Flugblätter von Verschwörungserzählern: Berliner Senat begegnet Corona-Verharmlosern zurückhaltend
Der Senat entwickelt kaum Gegenmaßnahmen, um Verschwörungserzählungen zur Corona-Impfung einzudämmen. Dabei existieren davon Tausende.
Wo die Diskussionslust groß und der Informationsbedarf riesig ist, sind Verschwörungserzählungen nicht weit. Gerade zum Coronavirus kursieren Tausende. „Covid-19 ist nicht gefährlich und Impfen ist Mist.“ So fasst ein Tagesspiegel-Leser zusammen, was ihm ein Flyer suggerieren will.
Vor angeblich „schweren Nebenwirkungen und Langzeitschäden“ des Impfstoffs wird gewarnt, die Impfung der Bevölkerung als „Großversuch am Menschen“ bezeichnet. Es ist ein Fall von vielen. Seit Monaten werden Flyer von Gruppen mit unscheinbaren Namen wie „Eltern stehen auf“, „Ärzte für Aufklärung“ oder den „Freiheitsboten“ verteilt.
Letztere sind eng mit den Organisatoren der „Querdenken“-Proteste um Bodo Schiffmann und Michael Ballweg verbunden. Ihr Kanal im Messengerdienst Telegram hat mehr als 25 000 Mitglieder, jeder kann kostenlos Flyer bestellen. Einzelne Handzettel haben eine Auflage von drei Millionen Exemplaren.
Dem Senat ist das Thema zwar bekannt, aber es herrscht weitgehende Sprachlosigkeit. In der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der Grünen-Abgeordneten June Tomiak, die dem Tagesspiegel exklusiv vorliegt, zählt Gesundheitsstaatssekretär Martin Matz mehrere Fälle auf, in denen „Flugblätter, Sticker und Plakate von Leugnern oder Verharmlosern der Pandemie“ verteilt wurden.
„Strafrechtlich nicht relevant“, lautete in sämtlichen Fällen das Ergebnis der polizeilichen Untersuchung. Viel mehr Informationen über die Hintergründe der Desinformationskampagnen liegen dem Senat scheinbar nicht vor. Matz hat keine Antwort auf die Frage nach dem „ungefähren Umfang des Phänomens“ und auch nicht auf die zur Gefahr von Desinformationskampagnen oder einem möglichen Zusammenhang mit den großen Corona-Demonstrationen in Berlin und Brandenburg.
Keine Informationskampagne geplant
Gegenmaßnahmen sind rar. „Zurzeit ist keine berlinspezifische Informationskampagne geplant“, entgegnet Staatssekretär Matz auf die Frage, wie der Senat der analogen wie digitalen Verbreitung von Falschnachrichten begegnen will.
Matz verweist stattdessen auf die Einladungsschreiben an Personen, die aktuell zur Impfung berechtigt sind. In den Impfzentren würden sie über Risiken und Nebenwirkungen der Impfung aufgeklärt. Nur welcher Impfgegner geht ins Impfzentrum? Eine weitere parlamentarische Anfrage des FDP-Abgeordneten Bernd Schlömer passt ins Bild.
Sie zeigt: Eine Strategie gegen Desinformation existiert kaum. Der Senat verweist nur auf die eigene Website berlin.de/corona und die Aktion „Fakten statt Fakenews“ in den sozialen Medien. Und: Mit Influencern arbeite man generell nicht zusammen. „Es braucht dringend aktive Maßnahmen gegen Desinformationen und Verschwörungserzählungen zur Corona-Impfung“, fordert Schlömer deshalb.
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Kritik an der Zurückhaltung kommt aber nicht nur aus der Opposition. Grünen-Abgeordnete Tomiak bezeichnet Aufklärungsmaßnahmen über gezielte Falschinformationen als „unabdingbar“. „Eine Strategie des Senats zum Umgang mit Desinformationskampagnen fehlt.“
Die Maßnahmen des Bundes allein reichten nicht aus und hätten „auch schlicht nicht das Ziel, Verschwörungserzählungen zu demaskieren“, sagt Tomiak. Der Senat müsse handeln, und zwar schnell.
Senatssprecherin Melanie Reinsch verweist auf Tagesspiegel-Anfrage nochmals auf die eigene Website, einen Twitteraccount und zwei Briefe des Regierenden Bürgermeisters Michael Müller (SPD) an die Berliner. „Auf die Website wird bei neuer Faktenlage oder einer nötigen Richtigstellung von Falschinformationen regelmäßig verwiesen.“ Falschmeldungen auf sozialen Medien unter eigenen Postings würden richtiggestellt oder gelöscht.
Das Netzwerk der Akteure, die die Social-Media-Profile des Landes Berlin betreuen, würden sich gegenseitig unterstützen bei der Überprüfung und Richtigstellung von Falschmeldungen. Darüberhinausgehende Aktionen oder eine Kampagne seien nicht geplant.
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