Glücksatlas 2013: Berliner haben eine gesunde Distanz zum Glück
Hatice Akyün musste neulich unbedingt Lotto spielen, und hatte dabei Zeit, über das Glück nachzudenken. Allerdings wird sie selbst nur gelegentlich von Glückshormonen geflutet.
Ich habe Lotto gespielt. Irgendwie hatte ich plötzlich eine Eingebung, ich müsse dies tun. Also folgte ich nicht wie sonst üblich meinem Verstand, sondern meiner inneren Stimme. Ich habe nichts gewonnen, aber dafür hatte ich während der Ziehung Zeit, intensiv über Glück nachzudenken. Geld allein macht nicht glücklich. Jeder ist seines Glückes Schmied. Alles Glück der Erde ruht auf dem Rücken der Pferde. Mehr fiel mir spontan dazu auch nicht ein. Also nahm ich mir den aktuellen Glücksatlas der Post zur Hand. Darin steht, wie glücklich wir Deutschen sind. Eigentlich keine schlechte Idee, die Amerikaner haben sogar in ihrer Verfassung das Anrecht, nach Glückseligkeit zu streben („Pursuit of Happiness“), verankert.
Berliner sind so ziemlich die Unglücklichsten
In unserer Untersuchung geht es um Gesundheit, Wohnsituation, Einkommen und Lebenszufriedenheit. Das ist ungefähr so, als würde ich meine Beziehungen zu Männern auf Beischlafquote, finanzielle Vorteile, Netzwerkqualität für beruflichen Erfolg und Einsparpotenziale in der Haushaltsführung begrenzen. Wir Berliner sind laut dieser Studie so ziemlich die Unglücklichsten. Zwar nicht so unglücklich wie die Brandenburger, aber weniger happy als die Schleswig-Holsteiner und die Baden-Württemberger.
Glück wird komplett überbewertet
Mal ehrlich, wann waren Sie das letzte Mal von Fußzehe bis Haarwurzel komplett mit Glückshormonen geflutet? Genau genommen wird Glück, wie auch die Jugend, komplett überbewertet. Und ich sage das mal ganz deutlich: Glück hat einen ziemlich jämmerlichen Wechselkurs. Jedes Mal, wenn ich glaube, das etwas außergewöhnlich Schönes, Einzigartiges, Wunderbares passiert ist, fliegt es mir über kurz oder lang gewaltig um die Ohren. Gut, ich koste diese Situationen bis in die letzte Ritze aus, aale mich darin, aber am Ende bleiben sie doch nur bunte Blitzlichter in einer Umgebung von tausend und einer Nuance Grau.
Wir machen nur nicht so einen Lärm darum
Es freut mich daher, dass diese Studie über uns Berliner aussagt, dass wir eine gesunde Distanz zum Glück haben. Vermutlich nehmen wir das Glück genau so an wie der Rest der Republik und machen nur nicht so einen Lärm darum. Wir freuen uns still und behalten es für uns. Wir sind wie der Vogel, der freiwillig im Käfig sitzen bleibt, obwohl die Tür offen steht.
Die Süddeutschen arbeiten wie die Pferde, lassen es aber auch richtig krachen und wirken deshalb irgendwie auch ausgeglichener. Die Norddeutschen gehen protestantisch ihren Pflichten nach und zum Lachen in den Keller. Die Ostdeutschen sind bis ins Mark pragmatisch und deshalb so visionslos, dass sie nie und nimmer irgendetwas riskieren würden. Und wir Berliner strampeln uns ziemlich alleine gelassen als ärmste europäische Hauptstadt gegen London, Paris und New York ab, sind dafür aber das heißeste Versprechen der Welt.
Wer Glück erkennt, sei gepriesen. Ich merke es meistens erst hinterher, dass es da war. Bei allem, was es tagtäglich bei uns zu nörgeln gibt, stiftet dieser gigantische Zoo Berlin jeden Tag Momente, die liebenswert sind. Oder wie mein Vater sagen würde: „At bulunur meydan bulunmaz; meydan bulunur at bulunmaz.“
Hat man ein Pferd, hat man keine Rennbahn; hat man eine Rennbahn, hat man kein Pferd.
Hatice Akyün ist in Anatolien geboren, in Duisburg aufgewachsen und in Berlin zu Hause. An dieser Stelle schreibt sie immer montags über ihre Heimat.
Hatice Akyün
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