Das erste deutsche "Großklinikum": Berlin feiert 50 Jahre Klinikum Steglitz
Nächstes Jahr soll es ein großes Fest zum Jubiläum geben. Die Charité ruft Berliner zum Erzählen ihrer persönlichen Erinnerungen auf.
Zwischen Schlosspark Lichterfelde, Hindenburgdamm, Klingsorstraße, Bäkepark und Teltowkanal steht seit fast 50 Jahren das Klinikum Steglitz. Es wurde auf historischem Boden gebaut, in einem Urstromtal im einstigen Flusstal der Bäke, wo Archäologen 1961 Reste eines slawischen Dorfes entdeckten. Seit 2003 gehört das Klinikum zur Charité und heißt offiziell: Campus Benjamin Franklin.
Was zunächst als Bezirkskrankenhaus für Steglitz angedacht war, wurde Ende der 1960er Jahre ein Vorzeigeprojekt - seinerzeit einzigartig in Deutschland und in Europa. Im nächsten Jahr wird das Klinikum Steglitz nun 50 Jahre alt. In Vorbereitung auf das Jubiläum fand kürzlich ein Auftakt-Workshop statt.
Ein Haus voller Geschichten
Denn die Charité möchte gemeinsam mit dem Bezirk und der Freien Universität Berlin (FU) dieses Jubiläum feiern. Geplant sind unter anderem Ausstellungen, Publikationen, eine Vortragsreihe und Zeitzeugengespräche. „Wir wollen so viele Menschen wie möglich erreichen, die etwas mit dem Klinikum zu tun haben“, erklärte Doktor Andreas Jüttemann, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Geschichte der Medizin und Ethik in der Medizin der Charité.
Gemeint sind etwa Menschen, die hier arbeiten, studieren oder in den 1960er Jahren am Bau mitgewirkt haben, jene, die in der Nähe wohnen oder die hier Patienten waren. Wer einen persönlichen Bezug zum Klinikum Steglitz hat und seine Geschichte erzählen möchte, kann sich bei Andreas Jüttemann (andreas.juettemann@charite.de) melden. Denn er findet: „Das Jubiläum soll nicht nur ein Fest der Chefs, Oberärzte und Politiker werden.“
Dass die Menschen hier Kontakt zueinander finden - etwa Medizinstudenten zu Mitarbeitern und Patienten – gehört sowieso zur Grundidee des Hauses. Forschung, Lehre und Praxis sollten in einem kompakten Krankenhaus zu einem „arbeitenden Organismus“, wie es damals genannt wurde, zusammengefasst werden. Alles unter einem Dach: das war seinerzeit neu in der deutschen Krankenhausplanung.
Mit amerikanischer Unterstützung
Der Anlass für ein solches Projekt war unter anderem, dass die FU seit ihrer Gründung 1948 für die medizinische Ausbildung auf Provisorien in weit auseinander gelegenen Krankenhäusern der westlichen Stadtbezirke angewiesen war. Und es zeichnete sich ab, dass diese Einrichtungen auf Dauer nicht ausreichen würden. „Von einem zentralen Klinikum konnte man jedoch anfangs nur träumen“, sagte Professor Doktor Thomas Beddies in seinem Vortrag.
Ende der 1950er Jahre habe sich das Gesundheitssystem der zwei politischen Systeme in Ost- und West-Berlin endgültig auseinander entwickelt. Weil Steglitz mit Krankenhäusern unterversorgt war, entstand hier die Idee für den Neubau. Im Frühjahr 1958 ersuchte der Regierende Bürgermeister Willy Brandt (SPD) während eines Amerika-Besuchs die US-Regierung, zu erwägen, „ob es wünschenswert sei, in Berlin ein Krankenhaus zu bauen, als weiteren Beweis des amerikanischen Interesses an der Zukunft der Stadt.“
Fortan unterstützte die amerikanische Benjamin-Franklin-Stiftung das Vorhaben - später Bauherrin des Projektes. Die Planer und Architekten übernahmen eine Reihe neuer Ideen; etwa aus den USA, Skandinavien und der Schweiz. Vorbild war dabei das so genannte Departmentsystem mit kurzen Wegen, einer intensiven Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Kliniken und flachen Hierarchien.
So entstand das erste deutsche „Großklinikum“ mit einer Fläche von 160.000 Quadratmetern, 1.238 Betten, verteilt auf 40 Pflegeeinheiten und sieben Spezialabteilungen; konzipiert für die Aufnahme von 35.000 Patienten pro Jahr.
Die Fassade bröckelt
Grundsteinlegung war im Oktober 1959, Richtfest im Juni 1964. Die Einweihung wurde am 9. Oktober 1968 gefeiert, „drei Jahre später als ursprünglich geplant“, weiß Christoph Decker, Leitender Baudirektor im Ruhestand. In seinem Vortrag über die Architektur und Baugeschichte beschrieb er insbesondere bauliche Details des Gebäudekomplexes.
Alles wurde in einer sogenannten Stahlskelettbauweise errichtet, mit insgesamt 115.000 Kubikmetern Beton, 8.700 Tonnen Stahl und 3,5 Millionen Ziegelsteinen. Es entstanden 4.780 Räume mit 7.190 Türen und 8.301 Fenstern. Die Gesamtkosten lagen bei 302,5 Millionen DM. Finanziell unterstützt wurde das Bauvorhaben von der Benjamin-Franklin-Stiftung, dem Bundeswissenschaftsministerium und dem Bundesschatzministerium (heute Finanzministerium).
Was an der Gebäudefassade sofort ins Auge fällt: der sogenannte Screen, ein Geflecht - Maßwerk genannt - aus feingliedrigen Betonteilen, gedacht als Sonnenschutz und zugleich als Gestaltungselement. „Es soll die formale Darstellung einer Wirbelsäule erkennen lassen“, schilderte Christoph Decker. Die etwa 10.000 Quadratmeter große Fassadenfläche werde von 236.320 solcher Spitzen bedeckt, 23.619 davon seien heute beschädigt. „Das ist zwar weniger als bisher befürchtet, für die Fassadensanierung werden aber immerhin rund 60 Millionen Euro benötigt“, sagte er.
Und nicht nur dort. Als Bauwerk ist das Klinikum Steglitz inzwischen „in die Jahre“ gekommen. Immer wieder gab es materielle, betriebliche und strukturelle Änderungen. Die Sanierung solcher Bauten, wenn die Materialität und äußere Erscheinung erhalten bleiben soll, ist nach seiner Erfahrung eine große Herausforderung.
Für die Instandhaltung des Klinikums würden pro Jahr circa 34 Millionen Euro benötigt. 2012 sei der gesamte Komplex unter Denkmalschutz gestellt worden. „Und eines ist hier wie beim Kölner Dom sicher“, ergänzte er zum Schluss: „es wird immer gebaut.“