Neues Zuhause für Kinder: Berlin sucht Pflegeeltern
Wenn Kinder nicht bei ihren leiblichen Eltern leben können, bieten Pflegeeltern ein neues Zuhause. In Berlin werden wieder Interessenten gesucht.
In Berlin werden neue Pflegefamilien gebraucht. Jährlich suchen die Jugendämter in Berlin für etwa 700 Kinder, die aus den verschiedensten Gründen nicht bei den leiblichen Eltern leben können, vorübergehend oder dauerhaft ein neues Zuhause. Im Jahr 2018 sei im Vergleich zu den Vorjahren die Zahl der Erwachsenen, die ein Kind aufnehmen möchten, gesunken, teilten die Senatsjugendverwaltung und der berlinweit koordinierende Fachdienst, die Familien für Kinder gGmbH, mit. Daher hat Familiensenatorin Sandra Scheeres (SPD) jetzt die stadtweite Kampagne "Pflegekinder bringen Lebendigkeit in die Familie" gestartet. 150 Tage lang wird auf Plakatwänden in den Öffentlichen Verkehrsmitteln und auf den Kanälen der Sozialen Medien jetzt um Erwachsene geworben, die ein Baby, ein Mädchen oder Jungen oder einen Jugendlichen bei sich Zuhause aufnehmen möchten.
Voraussetzung: Lust auf ein Leben mit Kind
Die Motive auf dem Plakat verdeutlichen, wer Pflegemutter und Pflegevater werden kann: Das können verheiratete und unverheiratete Paare, gleichgeschlechtliche Paare, Paare mit und ohne leibliche Kinder, alleinstehende und alleinerziehende Mütter und Väter, Patchworkfamilien oder Singles völlig unabhängig von der sexuellen Orientierung sein. Auch Familien mit Migrationshintergrund könnten sich sehr gern melden, von ihnen gibt es verhältnisweise weniger Interessenten. Natürlich gibt es dann einen Überprüfungs- und Schulungsprozess, aber die wichtigste Voraussetzung sei, wie es ein Vater formulierte, der mit seinem Lebensgefährten einen Sohn erzieht: "Man muss Lust haben, viel Zeit und sein Leben mit einem Kind zu verbringen. Sich selbst stelle man erst einmal nicht mehr so in den Vordergrund, das Kind sei Nummer eins. Voraussetzung sind unter anderem ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis, ein Gesundheitszeugnis, die seelische und pädagogische Reife. Nicht jedes Kind passe zu jeder Familie und umgekehrt, die "Chemie" muss stimmen.
Auch junge Flüchtlinge suchen ein Zuhause
Am Montag hatten sich Pflegeeltern, Vertreter von Pflegekinderdiensten und der Senatsverwaltungen an einer Plakatwand an der Mansteinstraße Ecke Großgörschenstraße versammelt, um die Kampagne offiziell zu starten. Denn derzeit würden rund 200 Kinder in heimähnlichen Unterbringungen versorgt, denen eine Aufnahme im Familienkreis der Expertenkenntnis und Erfahrungswerten nach aber weit besser tun würde. Zudem erreichen Berlin weiter rund 40 bis 90 minderjährige unbegleitete Geflüchtete jeden Monat. Diese wurden vor etwa vier Jahren erstmals auch zu einem geringen Teil bei Pflegefamilien untergebracht. Derzeit leben noch rund 50 Jugendliche vornehmlich aus Syrien, Afghanistan und Iran bei Pflegeeltern.
Nach Angaben aus einigen Bezirken werden junge Geflüchtete derzeit seltener in Pflegefamilien untergebracht. Dies liege aber nach Einschätzung der Senatsverwaltung nicht etwa an fehlendem Bedarf, sondern auch daran, dass es einigen Regionalen Sozialen Diensten nicht bekannt sei, dass dies eine in vielen Fällen sehr erfolgreiche Art des Auffangens, der Unterbringung und zugleich der Integration sei. Es fehlte aber auch in der Bevölkerung das Bewusstsein, dass auch für geflüchtete Kinder Pflegeeltern gesucht würden. Viele taten dies in der Vergangenheit auch bewusst gern nur für ein paar Jahre, bis die Eltern auf dem Wege des Familiennachzugs nachkommen. Andere, auch jüngere Kinder, können ihre Familie nie nachholen, und werden dann hier im Heimzusammenhängen groß.
Es gibt Kurzzeitpflege und Dauerpflege
Anders als zumeist bei leiblichen Kindern gibt es aber bei vielen Pflegefamilien laut den Experten einen gewissen Unsicherheitsfaktor beziehungsweise eine Planungsunsicherheit, wie lange das Zusammenleben als Familie andauern wird. Ziel ist bei vielen Pflegekindern das Ziel der Rückführung zu den leiblichen Eltern, wenn diese etwa eine Drogensucht, eine psychische Krankheit oder andere Lebensumstände bewältigt haben, und ihre Tochter oder Sohn wieder bei sich aufnehmen können. Andererseits sollten sich angehende Pflegeeltern in der Zeit der Überprüfung gezielt damit auseinandersetzen, ob sie bewusst Kurzzeitpflege in einer Krisensituation oder lieber Dauerpflege übernehmen wollen. Laut Untersuchungen von Familien für Kinder beträgt der Prozentsatz der Rückführungen bei Pflegekindern, ähnlich wie bei Adoptionseltern, rund drei bis sechs Prozent.
In Berlin leben 2400 Kinder bei Pflegeeltern
Wer Pflegeelternteil wird, lebt durch das Zusammenwirken mit Jugendamt, Pflegekinderdienst, Vormund und leiblichen Eltern als eine Art "öffentliche Familie", sagen Pflegeeltern am Rande der Veranstaltung. Die Schulungen, Beratung und Betreuung empfänden sie aber als große Hilfe. Ende 2018 wurden in Berlin rund 2400 Säuglinge, Kleinkinder, Schulkinder und Pubertierende sowie auch Heranwachsende nach dem 18. Lebensjahr bei einer Pflegemutter, einem Pflegevater oder einer Pflegefamilie groß. Pflegeeltern erhalten von den Jugendämtern als freie Mitarbeiter finanzielle Unterstützung, auch Kindergeld, die Tätigkeit ist aber kein Beruf, und jeder muss unabhängig von Hilfen zur Erziehung sein eigenes Leben finanzieren.
Eine Pflegemutter machte darauf aufmerksam, dass sie es angemessen fände, auch nach ihrer Pflegemuttertätigkeit für mehrere Kinder, wegen derer sie nicht parallel arbeiten gehen kann, später eine Rentenleistung zu bekommen. Dies sei aber leider nicht der Fall. Zudem sollten Ausbildungsvergütungen für das Kind später nicht aufs Pflegegeld angerechnet werden, so könnten die Heranwachsenden nicht miterleben, was es heißt, selbstständig mit eigenem Geld auf eigenen Beinen zu stehen. Bei der Senatsverwaltung wird jetzt allgemein an einer Weiterentwicklung des Pflegekinderwesens gearbeitet. Zwei Drittel aller Pflegekinder werden übrigens in der weiteren Familie groß, ohne finanzielle Zuhilfen eines Amtes. Die Vermittlung laufe auch über Bezirksgrenzen hinweg. Sie sei viel Arbeit und auch anstrengend, denn jedes Kind bringe sein Päckchen mit, aber sei zudem eine Bereicherung fürs Leben.
Auf potenziell unterschiedliche Liebes- und Fürsorgegefühle gegenüber der leiblichen Tochter und dem Pflegesohn angesprochen, sagte ein Pflegevater, "ich würde mich für beide Kinder genauso in die Wellen stürzen".
Kontakt: Familien für Kinder, Telefon 030 210021-0, info@familien-fuer-kinder.de, pflegekinder-berlin.de