„Wenn ick nüscht sare, schmecktet“: Berlin kürt den Bratwurstmeister
Zum Start der Grillsaison in Berlin steigt die Bratwurstmeisterschaft. Von der Abwesenheit aller Raffinesse bis zur neuen Lust am Ausgefallenen – eine Erkundung.
Die Wahrheit über die Berliner Bratwurst lautet: Es gibt sie eigentlich gar nicht mehr. Wer bei Google sucht, muss geradezu gewaltsam dagegen ankämpfen, sofort auf „Currywurst“ umgeleitet zu werden – der ewige Ketchup hat das Grundprodukt längst zu einem Schattendasein verdammt, so schattig, dass die meisten Esser gar nicht mehr merken, wenn man ihnen statt Fleischbrät Tofu unter die Soße jubelt.
Wer tiefer gräbt, der stößt zumindest auf ein Traditionsgericht mit dem Namen „Stolzer Heinrich“. Es handelt sich um ein vor allem in der Gründerzeit in Berlin und Thüringen populäres Rezept für pfannengebratene Wurst in Biersoße, die mit Honigkuchen abgeschmeckt wurde. Die Herkunft des Namens ist Objekt gewagter Spekulationen, eine besonders abwegige besagt, er spiele auf die wohl säuerliche Miene von König Heinrich bei seinem Gang nach Canossa an. Möglicherweise, weil sie schon damals in Canossa bessere Würste zubereitet haben als in Berlin?
Die tendenzielle Überwürzung dieses Gerichts per Soße deutet schon darauf hin, dass die in Berlin übliche Art der Bratwurst eher neutral angelegt war, die Stadt war arm und ihre Fleischermeister sahen keinen Grund, teure Gewürze zu verschwenden. Nie waren ihre Produkte so subtil und fragil wie die Münchener Weißwurst, nie so würzig, kräftig und kernig wie die Varianten, die in Nürnberg oder Erfurt seit Jahrhunderten zur Tradition gehören.
Stattdessen ist es in Berlin bis heute anlässlich der Currywurst üblich, lange Debatten um die Frage zu führen, ob außen um die Füllung nun ein Darm herumgeschlungen sein muss oder nicht – ein reines Ablenkungsmanöver. Die attraktiveren und praktischeren Schwestern aus dem Wurstkessel, Bock- und Wiener Wurst, mussten solche Zumutungen nie ertragen.
Nichts für Vegetarier und Veganer
Als sicher darf immerhin gelten, dass auch die Bratwurst in ihrer hiesigen Existenz immer von Senf, oder sagen wir lieber: Mostrich, begleitet wurde. Keinem hedonistisch süßen natürlich, wie drunten im Süden, sondern dem nordisch essigsauren, der immer auf der Kante zwischen Geschmacksgeber und Verdauungshelfer balanciert und ebenso wie die Berliner Wurst die Abwesenheit jeglicher Raffinesse geradezu angeberisch zelebriert. Ein solches Gericht hat sich das höchste Berliner Lob für kulinarische Qualität redlich verdient: „Wenn ick nüscht sare, schmecktet.“
Für die Neuzeit müssen wir ohnehin anmerken, dass dem Berliner die neutrale Bratwurst ohne Curry und Ketchup zunehmend Wurst ist. Er schätzt die kernigen süddeutschen Varianten, flirtet mit der spanischen Chorizo und der scharfen französisch-marokkanischen Merguez, zumal, wenn die Grillsaison beginnt. Und wenn ihm jemand Wurst mit asiatischen Würzideen anbietet, lässt er darüber gern mit sich reden – die beste scharfe Thai–Wurst der Stadt gibt es bei „Papaya Royal“ im KaDeWe, die südeuropäischen Sorten sind bei guten Fleischern wie Uwe Bünger oder beim „Delikatessen-Discounter“ in Wilmers- oder Zehlendorf zu haben.
Und damit ist nun auch klar, dass der schon seit 17 Jahren ausgefochtene Kampf um die Berliner Bratwurstmeisterschaft nur deshalb so heißt, weil er in Berlin, genauer: in der Domäne Dahlem stattfindet. Denn wer dort Erfolg haben will, der sollte gar nicht erst versuchen, die Berliner Bratwurst in ihrer traditionellen Neutralität zu transzendieren. Gefragt sind vor allem Varianten der grob gefüllten Thüringer oder Nürnberger – oder eben kreative Eruptionen wie eine Bratwurst mit Meeresalgen und Chili, auch Wurstkompositionen wie „Frutti di Mare“ oder Cognac-Steinpilz wurden dort schon gesichtet und von einer Fachjury und den Besuchern penibel bewertet.
Nur Vegetariern und Veganern sei von einem Besuch abgeraten, denn Veranstalter ist die Berliner Fleischerinnung, die an Varianten aus Tofu oder Tempeh naturgemäß kein Interesse haben kann. Sie feiert mit diesem Ereignis schon durchaus traditionell den Beginn der Grillsaison, die in Berlin längst so wichtig genommen wird wie in Köln der Karneval. Allerdings, wie es mit der Raffinesse nun mal so ist: Auch beim Fest auf der Domäne Dahlem werden viele der ausgeklügelten Neuschöpfungen von den Gästen mit Senf und Ketchup neutralisiert. Man soll die Experimentierfreude ja auch nicht übertreiben.
Berliner Bratwurstmeisterschaft: Sonntag, 7. April, 10 bis 18 Uhr, Domäne Dahlem, Königin-Luise-Straße 49. Eintritt: 3 Euro, ermäßigt 1,50 Euro
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