Anti-Schah-Proteste am 2. Juni 1967: Berlin braucht einen Platz für Benno Ohnesorg
Vor fast 50 Jahren starb der Student Benno Ohnesorg nahe der Deutschen Oper durch eine Polizeikugel. Mit einer angemessenen Ehrung tut sich die Stadt schwer. Ein Plädoyer.
"Misstraut den Grünanlagen!", hat der Ost-Berliner Schriftsteller Heinz Knobloch einst geschrieben. Er meinte die Brachflächen in der Stadtlandschaft, auf denen Synagogen und jüdische Einrichtungen standen, bis sie von den Nazis in Brand gesteckt und zerstört wurden. Aus dem Stadtbild getilgt – und oft genug aus der Erinnerung. Misstraut auch den Hausnummern, könnte man hinzufügen. Auch heute werden Orte der Geschichte zuweilen getilgt. Das betrifft etwa das Haus Krumme Straße 66. Die Hausnummer gibt es nicht mehr, stattdessen hat das Eckhaus nun die Adresse Schillerstraße 29.
Unter dem Wohnhaus, das von den Betonpfeilern aufgestelzt wird, befindet sich ein Parkplatz. Einige Autos stehen hier, zur Straße abgegrenzt von einem halbhohen Metallzaun. Die restliche Hoffläche ist mit Lochsteinen gepflastert, aus denen schütteres Gras sprießt. Auch vor 50 Jahren standen hier schon Autos, damals ein grüner VW-Käfer und ein beigefarbener Opel Kadett.
Proteste statt Zauberflöte beim Schahbesuch
In der Nacht vor bald 50 Jahren drängten sich viele Menschen auf dem Hof des Wohnhauses in der Krummen Straße 66. Viele von ihnen hatten sich hierher geflüchtet, um den Schlägen der Polizei zu entkommen, und merkten zu spät, dass dieser Ort kein Ausweg war, sondern sie in der Falle saßen. Knapp 100 Meter entfernt, vor der Deutschen Oper, hatten sie am Abend gegen den Schah von Persien und seine Frau Farah Diba protestiert. Dem iranischen Despoten war vor dem Besuch der „Zauberflöte“ lautstarker Protest entgegengeschlagen.
Als sich in der Oper der Vorhang hob, begann davor ein in dieser Brutalität bislang unvorstellbarer Polizeieinsatz. Rund 30 Minuten später war der friedlich demonstrierende Student und werdende Vater Benno Ohnesorg tot – erschossen von einem Zivilpolizisten. Das Foto, das den tödlich getroffenen Benno Ohnesorg am Boden zeigt, neben ihm eine junge Frau, die den blutenden Kopf des 26-jährigen Studenten stützt, gehört zur kollektiven Erinnerung der Republik.
Zäsur in der deutschen Nachkriegsgeschichte
Der 2. Juni 1967 war eine Zäsur in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Die Schüsse in jener Nacht waren wie ein Brandbeschleuniger für die Studentenbewegung; was als friedlicher Protest gegen die verknöcherte Strukturen der Adenauer-Republik, die verdrängte Nazi-Aufarbeitung und den Vietnam-Krieg begonnen hatte, radikalisierte sich fortan.
Das Trauma jener Nacht hat Berlin immer wieder beschäftigt. Erst durch das jahrelange juristische Ringen um die Verantwortung für die Schüsse, die der Zivilpolizist Karl-Heinz Kurras abgegeben hatte – unbedrängt und höchstwahrscheinlich gezielt. Am Ende stand ein fragwürdiger Freispruch. Dazu kam das weitgehend ergebnislose parlamentarische Bemühen, die politische Verantwortung für den fatalen Polizeieinsatz zu klären. Wenige Monate später trat der Regierende Bürgermeister Heinrich Albertz (SPD) zurück, der in jener Nacht mit dem Schah von Persien in der Oper saß, während davor die Staatsgewalt sich austobte. „Ich war am schwächsten, als ich am härtesten war“, bekannte sich der ehemalige Pastor ausdrücklich zu seinem Fehler in jener Nacht des 2. Juni.
Todesschütze war ein Agent der Stasi
Die Gewalt vor der Oper war für einen Teil der Studentenbewegung das Signal, dass dieser Staat mit Gewalt zu bekämpfen sei. Die „Bewegung 2. Juni“, die unter anderem den Berliner CDU-Chef Peter Lorenz entführte und damit inhaftierte Genossen freipresste, bezog sich dabei direkt auf das Schicksalsdatum. Letztmalig erschütterte das Geschehen am 2. Juni die Öffentlichkeit, als 2009 bekannt wurde, dass der Todesschütze Kurras ein Agent der DDR-Staatssicherheit war.
Vor dem Haus Krumme Straße 66, das es im Stadtplan nicht mehr gibt, steht seit 2008 eine Infotafel. Eine Straße oder einen Platz, der den Namen von Benno Ohnesorg trägt, gibt es 50 Jahre danach nicht. Ein solcher aber wäre längst fällig. Aber welcher Ort wäre geeignet?
Bislang gibt es nur eine Stele zum Gedenken an Ohnesorg
Das Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf hat sich über die Jahre wenig für eine Ehrung Benno Ohnesorgs durch die Verankerung im Stadtplan engagiert. „Wir müssen dringend an das Thema ran“, betont nun der Stadtrat für Stadtentwicklung, Bauen und Umwelt, Oliver Schruoffeneger. Der Grüne ist freilich erst fünf Monate im Amt. Derzeit fallen dem Bezirk schon kleine Schritte schwer. Das bezirkliche Kunstamt sollte eigentlich zur Erinnerung an das Ereignis vor 50 Jahren die Infostele vor dem Haus Krumme Straße 66 aufwerten – dazu ist es aber nicht gekommen. Das Thema war wohl doch nicht so wichtig. Nun ist das Vorhaben auf 2018 verschoben.
Dort, wo alles begann, vor der Waschbeton-Fassade der Oper, flattern die gelben Fahnen im steifen Wind. Die Freifläche zwischen Bauwerk und U-Bahn-Eingang wird aufgelockert durch hohe Betonkübel mit in Form geschnittenem Grün. Benannt ist die Fläche nach Götz Friedrich, dem legendären Generalintendanten der Oper. Direkt am U-Bahn-Eingang erinnert seit 1990 ein zwei Meter hohes Mahnmal an Benno Ohnesorg. Die metallene Relief, geschaffen schon 1971 von Alfred Hrdlicka, zeigt prügelnde Polizisten und ihr wehrloses Opfer. Die Berliner Polizei ehrte Ohnesorg am 2. Juni 2007 erstmals bei einer Gedenkfeier an der Deutschen Oper mit einem Kranz.
Die Mehrheit der Bezirksverordneten von Charlottenburg-Wilmersdorf forderte das Bezirksamt 2007 auf, den Platz nach Benno Ohnesorg zu benennen. Der damalige CDU-Baustadtrat Klaus-Dieter Gröhler verweigerte dies zusammen mit dem Stiftungsrat der Oper, die Eigentümerin des Platzes ist. Seitdem gab es keine derartige Initiative mehr.
Einen Block entfernt vom Haus, wo die tödlichen Schüsse fielen, liegt der repräsentative Karl-August-Platz. Dominiert wird der Ort, an dem Mittwoch und Sonnabend ein Wochenmarkt stattfindet, von der Trinitatis-Kirche mit dem mächtigen Turm. Seit 1897 heißt der Platz nach dem Großherzog Karl-August von Sachsen-Weimar-Eisenach. Der vertrat einen aufgeklärten Absolutismus und machte Weimar zum kulturellen Zentrum Deutschlands, weil er Goethe, Schiller oder Hegel an seinen Hof lockte. Einen Bezug zu Berlin hat der Großherzog nicht.
Ohnesorg statt Shakespeare wäre wohl möglich
Zweifelsfrei am besten geeignet für eine Umbenennung – und am leichtesten zu bewerkstelligen – wäre der Ort gegenüber der Oper. Hier liegt der Shakespeare-Platz – offiziell hat die Parkanlage den Rechtscharakter einer „Privatstraße des öffentlichen Verkehrs“. Hinter einer Marmor-Stele mit der Bronze-Büste des genialen Stückeschreibers liegt eine geometrisch angelegte Grünanlage mit Rosenbeeten. Insgesamt 24 Bänke stehen vor den gestutzten Hecken – beim Besuch des Platzes sind sie allesamt leer. Die Büste ist ein Geschenk der City of London, mit der Berlin eine Städtepartnerschaft verbindet, zur 750-Jahr-Feier der damals noch geteilten Stadt 1987. Ein inhaltlicher Bezug zur gegenüberliegenden Oper ist zwar vorhanden. Aus dem Stoff etlicher Shakespeare-Schauspiele haben immerhin bedeutende Komponisten, etwa Giuseppe Verdi, erfolgreiche Opern komponiert. Die Büste aber könnte genauso gut an anderer Stelle in örtlicher Nähe zur Oper stehen. Der Aufstellungsort war auch 1987 erkennbar ein Notbehelf, um die Londoner Stadtverwaltung nicht zu verärgern. Es wäre ein leichtes, die Büste auf den weitläufig-leeren Götz-Friedrich-Platz zu versetzen.
Und die Umbenennung der Krumme Straße nach Benno Ohnesorg? Auch das steht derzeit nicht auf der Tagesordnung. Wohl auch, weil Straßenumbenennungen in Berlin grundsätzlich ein heikles Thema sind. Am leichtesten sind diese zu bewerkstelligen, wenn der bisherige Name historisch negativ belastet ist. Das kann man für die sehr lange Krumme Straße, die schon seit 1824 aufgrund des gebogenen Verlaufs der Straße so heißt, nicht ins Feld führen. Deswegen hätten Klagen von Anwohnern gegen eine Ohnesorg-Straße gute Aussichten, schätzt Stadtrat Oliver Schruoffeneger.
Eine Alternative wäre die Umbenennung eines Abschnitts der Krumme Straße, etwa zwischen Zille- und Bismarckstraße, wo auf der einen Seite allein die Deutsche Oper angrenzt und auf der anderen Seite nur wenige Häuser betroffen wären. Dafür einen Kompromiss zu finden, könnte möglich sein, sagt der Stadtrat. Eine Initiative dafür aber gibt es nicht. Schwieriger als die Umbenennung des Shakespeare-Platzes wäre das allemal.