Sportgeschichte: Berlin, deine Fußballstadien
Früher waren es moderne Arenen, heute sind es Ruinen, für deren Sanierung das Geld fehlt – ein Rundgang über Berlins verfallene Fußballplätze
Die Bauarbeiten im Olympiastadion werden im Sommer 2004 beendet sein. Und jetzt fordert auch der 1. FC Union, dass das Stadion an der Alten Försterei in Köpenick modernisiert wird. Der Klub aus der Zweiten Fußball-Bundesliga hat damit eine heikle Diskussion eröffnet. Denn in Berlin gibt es mehr große renovierungsbedürftige Fußballstadien als in jeder anderen Stadt im Lande. Doch die öffentlichen Kassen sind leer, fast alle großen Stadien in Berlin sind baufällig. Ein Rundgang durch einige von Berlins fast schon vergessenen Fußballstadien und an Plätze, wo früher einmal gekickt wurde:
Poststadion
Das Schild „Poststadion“ an der Lehrter Straße hängt schief. So schief, als würde es am liebsten herunterfallen. Oder am liebsten nicht zu dem gehören, was sich wenige Meter dahinter präsentiert: Gerümpel, Sandhaufen, lose Steinplatten, verfallene Tribünen. Immerhin – es wird momentan gearbeitet. Allerdings nicht auf dem Rasen oder den Rängen. Es wird eine Tartanbahn verlegt.
Es war ein weiter Weg vom modernsten Stadion der Reichshauptstadt bis zu Deutschlands größter Stadionruine. Hier, in Tiergarten, fanden einst 55 000 Zuschauer Platz. Während der Olympischen Spiele 1936 kickte die Nationalmannschaft im Poststadion. Später gastierten Tennis Borussia, Hertha BSC und Wacker 04 an der Lehrter Straße. Im Krieg wurde das Stadion schwer beschädigt, beim Wiederaufbau und Umbau die Kapazität auf 60 000 Besucher erhöht. Doch als der Zweitligist Wacker 04 das Poststadion in den Siebzigerjahren verließ, nahm der Verfall seinen Lauf.
An Bemühungen, die Arena zu neuem Leben zu erwecken, fehlte es nicht. Vor rund 25 Jahren waren vom Senat 31 Millionen Mark bewilligt worden. Doch der Bezirk pochte auf Denkmalschutz und wollte 1650 zusätzliche Parkplätze. Die Baupläne verschwanden in der Schublade. Bis 1991. Für jenes Jahr setzte der Senat den Baubeginn fest, 78 Millionen Mark sollte das reine Fußballstadion kosten. Es wurde nichts daraus. 1990 wurde das Poststadion vom Deutschen Fußball-Bund für Zweitliga-Spiele gesperrt.
Heute ist auch das Tribünengebäude wegen Einsturzgefahr baupolizeilich gesperrt. Auf den Rängen wächst das Unkraut meterhoch, die Holzbänke sind marode. So manches Mal wird noch Fußball gespielt, vom FC Tiergarten und BSV Mitte. Alter Glanz wird die Arena nicht mehr umwehen. Da lässt der Bezirk keine Zweifel aufkommen, dort heißt es: „Wer braucht denn in Berlin eine Sportstätte für 40 000 Zuschauer?“
Wilmersdorfer Stadion
An der Stadtautobahn, kurz vor dem Kraftwerk Wilmersdorf mit seinen drei silbernen Schornsteinen, wird es auf den Sportplätzen hinter der Böschung nur im Winter laut. Immer dann, wenn auf der Eislaufbahn in Wilmersdorf Betrieb ist. Aber im Sommer, da ist es still auf dem Gelände. Das Fußballstadion Wilmersdorf liegt nebenan, wenige Meter neben der Eisbahn. Es ist das drittgrößte Stadion Berlins, 38 000 Menschen würden auf die Tribünen passen – mehr als doppelt so viele wie beim 1. FC Union. Aber wer soll schon in Wilmersdorf vor vielen Zuschauern spielen? Ende der Achtzigerjahre hat der Bezirk eine Turnhalle neben dem Stadion gebaut und eine Tribüne gleich mit. Moderne Sitzplätze haben sie dort, ein Dach, doch auf den Tribünen in der Kurve rankt der Wein entlang, er wird nach der Ernte als „Wilmersdorfer Rheingauperle“ abgefüllt. Dort, wo kein Wein heranwächst, hat der Bezirk vor der Natur kapituliert. Die Tribünen werden „renaturiert“. Das Stadion Wilmersdorf ist ein Stadion, das niemand braucht – dabei wurde es erst vor 50 Jahren gebaut.
Mommsenstadion
Die Flutlichtanlage des Mommsenstadions genügt professionellen Ansprüchen, die Anzeigentafel auch. Der Haken an der Sache ist, dass ein Fußballklub fehlt, der annähernd diese Investitionen rechtfertigt. Tennis Borussia kickt in der Viertklassigkeit vor wenigen Fans und die Leichtathleten vom SCC, die brauchen zwar eine Tartanbahn, gute Kabinen, aber sonst? 18 000 Zuschauer fasst das Stadion. Früher, nach der Eröffnung 1930, hatte es sogar mal für 36 000 Platz.
Jahnstadion
Das Stadion an der Cantianstraße war das Prestigeobjekt der DDR, und die investierte bis 1989 kräftig. Komfortabler Vip-Bereich, Tribünen mit knallbunten Sitzschalen und eine hochmoderne Flutlichtanlage, die früher im Westteil nebenan immer dann deutlich zu sehen war, wenn der BFC Dynamo im Europapokal spielte, der Lieblingsklub von Stasi-Chef Erich Mielke. Als die Wende kam, und das letzte Pokalendspiel zwischen Hansa Rostock und Eisenhüttenstadt abgepfiffen war, verkam das Stadion. Zwar spielte Hertha Anfang der Neunzigerjahre für einige Zweitligaspiele dort, kehrte aber ins Olympiastadion zurück. Auch die Footballer von Berlin Thunder spielen nicht mehr im Jahnstadion.
Spandaus Stadien
Dort, wo der Spandauer SV in den Siebzigerjahren einst in der Zweiten Liga kickte, an der Neuendorfer Straße 18, stehen heute Wohnhäuser. In das reine Fußballstadion passten einmal 12 000 Fans. Zum 100-jährigen Jubiläum des Klubs kam Bayer Leverkusen an die Neuendorfer Straße. Ende der Neunzigerjahre spielte der SSV in der Regionalliga beim Ortsrivalen SBC am Ziegelhof (3000 Plätze). Modernisiert wurde zuletzt das Helmut-Schleusener-Stadion am Askanierring. Doch die Holzbaracken vermodern, und auf den Tribünen für einst 14 000 Zuschauer sitzen heute nur noch ein paar Jugendliche, die sich vom Schulsport erholen.
Stadion der Weltjugend
„Bau auf, Bau auf – Freie Deutsche Jugend, Bau auf!“ Im April 1949 wurde im Sowjetischen Sektor der Stadt der „unverzügliche Ausbau“ des Stadions Mitte beschlossen. Ein Jahr später sollte dort das FDJ-Deutschlandtreffen stattfinden. Ein Stadion für 70 000 Zuschauer wurde in nur vier Monaten errichtet, damals hieß es „Walter-Ulbricht-Stadion“, von dem Namen trennte man sich dann in den Siebzigerjahren. Ulbricht war bei den DDR–Oberen in Ungnade gefallen. Mit dem Stadion ging es bergab: Als im April 1989 der BFC Dynamo im Finale des FDGB-Pokals antrat, kamen noch 35 000 Fans. Danach wurde das Stadion abgerissen. Auf dem Areal sollte eine Halle gebaut werden – für die Olympischen Spiele 2000, die dann aber nicht an Berlin vergeben wurde. Der Abriss war ein teurer Spaß, kostete 16 Millionen Euro. „Hektikbedingt etwas viel“, hieß es damals beim Senat. Immerhin, seit 1996 wird an der Chausseestraße Golf gespielt.
Der Hertha-Platz an der Plumpe
Mitten im Kiez, an der Grenze zwischen Wedding und Prenzlauer Berg. Kaum zu glauben, dass hier einst Berlins beste Fußballmannschaft spielte. Hertha BSC zog 1963 nach der Gründung der Bundesliga ins Olympiastadion um. Zehn Jahre später verkaufte der in wirtschaftliche Turbulenzen geratene Klub das Stadion für umgerechnet 3,5 Millionen Euro an den Senat. Der widmete das Gelände in Bauland um, ließ das Stadion abreißen und Wohnhäuser errichten. 35 000 Berliner fanden an der Plumpe Platz, eine kleine Holztribüne stand auf der einen Seite, die im Krieg abfackelte. „200 Bombentreffer hatte das Spielfeld aufzuweisen“, steht in der Hertha-Chronik, „Tellerminen lagen herum, tote Soldaten brachten wir hinter die Tribüne“. Der Wedding war die Heimat von Hertha BSC, das „Domizil“ das legendäre Klubhaus. Auch das verfällt heute an der Behmstraße.
Sportforum Hohenschönhausen
Der BFC Dynamo kickte dort während des Umbaus im Jahnsportpark im Europapokal gegen den FC Liverpool. Die Spieler zogen sich nebenan in einem Bürogebäude um, die Fans standen auf den Schottertribünen. Seitdem der BFC nur knapp der Insolvenz entgangen ist, denkt niemand mehr daran, das Stadion umzubauen: Dynamos ehemaliger Manager Hans Reker kam mal auf die schräge Idee, mit seinem BFC in die 2. Bundesliga aufzusteigen und das Stadion komplett zu überdachen. Geblieben sind aus diesen Tagen nur die hübschen Blumenkästen auf der Tribüne.
Verschiedene Angaben wurden dem „Großen Buch der deutschen Fußballstadien“ von Werner Skrentny entnommen. Es ist erschienen im Verlag „Die Werkstatt“.
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