Kampf gegen Zweckentfremdung von Wohnraum: Berlin in fremden Betten
Wer in Berlin seine Wohnung an Feriengäste vermietet, ist unter Druck. Doch Zimmervermittler wie Airbnb geben den Kampf gegen die Regeln nicht auf.
Zum Beispiel der arbeitslose Architekt mit seiner Freundin und den beiden Kindern: Als der Nachbar auszieht, übernimmt er die Wohnung, schlägt ein Zimmer dem eigenen Reich zu, zieht eine neue Trennwand ein und stellt die verkleinerte Nachbarbude als Ferienwohnung bei Airbnb ein. „Wir leben jetzt mietfrei“, sagt er und grient. Von Verlegenheit keine Spur. Ist ja eine wirtschaftliche Notlage.
Das sehen die Berliner anders und fordern eine härtere Gangart im Kampf gegen Ferienwohnungen. Nach einer repräsentativen Umfrage von Civey für den Tagesspiegel will mehr als die Hälfte aller Berliner, dass die Online-Portale Daten über die Vermieter von Ferienwohnungen an Senat und Bezirke herausgeben. Denn jede Wohnung die an Feriengäste vermietet wird, verschärft die in Berlin ohnehin schon dramatische Wohnungsnot. Mieten und Kaufpreise steigen jedes Jahr um zweistellige Prozentzahlen. Und wie nah den Berlinern die Wohnungsfrage ist, zeigt die Tagesspiegel-Civey-Umfrage auch: Jeder Zweite fordert mehr Investitionen in den Wohnungsbau, in Schulen nur jeder vierte.
Trend zur Zweitwohnung
„Von rund 7800 zweckentfremdeten Wohnungen, die wir dem Markt zurückgeführt haben, waren rund 3900 Ferienwohnungen“, sagt Sebastian Scheel (Linke). Der Staatssekretär der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen ist ein erklärter Gegner dieser Art des Nebenerwerbs und digitaler Vermittler des Vermietungsbusinesses wie Airbnb. „Mit Ferienwohnungen kann man in vier Monaten die reguläre Miete eines ganzen Jahres einnehmen“. In London und Barcelona mieteten deshalb Menschen Zweit-, Dritt- und Viertwohungen, um an deren Vermietung an Feriengäste zu verdienen. So würden immer mehr Wohnungen dem regulären Markt entzogen, das Geschäft treibe die Mieten in die Höhe und verschärfe die Wohnungsnot.
Deshalb hatte der Senat mit Wirkung zum 1. Mai das Gesetz zur Bekämpfung dieser „Zweckentfremdung“ verschärft. Rot-rot-grün will damit vor allem den grauen Wohnungsmarkt austrocknen und Vermieter „sichtbar machen“. Jeder, der seine Wohnung an Feriengäste vermieten will, muss nun beim Bezirksamt eine Genehmigung einholen und sich registrieren lassen. Er bekommt dann eine Nummer und muss Buch führen über seine Ferienwohnung. Nur bei Zweitwohnungen ist eine Vermietung für 90 Tage im Jahr zulässig. Aber auch das muss angezeigt werden.
Nur: Die Rechnung macht der Senat ohne den Wirt und das sind Airbnb und andere digitale Makler von Ferienwohnungen. Scheel verkennt das nicht: „Die bieten Menschen eine Plattform an, auf der sie sich anonym rechtswidrig verhalten können“. Bisher habe Airbnb noch jede Bitte von Senat oder Bezirken abgelehnt, Daten von Vermietern herauszugeben. Dies bestätigte auch eine Umfrage des Tagesspiegels vor zwei Wochen: Airbnb Deutschland verweise auf ihre Zentrale in Dublin und auf die könne man keinen Druck ausüben, wenn sich die Iren auf den Datenschutz berufen, beklagten mehrere Bezirke.
Starke Lobby in Europa
Verwundert rieben sich die Beobachter des Streits deshalb auch die Augen, als Airbnb in einer Presseerklärung Ende April das „neue Home-Sharing-Gesetz“ des Berliner Senats „begrüßte“. Allerdings verlor die Firma kein Wort über die schärferen Strafen bei Zweckentfremdung von Wohnungen und auch nicht über die Pflicht zur Registrierung. Und sie erweckten den Eindruck, sie „arbeiten weltweit mit Städten und Gemeinden zusammen“, auch mit Berlin. Doch das ist vor allem schöner Schein, bei der Europäischen Union bekämpft der Konzern Zweckentfremdungsgesetze und andere Regulierungen der Städte nach allen Regeln der Kunst.
Das zeigt ein Papier der von Airbnb und anderen digitalen Vermieter-Plattformen nach Brüssel entsandten Lobbyisten der „European Holiday Home Association“ (EHHA). Das hatte die EU monatelang unter Verschluss gehalten, was der Kommission harsche Kritik von lobbykritischen Organisationen eintrug. In dem EHHA-Papier lehnen die Vermieter-Plattformen jegliche Verantwortung ab für „illegale Aktivitäten“ von Wohnungseigentümern auf ihren Internet-Seiten. Sogar Hilfestellungen für Behörden wie die Prüfung der eigenen Website auf entsprechende Angebote weisen sie strikt zurück. Dabei berufen sie sich auf die sehr liberalen Regeln für den „E-Commerce“, die allerdings für den Handel von Waren im Internet entwickelt wurden und nicht für die Vermittlung von Dienstleistungen.
„Die Auseinandersetzung ähnelt dem Streit um Fahrdienste wie Uber oder Lyft: Die Frage ist, ob sie einen neutralen Posting-Dienst ohne Verantwortung für die Inhalte betreiben oder nicht“, sagt Ulrich Müller von der Non-Profit-Organisation „Lobbycontrol“. Im Fall des Fahrdienstes Uber habe der Europäische Gerichtshof (Aktenzeichen: C-434/15) Uber als Verkehrsdienstleister eingestuft, der reguliert werden muss wie das Taxi-Gewerbe, dem er Konkurrenz macht. Dazu gehört der Nachweis eines „Personenbeförderungsscheins“ sowie einer Zulassung als Betrieb. Letztlich müsse dieselbe Grundsatzfrage bei den Vermieter-Plattformen geklärt werden und auf europäischer Ebene die kommunalen Regeln für zulässig erklärt werden – dann müssten sich auch Dienste wie Airbnb daran halten.
Es bleibt ein Kompromiss
Für Berlin steht der Kampf gegen die illegalen Ferienwohnungen der Tag der Wahrheit kurz bevor, der 1. August. Dann endet die Übergangsfrist nach Einführung der Zweckentfremdungsnovelle (1. Mai) und jeder, der seine Wohnung auf Airbnb, Wimdu oder anderen Plattformen anbieten will, muss eine Genehmigung eingeholt haben und dies nachweisen können durch seine bezirklichen Registrierungsnummer.
Die muss dann auch bei Airbnb und anderen Vermittlerplattformen angegeben werden. Und die Wohnungsmarktexpertin der Grünen Katrin Schmidberger ruft die Bezirke dazu auf „ernst zu machen“ und die Auseinandersetzung mit Airbnb zu suchen: „Notfalls können sie Strafzahlungen von 500 000 Euro verhängen“. Ziel der Maßnahmen zur Verschärfung des Zweckentfremdungsverbots sei es, „dass alle Anzeigen offline gestellt werden, die keine Registrierungsnummer haben“.
Staatssekretär Scheel will von den Betreibern der Plattformen ermutigende Signale bekommen haben: „Wir greifen nicht auf deren Server zu, dafür verpflichten die sich zur Veröffentlichung der Registrierungsnummer – es ist ein Kompromiss“. Der Vermieter von Ferienwohnungen aber aus der Anonymität holt, weil ausnahmslos jeder eine Nummer braucht.
So sei gewährleistet, „dass dem Geschäftsmodell Ferienwohnungen die Grundlage entzogen wird.“ Wer dagegen im Urlaub oder wegen eine Jobs außerhalb seinen Lebensmittelpunkt, die eigene Wohnung, zeitweilig mal verlässt, soll diese auch künftig vermieten können.
Wohnen hat Vorrang
„Wenn es nicht kontrolliert und durchgesetzt wird, dann bringt auch das neue Gesetz nichts“, sagt der Chef des Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga) Thomas Lengfelder. Drei Millionen Übernachtungen in Ferienwohnungen gebe es jährlich, vollkommen unkontrolliert. Das seien rund 10 Prozent aller Übernachtungen in Berlin. Dem Land komme das teuer zu stehen: Einbußen bei Mehrwertsteuer, Gewerbesteuer, Körperschaftssteuer, City-Tax. „Hinzu kommen noch die Sicherheitsrisiken bei nicht genehmigten und nicht kontrollierten Ferienwohnungen“.
Der Widerstand gegen das Gesetz ist allerdings ungebrochen. Es geht um Existenzen. Die Anbieter, die sich beispielsweise im „Interessenverein der Berliner Privatvermieter“ organisieren, wollen das Verbot gewerblich betriebener Ferienwohnungen nicht hinnehmen. Ihre Klage liegt inzwischen dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vor. Sie fordern einen „zeitlich unbegrenzten Bestandsschutz von legalen Gästewohnungen nach Registrierung“.
Dass der Senat mit seiner Regulierung die wirtschaftliche Existenzen der Betreiber zerstört, ist Scheel bewusst. Aber er sagt, das Zweckentfremdungsgesetz gebe es seit 2014. „Die hatten vier Jahre Zeit, ein anderes Geschäftsmodell zu suchen“. Die Not der Berliner auf Wohnungssuche wiege schwerer.