Eliteschulen des Sports: Berliner Sportschulen leiden unter Schülermangel
Eine drastisch gesunkene Nachfrage überschattet das Schuljahr 2016/17. Im Radsport gab es gar keinen geeigneten Bewerber. Tennis fällt weg - aber aus anderen Gründen.
Wo laufen, rudern, springen sie denn? Jedenfalls nicht dort, wo man auf sie gezählt hat: Berlins Eliteschulen des Sports haben für das Schuljahr 2016/17 mit einer drastisch gesunkenen Nachfrage talentierter Schüler zu kämpfen. In jeder dritten Sportart können die vorhandenen Kapazitäten nicht ausgeschöpft werden. Über die Gründe wird noch spekuliert.
Am stärksten betroffen ist die Charlottenburger Poelchau-Schule, die 2015 ihre heruntergekommenen Räume am Halemweg verlassen und in den aufwendig sanierten Olympiapark umziehen konnte: Sie hat nur 37 von 60 Plätzen in den siebten Klassen mit geeigneten Bewerbern füllen können. In der Köpenicker Flatow-Schule bleiben 15 von 54 Plätzen frei. Lediglich das Sportforum in Hohenschönhausen kann wie geplant rund 100 Schüler aufnehmen.
Als besonders „dramatisch“ bezeichnet der Landessportbund die Lage im Radsport: Hier gab es ein Kontingent von fünf Plätzen, für die kein einziger geeigneter Bewerber gefunden wurde. Nicht viel besser sieht es bei der Leichtathletik aus: Hier wollte die Poelchau-Schule zehn Talente aufnehmen, fand aber nur zwei. Beim Rudern kommen neun Schüler auf 19 Plätze, beim Wasserball drei auf zehn, beim Hockey fünf auf acht, beim Segeln drei Schüler auf zehn Plätze. Auf der Suche nach guten Volleyballerinnen fanden die Schulen nur fünf Mädchen, obwohl man fast doppelt so viele nehmen wollte. Bei der achten Sportart, die dieses Jahr eine Nachwuchsflaute verlebt, handelt es sich um das Bogenschießen: Es gab nur zwei geeignete Bewerber für fünf Plätze am Sportforum Hohenschönhausen. „Die Vielzahl der Sportarten und die Auswirkung auf die Einschulungszahlen aller drei Eliteschulen des Sports bedarf einer besonderen Analyse“, kündigte die Bildungsverwaltung auf Nachfrage an. Diese Analyse werde gegenwärtig vom Landessportbund Berlin mit den betroffenen Sportverbänden vorgenommen.
Wasserball und Flüchtlinge
„Es gibt nicht den einen Grund“, sagt Frank Schlizio vom Landessportbund. Als Abteilungsleiter für den Leistungssport hat er seit sieben Jahren miterlebt, dass es stets eine schwankende Bewerberlage gab, aber nie war sie so schwach wie dieses Jahr. Zu den Gründen gehört für ihn, dass Sportarten wie Wasserball in der Öffentlichkeit nicht mehr so wahrgenommen würden wie früher. Beim Segeln sei es so, dass es viele aktive Segler am Wannsee gebe, die aber den Weg zur Flatow-Schule nach Köpenick scheuten. Auch die „extrem eingeschränkten Trainingsmöglichkeiten“ im Olympiapark könnten eine Rolle spielen: Hier sind zwei Hallen durch Flüchtlinge belegt. Das betrifft im Winter die Leichtathletik, aber auch die Volleyballer.
Die kursierende Vermutung, dass die Aufnahmebedingungen erschwert wurden und deshalb weniger Kinder als bisher die Hürden nehmen konnten, weist der Sportfunktionär zurück: „Die Sportvereine haben die Normen nicht hochgesetzt. Beim Fußball gibt es kein Nachwuchsproblem: Hertha-BSC konnte auch dieses Jahr alle 15 Plätze an der Poelchau-Schule belegen. Dies aber bedeutet angesichts der Rückgänge in den anderen Sportarten, dass der Fußball noch mehr als bisher an der Schule dominiert. In die gleiche Richtung tendiert die Flatow-Schule.
Seine eigene Vermutung zu den sinkenden Anmeldungen hat der ehemalige Leiter der Poelchau-Schule, Rüdiger Barney: "Ich vermute, dass die potentiellen Sportlerelterm durch die Erfahrungen der letzten Jahre zurückhaltender geworden sind. Sie mussten beobachten, dass sich die Balance zwischen schulischer und sportlicher Bildung immer weiter zum Vorteil des Sportes entwickelte, darunter leidet der schulische Bildungsauftrag", befürchtet Barney. Und dies werde "von der Bildungsverwaltung gebilligt".
Schüler dürfen weggeschickt werden, wenn sie zu schlecht sind
Der große Einbruch bei den diesjährigen Anmeldungen ist aber nicht das einzige Problem, mit dem die Schule zu kämpfen hat: Die vergangenen zwei Jahre waren auch überschattet von rechtlichen Auseinandersetzungen: Die Bildungsverwaltung hatte es versäumt zu regeln, dass Schüler weggeschickt werden dürfen, wenn ihre sportliche Leistung nicht reicht. Dagegen klagte erfolgreich ein Vater der Poelchau-Schule. Zudem musste sich die Schule vom Tennis trennen, weil sich das Training als zu teuer erwies: Die Eltern sollten dafür (also fürs Training) zahlen, was jedoch einem verdeckten Schulgeld gleichkam. Dies kommt für eine staatliche Schule eigentlich nicht infrage und hat noch ein juristisches Nachspiel, weil mehrere Eltern ihr Geld zurückhaben wollen.
Auch ohne Tennis sind die Eliteschulen für das Land ein aufwendiges Unterfangen: Die Klassen sind wesentlich kleiner als in Regelschulen, sodass schätzungsweise etwa ein Drittel mehr Personal gebraucht wird.
43 Eliteschulen in Deutschland
Bundesweit gibt es 43 Eliteschulen des Sports mit etwa 11500 Schülern. 29 Schulen setzen auf Sommersportarten, sieben auf Wintersportarten und weitere sieben auf beides. Das Prädikat vergibt der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB). Die Tradition der Eliteschulen des Sports stammt in Berlin noch aus DDR-Zeiten. Die älteste und erfolgreichste ist das Schul- und Leistungssportzentrum Berlin in Hohenschönhausen, die aus der Werner-Seelenbinder- und dem Coubertin-Gymnasium fusioniert wurde. Die an der Dahme gelegene Flatow-Schule in Köpenick setzt vor allem auf Wassersportarten, ist aber auch Eliteschule des Fußballs, wobei sie mit dem 1. FC Union kooperiert. Die Poelchau-Schule entwickelte seit 1997 ihr Sportprofil, weil es, wie es damals hieß, „auch im Westteil“ eine Eliteschule des Sports geben sollte. Seit 2006 erhielt sie das Prädikat „Eliteschule des Sports”, 2008 kam vom Deutschen Fußball-Bund das Prädikat „Eliteschule des Fußballs“ hinzu. Kooperationspartner ist Hertha BSC.
Laut DOSB waren bei den Olympischen Spielen in Sotschi aktuelle und ehemalige Eliteschüler/innen des Sports an allen Medaillen beteiligt. Von den rund 400 Mitgliedern der deutschen Olympiamannschaft war jedes vierte an Eliteschulen gefördert worden. Dieses Viertel holte 30 von 86 Medaillen.
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