Berlin: Berliner Stadtmission: Der Kältebus sucht nachts auf den Straßen nach Obdachlosen
Höchsttemperatur: 2 Grad. Nächtlicher Tiefstwert: minus 5 Grad.
Höchsttemperatur: 2 Grad. Nächtlicher Tiefstwert: minus 5 Grad. Stellenweise Reifglätte. Für Großstadtmenschen ist dies ein ganz passabler Winter-Wetterbericht. Sozialarbeiterin Sandra Schändel dagegen ist alarmiert, wenn sie morgens solche Meldungen im Radio hört. "Wenn nachts null bis minus ein Grad sind, schicken sie die Leute raus", weiß sie. "Sie", das sind die Wachschutzmänner an U-, S- und Fernbahnhöfen. "Die Leute" sind Obdachlose, die ihre Tage und möglichst auch ihre Nächte dort verbringen wollen. Sandra Schändel ist die Fahrerin des Kältebusses der Berliner Stadtmission.
Zwischen November und April ist der VW-Bus in der Stadt unterwegs. Gemeinsam mit einem Mitarbeiter sucht Schändel von sonntags bis donnerstags, stets von halb neun Uhr abends bis drei Uhr morgens, überall in der Stadt nach Männern und Frauen, die nicht in Notübernachtungen untergekommen sind. "Denen ist es da zu laut, zu voll oder zu gefährlich, sie müssen nachts trinken, und sie haben auch ihren falschen Stolz." Es gebe viele Gründe, nicht in eine Notunterkunft zu gehen. Sandra Schändel bekommt die Argumente immer wieder zu hören, wenn sie ihre Leute in Parks, auf Friedhöfen, auf Bahnhofsgelände oder in Einkaufscentern findet.
Erfahrung, Intuition, aber auch Anrufe von der Polizei und von aufmerksamen Bürgern leiten die Sozialarbeiterin durch die Nacht. Der VW-Bus, mit dem Schändel und ihr Helfer unterwegs sind, wurde von den Spendengeldern der Tagesspiegel-Obdachlosen-Aktion aus dem Winter 1999/2000 bezahlt. In diesem Winter sammelt der Tagesspiegel nun unter anderem für ein Wohnprojekt der Stadtmission am Chamissoplatz und für das Kältetelefon des Diakonischen Werkes, mit dem Sandra Schändel Nacht für Nacht enge Verbindung hält (siehe Kasten).
Wenn die 26-jährige Sozialarbeiterin weit draußen, etwa auf einer Bank am Bahnhof Wannsee, jemanden entdeckt, "ist das wirklich wertvoll". Denn von dort draußen schaffen es die oft alkoholisierten, völlig vereinsamten, misstrauischen Männer nicht mehr aus eigener Kraft in eine Notübernachtung oder ein Nachtcafé. Aber nicht immer gelingt es Schändel, die Obdachlosen zum Einsteigen zu bewegen.
Bei einer der letzten Touren ist es wieder passiert: Sie trat an eine Parkbank heran, sagte Hallo, und der Mann drehte sich nach einem kurzen Blick auf die andere Seite um. "Er hatte wenigstens ein paar alte Decken dabei", berichtet Schändel. Sie wird wiederkommen und versuchen "ein bisschen zu quatschen", heißen Tee und eine Zigarette anbieten - und immer wieder ein Bett in der Notübernachtung.
In ganz Berlin gibt es in Heimen und Kirchenräumen rund 700 Plätze. Ein solches Übernachtungsheim unterhält auch die Stadtmission in der Seydlitzstraße in Tiergarten. Es ist eines der wenigen Häuser, in denen auch Hunde mit aufgenommen werden, von denen sich ihre Besitzer nicht trennen wollen.
Erfolg ist für Sandra Schändel, wenn sie es schafft, einen Menschen zu überreden, es doch noch einmal mit dem Heim zu versuchen, und sei es nur für eine Nacht. Wenn einer, der ein paar Mal mit dem Kältebus gebracht worden ist, alleine den Weg findet, ist sie hochzufrieden. Manchen sagt die Fahrerin des Kältebusses aber auch irgendwann: "Das ist hier kein Taxi." Aber sitzenlassen würde sie niemanden.
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