Trotz parteiinterner Kritik: Berliner Piratenchef Semken lehnt Rücktritt ab
Immer schärfer streiten die Piraten um Parteichef Hartmut Semken. Ein Parteitag mit dem Ziel, ihn zu stürzen, ist wahrscheinlich geworden. Martin Delius will unterdessen parlamentarischer Geschäftsführer bleiben.
Immer schärfer streiten die Berliner Piraten darum, ob sie noch den richtigen Mann an ihrer Spitze haben. Landeschef Hartmut Semken lehnte es am Montag nach Ende einer Bedenkzeit ab zurückzutreten: „Ich bleibe. Ich stehe das durch“, sagte er dem Tagesspiegel. Wegen umstrittener Äußerungen zum Umgang mit Rechtsradikalen hatten drei einflussreiche Berliner Piraten Semken in der vergangenen Woche öffentlich aufgefordert, sein Amt niederzulegen. Durch Semkens Entscheidung wird nun ein außerplanmäßiger Parteitag mit dem Ziel, den Parteichef abzuwählen, immer wahrscheinlicher. Dafür bräuchte es die Unterstützung von zehn Prozent der Mitglieder des Landesverbands.
Philip Brechler, einer der drei Kritiker, sagte am Montag erstmals, wenn Semken nicht zurücktrete, würden definitiv Unterschriften für einen Parteitag gesammelt. Dafür wollen nach Auskunft Brechlers manche Piraten unter anderem den Bundesparteitag am kommenden Wochenende in Neumünster nutzen. „Das wäre ein unehrenhafter Abgang, das wünsche ich Herrn Semken nicht“, sagte Brechler. Auch die Gegenseite äußert sich zusehends bissig. Auf einer Mailingliste meldete sich unter anderem Bundespressesprecher Christopher Lang privat zu Wort. Er sagte zum Verhalten Brechlers, so etwas nenne man wohl „blinden Hass“. Brechler reagierte mit der Bemerkung: „Augen auf du Abziehbild eines Pressesprechers!“
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Es gilt als wahrscheinlich, dass sich genügend Mitglieder finden, um einen Parteitag einzuberufen. Wie dann die Mehrheitsverhältnisse für oder gegen Semken wären, ist kaum abzuschätzen. Der Parteichef versucht unterdessen, seine Kritiker zu besänftigen. „Ich entschuldige mich bei all denen, die ich angegriffen habe, die ich vielleicht beleidigt habe, deren Engagement ich nicht richtig geschätzt habe“, sagte er. Semken hatte unter anderem geschrieben, das wahre Nazi-Problem der Piraten stellten jene dar, die zu stark auf Abgrenzung gegen Rechts dringen würden.
Inhaltlich habe er aus der Auseinandersetzung gelernt, sagt Semken nun: "Ich stehe nach wie vor für demokratische Grundwerte. Es war aber klar ein Fehler, mich gegen zivilen Ungehorsam ausgesprochen zu haben." Semken hatte geschrieben, wer zur Blockade von Neonazi-Demonstrationen aufrufe, wende selbst "Nazimethoden" an.
In der Kritik steht unterdessen auch der parlamentarische Geschäftsführer der Piraten im Abgeordnetenhaus, Martin Delius. Er hatte im „Spiegel“ einen Vergleich zwischen dem Aufstieg der Piratenpartei und jenem der NSDAP zwischen 1928 und 1933 gezogen, sich dafür aber später entschuldigt. „Delius hat eine Linie überschritten, indem er die NS-Zeit relativiert hat“, sagte Benedikt Lux, parlamentarischer Geschäftsführer der grünen Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus. „Ich werde das persönliche Gespräch mit ihm suchen, weil ich das von ihm nicht erwartet hatte. Die Piraten müssen sich jetzt ganz schnell von rechtem Gedankengut trennen, sonst wird die tägliche Arbeit vorbelastet.“ Indirekt brachte Kai Wegner, Generalsekretär der Berliner CDU, einen Rücktritt ins Spiel: „Die Piraten müssen klären, ob Martin Delius nach dem inakzeptablen Vergleich in der Funktion als Parlamentarischer Geschäftsführer weiter tragbar ist.“
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Delius aber lehnt einen Rücktritt ab. Wegen eines „blöden Fehlers“ werde er seinen Posten nicht aufgeben, sagte er am Montag. Bereits am Sonntag hatte er allerdings seine Kandidatur für den Bundesvorstand der Piraten, der am kommenden Wochenende neu gewählt werden soll, zurückgezogen. Am Montag fanden sich bis zum späten Nachmittag rund fünfzig parteiinterne Unterstützer zusammen, die Delius öffentlich aufforderten, seine Kandidatur aufrecht zu erhalten. Delius sagte dazu aber, seine Entscheidung stehe fest, er werde nicht für den Vorstand kandidieren.
Kritisch sieht der Berliner Parteienforscher und Extremismusexperte Richard Stöss die Debatte über rechte Tendenzen bei den Piraten. „Da wird maßlos übertrieben“, sagte Stöss dem Tagesspiegel. Es gebe nur vereinzelt Parteimitglieder, die bedenkliche Äußerungen machten. Auch der Vergleich zwischen dem Aufstieg der Piraten und dem der NSDAP, den Martin Delius gezogen habe, sei nur eine „Gedankenlosigkeit“, aber kein Beleg für rechtsextreme Gesinnung. Er betonte, bei den Piraten seien „überhaupt keine inhaltlichen Anknüpfungspunkte“ zum Rechtsextremismus zu erkennen. Das sei auch ein Unterschied zur Frühphase der Grünen, bei denen anfangs Rechtsextremisten mitmischten. Zum Grundverständnis der Grünen habe ein diffuses Verständnis von „Lebensschutz“ gehört, das Rechtsextremisten als mögliche Verbindung zu ihrer Ideologie interpretieren konnten und wollten.
Trotz der Schlagzeilen über Probleme der Piraten, sich nach rechtsaußen abzugrenzen, sehen Verfassungsschützer keinen Anlass, die Partei in den Blick zu nehmen. Es sei „ein fast normaler Zustand“, dass eine neue Partei zum „Sammelbecken für alle möglichen Leute“ werde, sagte ein Experte. Es gebe aber keine Hinweise, dass rechte oder andere Extremisten in die Piratenpartei eintreten, um sie zu unterwandern. Der Verfassungsschutz sei von einer Prüfung, ob Teile der Partei zu beobachten seien, „weit entfernt“.
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