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Volle Klasse! Nicht nur Lehrer, Sozialpädagogen und Erzieher werden angesichts des Schülerzuwachses künftig verstärkt benötigt, sondern auch Lesepaten wie hier an der Wedding Grundschule, wo die Ehrenamtlichen seit Jahren im Einsatz sind.
© Doris Spiekermann-Klaas
Update

Bevölkerungsprognose: Berlin braucht Schulen und Altenheime

Die neue Bevölkerungsprognose zeigt: Besonders der Anteil der Kinder und Senioren wächst, einige Bezirke stellt dies vor große Probleme. Der Senat will vor allem im Bereich Wohnungsbau aktiv werden.

Berlin wird im Jahr 2030 etwa 3,8 Millionen Einwohner haben. Das entspricht einem Zuwachs von sieben Prozent oder rund 250 000 Menschen, wie Stadtentwicklungssenator Michael Müller (SPD) am Dienstag bei der Vorstellung der neuen Bevölkerungsprognose sagte. Die Prognose schreibe eine „mittlere Entwicklung“ fort, sagte Müller. „Auch das ist immerhin die Größe eines Berliner Bezirks.“ Der Prognose zufolge wird die Bevölkerung Berlins stärker wachsen als die Hamburgs oder Kölns. In Hamburg wird mit einem Plus von unter fünf Prozent bis 2030 gerechnet, in Köln nur mit einer minimal zunehmenden Bevölkerungszahl. In München rechnet man mit einem zehnprozentigen Zugewinn.

Müller hob hervor, dass in Zukunft junge Leute, die zur Ausbildung in die Stadt kämen, hier auch Arbeit finden könnten. Deshalb solle zum Beispiel auf dem Flughafen Tempelhof ein Wissenschafts- und Industriepark entstehen.

Berlin muss nicht nur Wohnungen, sondern auch Schulen und vor allem Altenheime bauen, um mit der Bevölkerungsentwicklung Schritt halten zu können. Nach den am Dienstag vorgestellten Prognosen der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung steigt die Zahl der Schüler bis 2030 um rund 64 000 und nähert sich erstmals wieder dem Nachwendeniveau von rund 400 000 Schülern. Etliche der rund 250 still gelegten Schulen müssen erneut in Betrieb genommen werden.

Am stärksten von dieser Entwicklung betroffen ist Pankow. Sein Bevölkerungszuwachs liegt mit über 16 Prozent mehr als doppelt so hoch wie in der gesamten Stadt und weit vor Kreuzberg-Friedrichshain, das mit 8,6 Prozent die zweithöchste Zuwachsquote rechnete Pankow mit einem Plus von zwölf Prozent.

Da der Bezirk besonders für junge Familien attraktiv ist, geht Bildungsstadträtin Lioba Zürn-Kasztantowicz (SPD) davon aus, dass sie pro Jahr im Schnitt eine neue Schule braucht. „Es läuft völlig aus dem Ruder“, beschreibt die Stadträtin die Entwicklung. Ohne Anbauten oder Provisorien sei nichts zu machen, nachdem alle alten Standorte bereits in der letzten Legislaturperiode erneut „ans Netz“ gegangen seien. Die Situation sei so brisant, dass sogar die Zeit für Neubauvorhaben fehlt: „Das dauert zu lange“, so die Bezirkspolitikerin.

Schwierig wird es auch für Marzahn-Hellersdorf. Hier war die Schülerzahl nach der Wende um rund 40 Prozent zurückgegangen. Dieser Trend hat sich längst verkehrt. „Wir haben bereits seit drei Jahren erkannt, dass eine Kombination aus stark steigenden Geburtenzahlen und erheblichen Zuzügen zu einem dramatischen Anstieg führt“, berichtet Bürgermeister Stefan Komoß (SPD). Allein in den letzten vier Jahren seien rund 30 Prozent hinzugekommen. „Erhebliche“ Investitionen des Bezirks und des Landes seien auf den Weg gebracht, darunter zwei neue Schulen und mehrere Ergänzungsbauten. Zudem wurde die Wiederinbetriebnahme zuvor geschlossener Standorte beschlossen. Das führt beispielsweise dazu, dass das Gebäude der ehemaligen Felix-Wankel-Hauptschule jetzt der Wilhelm-Busch–Grundschule zugeschlagen wird.

"Berlin wird Europas lebenswerteste Metropole sein."

Selbst Reinickendorf kommt trotz des berlinweit geringsten Wachstums von zwei Prozent nicht mit den vorhandenen Schulbauten aus. „Im Märkischen Viertel und Reinickendorf Ost wird es eng“, sagt Bildungsstadträtin Katrin Schultze-Berndt (CDU). Anbauten würden unter Umständen nicht reichen, zumal sehr große Grundschulen nicht erstrebenswert seien. Weniger Sorgen machen muss sich der Kita-Bereich, denn die Altersgruppe der Kinder unter sechs Jahre bleibt laut Senatsprognose mit 200 000 Jungen und Mädchen ungefähr konstant.

Großen Handlungsbedarf gibt es hingegen bei den Senioren. Ihre Zahl steigt um 193000 auf 857000 an, wenn sich die Prognosen bewahrheiten. Besonders drastisch ist die Veränderung bei den über 80-Jährigen: Von ihnen wird es rund 267 000 geben, was einem Plus von 80 Prozent entspricht. „Der demografische Wandel stellt die gesundheitliche und pflegerische Versorgung in den nächsten Jahren und Jahrzehnten vor große Herausforderungen“, sagt Sozialsenator Mario Czaja (CDU). Sowohl in der Krankenhausplanung als auch in der Verteilung der Fach- und Hausärzte werde man dies berücksichtigen. Im stationären Bereich seien aber bereits die Voraussetzungen für mehr geriatrische Betten geschaffen.

Zurzeit gelten in Berlin 107 000 Berliner als pflegebedürftig. Von ihnen sind laut Sozialverwaltung 80 Prozent 65 Jahre und älter. Jeder dritte sei sogar älter als 85 Jahre. Noch seien die Pflegeheime aber nicht ganz ausgelastet. Falls es zu einem Bettenmangel komme, müssten die freien Träger über mögliche Neubauten entscheiden.

Der Bezirksbürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg Franz Schulz (Grüne) nannte die Wohnungspolitik des Senats „zögerlich“ angesichts der dramatisch steigenden Zahl der Haushalte in der Stadt. Schulz will den zusätzlichen Druck auf dem Markt durch den Neubau von Wohnungen entlasten. In den kommenden drei bis vier Jahren entstünden rund 3000 Wohnungen in dem Bezirk. Schulz will die Investoren dazu drängen, einen Teil der neuen Wohnungen zu günstigen Preisen für Haushalte mit kleinen Einkommen anzubieten.

Dasselbe Ziel verfolgt die Senatsbauverwaltung, die eine neue Förderung des Wohnungsbau anbieten möchte. Die Auseinandersetzung um die Bereitstellung billigen landeseigenen Baulandes für günstigen Wohnraum ist Stadtentwicklungssenator Michael Müller (SPD) zufolge beigelegt. Senatspolitik sei „ganz klar“, dass vorrangig das „Potenzial“ landeseigener Grundstücke für den Wohnungsbau geprüft werden müsse, bevor diese zum höchsten Preis verkauft werden. Sollte es bei der Prüfung zu einem Konflikt zwischen Müller und Finanzsenator Ulrich Nußbaum kommen, wird laut Senatssprecher Richard Meng der Regierende Bürgermeister vermitteln.

Der Trend weg vom motorisieren Verkehr werde sich fortsetzen, sagte Müller. Und immerhin sei Berlin gerade für seine Behindertenfreundlichkeit ausgezeichnet worden. Die Stadt werde auch 2030 einen „hervorragend“ ausgebauten öffentlichen Nahverkehr und „riesige Grünflächen“ in ihrer Mitte aufweisen. Müller glaubt: „Berlin wird Europas lebenswerteste Metropole sein.“

Ralf Schönball, Susanne Vieth-Entus

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