Nach Verbot von „Syndikat bleibt!“-Demo: Berliner Grüne und Linke für Einzelfallregelungen
Infektionsschutz oder Demonstrationsfreiheit, was wiegt mehr? Grüne und Linke fordern den Senat auf, das Verbot der Neuköllner Demo erneut zu überdenken.
Das Verbot einer für Samstag geplanten Demonstration im Bezirk Neukölln hat die Diskussion über den Umgang mit dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit in Krisenzeiten neu angefacht. Nachdem die Versammlungsbehörde den Antrag auf Ausnahme von dem in der Kontaktsperre formulierten Versammlungsverbot abgelehnt hatte, äußerte Niklas Schrader, innenpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, die Erwartung, der Senat möge die bisherige Regelung überdenken.
[Jeden Morgen ab 6 Uhr berichten Chefredakteur Lorenz Maroldt und sein Team im Tagesspiegel-Newsletter Checkpoint über Berlins Irren und Wirren. Jetzt kostenlos anmelden: checkpoint.tagesspiegel.de]
Benedikt Lux, innenpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion, sprach sich dafür aus, den anhaltenden Infektionsschutz mit der Meinungs- und Versammlungsfreiheit in Einklang zu bringen und Demonstrationen in begründeten Einzelfällen zuzulassen. Anlass ist eine von der Gruppe „Friedel 54 im Exil“ angemeldete Demonstration unter dem Titel „Syndikat bleibt! – Kiezkultur erhalten“. Sie sollte der räumungsbedrohten Kneipe „Syndikat“ gelten und war Anfang März für 300 Teilnehmer angemeldet worden.
Nach Inkrafttreten der Rechtsverordnung zur Eindämmung des Coronavirus passten die Organisatoren ihre Anmeldung an. Die Verordnung gestattet Versammlungen unter freiem Himmel von bis zu 20 Teilnehmern in „besonders gelagerten Einzelfällen“ und „sofern dies aus infektionsschutzrechtlicher Sicht vertretbar ist.“ An der fachlichen Entscheidung darüber ist das zuständige Gesundheitsamt des jeweiligen Bezirks zu beteiligen. Genau das geschah im Fall des Syndikats – und ging für die Anmelder negativ aus.
In der Stellungnahme des Neuköllner Gesundheitsamtes heißt es, dem geplanten Aufzug stünden „erhebliche infektionsschutzrechtliche Bedenken entgegen“. So sei es „fraglich“, ob die Organisatoren die Einhaltung der Obergrenze von 20 Teilnehmern gewährleisten könnten.
Außerdem seien die vom Veranstalter vorgeschlagenen Schutzmaßnahmen – alle Teilnehmer sollten Mundschutz sowie Handschuhe tragen und den Mindestabstand von zwei Metern einhalten – „nicht hinreichend, um einen wirkungsvollen Infektionsschutz zu gewährleisten“.
Die Versammlungsbehörde schloss sich dem an und erklärte zudem, auch eine alternativ von den Anmeldern vorgeschlagene stationäre Kundgebung wäre unzulässig. Während Matthias Sander, Sprecher der Initiative, das Verbot als Beleg dafür bezeichnete, „dass der Infektionsschutz in Berlin als politisches Instrument missbraucht wird, um jegliche Meinungsäußerung im öffentlichen Raum zu untersagen“, nahm Linken-Politiker Schrader den Senat in den Blick.
[In unseren Leute-Newslettern berichten wir wöchentlich aus den zwölf Berliner Bezirken. Die Newsletter können Sie hier kostenlos bestellen: leute.tagesspiegel.de]
Er „erwarte“, dass sich dieser der Frage der Gewährleistung der Versammlungsfreiheit auch in Krisenzeiten annehmen werde, erklärte Schrader. Aktuell laufe die Anwendung der Rechtsverordnung „auf eine generelle Untersagung von Versammlungen hinaus“, kritisierte Schrader und erklärte: „Demokratisches Leben ist auch im Ausnahezustand essentiell.“
“Benedikt Lux, Amtskollege Schraders in der Grünen-Fraktion, ergänzte: „Ein allgemeines Demonstrationsverbot lässt sich mit unserem Grundgesetz nicht vereinbaren. Langanhaltender Infektionsschutz ist sehr wichtig, kann aber im besten Fall mit der Meinungs- und Versammlungsfreiheit in Einklang gebracht werden.“
Bei einer Demonstration unter freiem Himmel und der Einhaltung von Kriterien wie niedriger Teilnehmerzahl, ausreichendem Mindestabstand, gegebenenfalls dem Tragen von Mundschutz sowie dem Verbot einer Teilnahme von Personen mit Symptomen „könnte eine Demonstration auch mal zugelassen werden“, erklärte Lux.
All das hatten die Anmelder der Demonstration zum Erhalt des „Syndikat“ vorgesehen. Schrader und Lux betonten ausdrücklich, dass es ihnen ausdrücklich nicht um eine allgemeine Lockerung der Kontaktsperre gehe. Klar ist: Während der Sondersitzung des Senats am Donnerstag spielte das Thema keine Rolle.
Im Nachgang räumte Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) ein, die Frage nach dem Umgang mit dem Versammlungsrecht werde „in allen drei Fraktion und Parteien intensiv beraten“. Der Senat habe das Thema „sehr im Blick“ und wolle „so schnell es irgendwie geht“ eine Entlastung schaffen.
Müller Stellvertreter und Parteigenosse Schraders, Kultursenator Klaus Lederer, ergänzte: „Es müssen sich derzeit wirklich alle überlegen, welche Form wählen sie, wenn sie legitime Kritik rüberbringen wollen. „Mit Sicherheit weniger geeignet“ seien Formen, die mitentsprechenden Ansteckungsgefahren verbunden sind. Anmelder sollten sich „sehr genau überlegen“, ob sie in der aktuellen Situationen Demonstrationen durchführen müssten.