Bevölkerungsentwicklung bis 2030: Berlin soll auf 3,71 Millionen Einwohner wachsen
Berlin wächst – das ist klar. Eine neue Studie sagt: auf über 3,7 Millionen Menschen in den nächsten 15 Jahren. Die Kisten packen vor allem junge, gebildete Leute. Und 2030 gibt es einen Geburtenüberschuss – und viele, viele Alte.
Nur solchen Statistiken sei zu trauen, die er selbst gefälscht habe. Das sagte, nein, nicht Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD), sondern, jawohl, Winston Churchill. Vor wenigen Tagen hatte Geisel vor Kaufleuten allerdings mit gewaltigen Wachstumsprognosen für Berlin aufgewartet und vorausgesagt, die Bevölkerung der Hauptstadt werde die magische Schwelle von vier Millionen übersteigen – doch dem widerspricht nun die neueste Studie der Bertelsmann-Stiftung.
Dass das Wachstum Geisel „glücklich“ macht, liegt daran, dass er viel bauen will: Je höher die Prognosen, desto eher sind die Widerstände im Kiez zu überwinden. Zur Ehrenrettung von Geisel: Auch die Bertelsmänner rechnen mit vielen neuen Zuzügen bis zum Jahr 2030, so dass die Bevölkerung auf 3,71 Millionen Einwohner wachsen werde. Und auch der Verfasser der Studie Carsten Große Starmann rät zum Neubau – aber nicht einfach drauf los, sondern vor allem für Menschen mit geringen Einkünften.
Die Bildungswanderer kommen
Denn das feier- und studienwütige Jungvolk ist es vor allem, das Berlins Wachstum antreibt. Sie sind 19 bis 24 Jahre jung und suchen einen Job, einen Studien- oder Ausbildungsplatz – und deshalb kommen sie nach Berlin oder in die anderen deutschen Ballungsgebiete. Die Forscher nennen sie „Bildungswanderer“ aus dem „ländlichen Raum“, die in Berlin (oder auch Hamburg und Bremen) ihre Lehr- und Wanderjahren verbringen. In statistischen Zahlen ausgedrückt sind 76,6 von Tausend Zuwanderer aus dieser Altersgruppe und das ist Große Starmann zufolge „sehr viel“.
Jedenfalls tragen sie außerdem wesentlich dazu bei, dass Berlins Bevölkerung in den kommenden 15 Jahren nicht altert, sondern sich verjüngt. War die Hälfte der Bevölkerung im Jahr 2012 noch 43 Jahre oder älter, sinkt dieser „Median“ auf 42,8 Jahre. Zum Vergleich: In Brandenburg steigt der Median bis 2030 auf 53 Jahre, bundesweit ein Rekordwert.
Hochbetagt mitten in der City
Weil viele Junge kommen, verschwinden die Älteren aber nicht aus der Stadt. Die Zahl der „Hochbetagten“ Berliner im Alter von 80 Jahren oder mehr steigt um drei Viertel: von 137000 im Jahr 2012 auf 241.000 im Jahr 2030. „Das ist der stärkste Anstieg von allen Bundesländern“, sagt Große Starmann. Die Stadt müsse sich auf die Bedürfnisse Hochbetagter einstellen wie zum Beispiel barrierefreie Wohnungen oder Pflegehilfen. Der Regierende Bürgermeister a. D. Klaus Wowereit (SPD) hatte dafür einen Masterplan angekündigt, diesen aber nie vorgelegt. Laut der Studie „Demografie und Mobilität“ von der Technologiestiftung Berlin wird im Jahr 2030 jeder vierte Berliner 60 oder älter sein.
Speck am Gürtel
Nicht nur Berlin wächst, sondern auch das Umland. Und dabei gilt die Regel: Je näher der Landkreis oder die kreisfreie Stadt an Berlin grenzt, desto stärker ist deren Wachstum. Ausnahmen bestätigen die Regel: Straußberg oder Fürstenwalde sagt die Studie ein Verlust an Bevölkerung voraus. Fast schon eine Entvölkerung sei in Schwedt an der Grenze zu Polen oder in Senftenberg zu befürchten. Wer den Einwohnerschwund wenigstens abbremsen will, muss eine Versorgung mit schnellem Internet sicherstellen, um den Zugriff auf Informationen, Marktplätzen und (politischen) Debatten sicher zu stellen.
Dienstleistungen im Bereich der Pflege und Gesundheit müssten erhalten. Und der Aufbau privater Car-Sharing-Angebote mit App-Unterstützung sei wichtig, jedenfalls dort wo der Betrieb öffentlicher Busse nicht mehr rentabel sei.
Wanderung in die Stadt ist kein Trend
Die Städte wachsen, gewiss, aber dass bald fast die komplette Bevölkerung Deutschlands in den Metropolen lebt, dafür sieht Große Starmann keine Anzeichen. „Jedenfalls gibt es dafür kein Muster in den Wanderungsbewegungen“. Natürlich zögen auch „Wohlhabende nach der Erwerbsphase“ etwa nach Berlin, aber ebenso viele ziehen in die Nähe ihrer Kinder aufs Land oder in Kleinstädte.
Das Wachstum der Städte ist vor allem auf die Zuwanderung aus anderen Ländern oder auch von Flüchtlingen zurückzuführen – und eben von jungen Bildungswanderern. Wer dagegen 50 bis über 65 Jahre alt ist, zieht es nicht unbedingt in die Hauptstadt: In diesen Altersgruppen ist das Wanderungssaldo negativ, es ziehen also mehr weg als her.
Potsdam bei Berlin wächst
Berlins Vorstadt und Sitz von Brandenburgs Landesregierung wächst kräftig weiter: Im Jahr 2020 werden mehr als 172.000 Menschen dort leben, 13000 mehr als im Vergleichsjahr 2012 – so die Prognose der Bertelsmann-Stiftung. Bis zum Jahr 2030 sagen die Verfasser einen weiteren Anstieg auf rund 178.000 Bewohner der voraus, was einem Plus von mehr als 11 Prozent sei. Bereits vom Jahr 2002 bis heute war die Stadt um 30.000 auf 165.000 Einwohner gewachsen.
Berlin und der Rest der Republik
Am stärksten wächst die Bevölkerung in Berlin, Hamburg (plus 7,5 Prozent; 1,86 Millionen) folgt an zweiter Stelle und auch Bayern gewinnt, so die Prognose bis 2030. Die Verlierer sind im Osten des Landes: Sachsen-Anhalt büßt 13,6 Prozent seiner Bevölkerung ein, Thüringen fast zehn Prozent (9,9). Der generelle Trend ist: Die Städte gewinnen an Bevölkerung, ländliche Regionen schrumpfen.
Das liegt vor allem an der Zuwanderung, von denen weit überwiegend die Städte profitieren. Denn dort finden die Zuwanderer am ehesten Anschluss an Netzwerke aus ihrem Herkunftsland und einen Job, jedenfalls auf Zeit. Aber trotz wachsender Städte schrumpft die Republik auf 79,97 Millionen Menschen im Jahr 2030, so die Prognose. Dies wäre ein Minus von 0,7 Prozent - oder 500.000 Menschen weniger als heute.
Party-Stadt der Erwerbslosen
Berlin ist ein Jungbrunnen, die Bevölkerung wächst, aber die Beschäftigung nicht. Das Bundesinstitut für Raumforschung hatte in seiner Prognose vom März bei der Zahl der Erwerbspersonen einen Rückgang von fast fünf Prozent vorausgesagt bis zum Jahr 2030. Zum Vergleich: In den Landkreisen rund um München wächst die Zahl der Beschäftigten um 20 Prozent. In der Prignitz geht sie um 40 Prozent zurück.
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