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Wenn's mal wieder enger wird in der U-Bahn ... zeigt sich, ob Männlein und Weiblein wohlerzogen sind.
© dpa/Friedrich Bungert

Gutes Benehmen in der U-Bahn: Berliner Männer fahren gern breitbeinig

Beine breit, hinfläzen und sich gemütlich durch den Untergrund schaukeln lassen: Die U-Bahn scheint zu den letzten Bastionen echter Männlichkeit zu gehören. In New York sollen Männer neuerdings höflicher sitzen. Und wie ist es um die Manieren im Berliner Nahverkehr bestellt? Ein Praxistest in der U 2.

U-Bahnhof Deutsche Oper. Hier spielen sich auch unterirdisch manchmal Dramen ab.

Die Türen der U 2 schließen sich. Zwei Frauen sind eingestiegen und suchen nach einem freien Platz. Sofort springt ein junger Mann auf und bietet seinen Sitz an. Ein Raunen geht durchs ganze Abteil. Sind wir Zeuge eines mittleren Wunders geworden? „Bei uns in Kirgisistan ist das selbstverständlich“, sagt Emran, 28. Er ist seit zwei Jahren in Berlin und wundert sich oft über das rüpelhafte Benehmen der hiesigen Männer. Sie stehen nicht auf, weder für ältere oder behinderte Fahrgäste oder auch für schwangere Frauen. Sie besetzen durch breitbeiniges Sitzen mehr Platz, als sie müssten und sollten.

Eigentlich kein Berliner Phänomen. Aber schon eines, das besonders in Berlin auffällt. War das schon immer so? Und vor allem: Muss das immer so bleiben?

Die New Yorker Verkehrsbetriebe MTA haben zum Jahresbeginn eine viel beachtete Kampagne für rücksichtsvolles Benehmen im Nahverkehr gestartet. Unter dem Motto „Courtesy counts – Manners make a better ride“ (zu Deutsch etwa: Höflichkeit zählt – Gutes Benehmen sorgt für eine bessere Fahrt) wird besonders das männliche Verhalten des breitbeinigen Sitzens kritisiert: „Dude: Close your legs!“ (etwa: Mensch, nimm deine Beine zusammen!).

Eine Feldstudie im Gedränge des Berliner Nahverkehrs in diesen Tagen zeigt folgendes Bild: Viele Männer sitzen tatsächlich mit auswärts gestellten Beinen in der U-Bahn. Frauen nie.

Frauen nehmen ihre Taschen auf den Schoß

Frauen halten die Knie aneinander, die Füße nebeneinander. Ihre Taschen oder Rucksäcke nehmen sie auf den Schoß, während Männer ihr Zeug lieber auf dem Platz neben sich oder zwischen den Beinen abstellen. Für Männer ist es selbstverständlich, freie Plätze so lange für sich zu nutzen, bis eventuell jemand fragt. Frauen lassen Freiräume unangetastet. Womöglich wirken hier Geschlechtsstereotype, die Jahrzehnte der Emanzipation überdauert haben.

Stichproben ergeben zudem, dass breitbeinig hingerekelte Männer auf Nachfragen oder Gesprächsangebote unfroh reagieren. Man müsse als Mann aus anatomischen Gründen so sitzen, wird einem barsch beschieden. Die Beine überzuschlagen, sei ziemlich unmännlich oder auch „eklig“. Außerdem könnte dadurch die Zeugungsfähigkeit eines Mannes beeinträchtigt werden, sagt einer. Berliner Urologen können diese Vermutung allerdings nicht bestätigen.

Die Berliner Knigge-Trainerin Fulya Sonnenschein kennt das männliche Revier- und Dominanzverhalten nur allzu gut. „Es ist nichts dagegen zu sagen, wenn man es sich bequem macht“, sagt sie, „doch es gehört sich nicht, anderen den Platz wegzunehmen.“ Frau Sonnenschein übt mit Kindern und Jugendlichen ein rücksichtsvolles Verhalten ein, indem die Rollen getauscht werden. „Man sollte sich immer in die Lage des anderen versetzen können“, sagt die Trainerin.

Auch das Aufstehen für ältere Menschen oder schwangere Frauen ist nicht mehr selbstverständlich. „Je individueller ein Land, desto stärker ist die Ellenbogenmentalität“, hat Fulya Sonnenschein festgestellt. In asiatischen Ländern etwa sei es noch gang und gäbe, dass man aus Respekt den Sitzplatz anbiete.

Das kann Frau Sommer, 63, die am Hermannplatz aussteigt, nur bestätigen: „Früher waren die Leute freundlicher. Jetzt muss ich den Schwerbehindertenausweis vorzeigen, damit ich einen Platz kriege. Die Leute sind egoistischer geworden.“

Das Leben in vollen Zügen genießen

Generell ist es nicht leicht, das Leben in vollen Zügen zu genießen. Der Raum im öffentlichen Nahverkehr ist stets umkämpft. Man rückt sich auf die Pelle, kommt sich ins Gehege, tritt sich gelegentlich auch auf den Schlips, zumindest auf den Schuh. Wie lange darf man sich anschauen, ehe es als Starren empfunden wird? Lautes Telefonieren oder Musikhören, der Transport sperriger Gegenstände, offene Speisen und Getränke, all das nervt und ist laut Beförderungsbedingungen der BVG untersagt.

Sie hatte vor zwei Jahren eine Höflichkeitskampagne unter dem Motto „Du bist nicht allein!“ unternommen. Pressesprecherin Petra Reetz ist mit dem gegenwärtigen Benehmen der Fahrgäste eigentlich ganz zufrieden: „Wir sind in Berlin, da hilft jedes bisschen Freundlichkeit.“

Unverhofft gutes Benehmen kann Berliner Frauen jedoch auch verunsichern. Als ein Mann in der U 8 am Alexanderplatz seinen Platz einer jungen Frau anbietet, fragt sie erschüttert: „Mein Gott, sehe ich so alt aus?“

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