ihre Idee ist mittlerweile im ganzen Bundesgebiet verbreitet.

Vor kurzem hat Sabine Werth überlegt, Finanzsenator Sarrazin einen Brief zu schreiben, wegen seiner Hartz -IV-Diät. Sie wollte ihn fragen, ob er sich jeden Tag von Kartoffelsalat und Leberkäs ernähren möchte. Sabine Werth kennt sich aus mit Lebensmitteln und mit Hartz -IV-Empfängern. Sie ist Gründerin und Vorsitzende der Berliner Tafel. Der Verein versorgt soziale Einrichtungen mit übrig gebliebenen Lebensmitteln aus Supermärkten und Restaurants. Die Hilfsorganisation feiert in diesem Jahr ihren 15. Geburtstag. Am Ende hat Sabine Werth ihren Beschwerdebrief nicht geschrieben. Sie handelt lieber anstatt zu reden.

Extrem ungeduldig sei sie, sagt die 50-Jährige über sich selbst. Ihre Arbeitsweise lässt daran keinen Zweifel. Werth telefoniert auf zwei Leitungen gleichzeitig, während sie einen Brief öffnet. Freundlich, aber bestimmt unterbricht sie ein Gespräch: „Das ist gerade ein ganz schlechter Augenblick.“ Von ihrem Büro auf dem Großmarktgelände an der Beusselstraße in Moabit führt die Macherin, groß gewachsen, energischer Gang, gleich zwei Unternehmen: ihre Familienpflege mit 35 Mitarbeitern und die Berliner Tafel.

Sabine Werth nennt die Tafel ihr „Baby“. Am 22. Februar 1993 rief sie das Projekt mit der „Initiativgruppe Berliner Frauen“ ins Leben. Seitdem funktioniert die Berliner Tafel nach einem einfachen Prinzip: Nicht verkaufte, aber unverdorbene Lebensmittel werden an Bedürftige weitergegeben.

Anfangs fuhr Sabine Werth noch selbst, hat die Händler überredet, die übrig gebliebene Ware zu spenden. Nicht alle verstanden das: „Was, Sie wollen unseren Müll?“ Nein, der Abfall interessiere sie nicht, sagte Sabine Werth dann. Sie will nur das, was noch gegessen, aber nicht mehr verkauft werden kann. Mittlerweile melden sich sogar Firmen bei der Tafel, weil sie das Projekt unterstützen – und manchmal auch als kostenlosen Entsorger nutzen. Kisten schleppt Sabine Werth aber schon lange nicht mehr. Das übernehmen mittlerweile Ehrenamtliche und Ein-Euro-Jobber. Insgesamt mehr als 50 Frauen und Männer arbeiten für die Berliner Tafel. Sie holen die Lebensmittel ab, sortieren und verpacken die Ware, und beliefern rund 300 soziale Einrichtungen in der Stadt. Beratungsstellen, Frauenhäuser und Suppenküchen gehören dazu. 125 000 Menschen erreicht die Tafel so.

Als Vorsitzende des Vereins ist Sabine Werth verantwortlich für den reibungslosen Ablauf des Betriebs. Ein Ehrenamt, das Zeit kostet: Rund 40 Stunden pro Woche investiert Werth in die Tafel, schätzt sie. Sozusagen nebenbei führt die Sozialpädagogin ihre eigene Firma, die Familienpflege. Alles von ihrem Büro aus, auf dem Großmarkt in Halle 102, neben den Fleischhändlern. „Sonst würde das nicht funktionieren“, sagt Sabine Werth. „Die Chefin muss in der Nähe sein.“

Würde sie es anders wollen, wenn sie wählen könnte? „Nein“, sagt Werth sofort und lächelt. Von der Tafel komme man nicht mehr so einfach los. Freunde und Partner verstehen das.

Sabine Werth, die Unternehmerin, hat täglich Kontakt mit Menschen, die ums Überleben kämpfen. Die Tafel helfe ihnen dabei, biete den Bedürftigen aber keine Grundversorgung. „Dafür ist der Staat zuständig“, sagt Werth. Dass Transferleistungen wie Hartz IV nicht immer ausreichen, hat ihrer Meinung nach unterschiedliche Gründe. An Diskussionen über die „Unterschicht“ – den Begriff benutzt Werth wie selbstverständlich – beteiligt sie sich nicht. „Das ist müßig. Die Frage ist doch, wo fangen wir da an, wo hören wir auf?“

Die Berliner Tafel ist der Ursprung eines deutschlandweiten Netzes. „Als 1994 der zweite Verein in München entstand, da habe ich gedacht, das könnte was Größeres werden.“ Ist es auch geworden: 767 Tafeln gibt es inzwischen im Bundesgebiet. In Berlin sei ihr Ziel jetzt, die Arbeit zu konsolidieren, sagt Sabine Werth. Noch mehr könnte der Verein nicht bewältigen. Dabei fällt es ihr selbst schwer, sich zu bremsen: „Wenn jemand was sagt, mach ich gleich ’ne Idee draus.“

Christina Kohl

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